Einleitung
Wenn heute in Literatur, Medien und im Alltag von der “Krise der Ehe” gesprochen wird, so geschieht das häufig im Zuge der Klage über den Verfall der Werte und den drohenden Zerfall der Gesellschaft. Tatsächlich haben sich vor allem die westlichen Gesellschaften in den letzten Jahrzehnten in rasantem Tempo verändert. Dieser “Strukturwandel der Moderne” betrifft nahezu alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, so beispielsweise die Politik, die Wirtschaft, den Arbeitsmarkt, die Bevölkerungsentwicklung, die Kommunikation und nicht zuletzt auch die Lebensformen der Menschen. Waren Ehe und bürgerliche Kernfamilie noch vor wenigen Jahrzehnten eine nicht hinterfragte kulturelle Selbstverständlichkeit, ist heute eine große Vielfalt familialer und nichtfamilialer Lebensformen zu finden. Angesichts dieser Pluralisierung und Individualisierung von Lebensformen, Lebenslagen und Lebensläufen ist die Ehe zu einer unter mehreren möglichen Beziehungsformen geworden und nicht mehr zwangsläufig mit der Gründung einer Familie verbunden. Auch die Familie ist heute keineswegs auf das Modell der bürgerlichen Kernfamilie reduzierbar, was an der Zunahme “neuer” Familienformen wie Einelter-Familien, Patchworkfamilien oder sogenannter “Regenbogenfamilien” deutlich wird.
In Deutschland haben sich Wissenschaft, Politik und Rechtsprechung inzwischen in vielfältiger Weise mit dieser veränderten Lebenswirklichkeit von Paaren und Familien beschäftigt und entsprechend reagiert, wie die Fülle an wissenschaftlichen Veröffentlichungen, die gegenwärtigen familienpolitischen Diskurse (aktuell die Diskussion um homosexuelle Elternschaft) sowie rechtliche Reformen (beispielsweise die Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft für homosexuelle Paare) belegen.
Die evangelische Kirche in Deutschland hatte in den letzten Jahrzehnten angesichts dieser Wandlungsprozesse eine sehr ambivalente Rolle inne. Obschon sie auf der praktischen Ebene, in den Gemeinden, in der Diakonie, in Seelsorge und sozialer Arbeit, seit langem mit den sich verändernden Lebensformen konfrontiert wird, hat sie sich auf ethisch-moralischer und theologischer Ebene vor allem als Bewahrerin traditioneller Ehe- und Familienwerte verstanden. Auch wenn sich diesbezüglich innerkirchlich eine langsame Öffnung vollzogen hat, in deren Verlauf sich die Evangelische Kirche in Deutschland heute selbstkritisch die Frage stellt, “inwieweit das überlieferte christliche Verständnis von Ehe und Familie noch der Sache und den Menschen gerecht wird” (EKD 1998: 7), besitzt die Ehe nach evangelischem Verständnis weiterhin Leitbildcharakter. Für die wichtigsten RepräsentantInnen der Evangelischen Kirche, die Pfarrerinnen und Pfarrer, ist das Leitbild Ehe ein obligatorischer Bestandteil ihrer Berufsrolle. Damit bilden PfarrerInnen heute die vermutlich einzige Berufsgruppe, für die der Familienstand dienstrechtliche Konsequenzen haben kann. Darüber hinaus sind Pfarrer und Pfarrerinnen aufgrund ihrer spezifischen Berufsrolle mit unterschiedlichen Erwartungen in Bezug auf ihre private Lebensführung konfrontiert. An der bürgerlichen Tradition evangelischer Pfarrhäuser orientierte latente Erwartungen in den Gemeinden stehen dabei in einem wechselseitigen Verhältnis zu institutionell begründeten dienstrechtlichen Erwartungen der Landeskirchen.
Diese betreffen in unterschiedlichem Umfang auch die EhepartnerInnen und Familien der PfarrerInnen, so beispielsweise durch die Dienstwohnungspflicht. Hinzu kommt, dass sich auch in den Pfarrhäusern ein Wandel vollzogen hat. Frauen im Pfarrberuf und erwerbstätige EhepartnerInnen haben dazu geführt, dass die klassische Pfarrfamilie selten geworden ist. Trotz allem besitzt dieses Bild des traditionellen Pfarrhauses eine nach wie vor hohe normative Kraft und hat Einfluss auf die Erwartungen in den Gemeinden.
Wie PfarrerInnen und ihre EhepartnerInnen mit diesen institutionellen Vorgaben und öffentlichen Erwartungen umgehen, ist bisher nicht erforscht. Obwohl vor allem in der praktisch-theologischen Literatur einige Problemfelder benannt werden, fehlen diesbezügliche empirische Untersuchungen. Wenn überhaupt, finden sich Schilderungen subjektiver Erfahrungen in Bezug auf die Pfarrerehe lediglich in Form persönlicher Erfahrungsberichte, die hauptsächlich die Sicht der “Pfarrfrauen” wiedergeben. Dabei wird deutlich, dass die persönlichen Vorstellungen zunehmend in einem Spannungsverhältnis zu kirchlichen und öffentlichen Erwartungen gesehen werden.
In der vorliegenden Arbeit soll deshalb der Frage nachgegangen werden, ob und wie ein Spannungsfeld zwischen persönlichen und öffentlichen Erwartungen im Beziehungsalltag erlebt wird. Von Interesse sind dabei sowohl die Sicht auf die gesellschaftlichen Entwicklungen als auch die Erfahrungen und Umgangsweisen mit kirchlichen Erwartungen und der Pfarrhaussituation.
Die Arbeit nähert sich dem Phänomen der Pfarrerehe zunächst theoretisch (Teil
I). Da die Pfarrerehe stärker als andere Ehen mit normativen Vorstellungen konfrontiert wird, die ihren Ursprung in sozialen, rechtlichen und theologischen Vorstellungen unterschiedlicher historischer Epochen haben, soll im ersten Schritt die Entwicklung der (
1) Ehe im historischen Kontext definiert und beschrieben werden. Es folgt ein Überblick über die wichtigsten Erkenntnisse der Familien- und Paarforschung mit dem Fokus auf die (
2) Ehe heute.
Im nächsten Kapitel wird (
3) der Pfarrberuf als Profession und in seiner Entstehungsgeschichte beleuchtet sowie auf die spezifischen berufsimmanenten Aufgaben und Erwartungen aus der Perspektive von Landeskirchen und Gemeinden eingegangen. Das vierte Kapitel charakterisiert (
4) die Pfarrerehe anhand von drei grundlegenden Merkmalen, die ihre spezifische Situation kennzeichnen: der Tradition des evangelischen Pfarrhauses, der besonderen Rolle der evangelischen “Pfarrfrau” sowie der Relevanz der Pfarrerehe in Dienstrecht und Gemeinde.
Teil
II der vorliegenden Arbeit umfasst die empirische Untersuchung. Nach der Erläuterung der (
5) Untersuchungsmethode und einer kurzen Charakterisierung der befragten Pfarrerehepaare (
6) werden in Kapitel sieben die Ergebnisse der Untersuchung dargestellt, welche die (
7) Pfarrerehepaare im Spannungsfeld von persönlichen und öffentlichen Erwartungen beschreiben.
In Kapitel (
8) werden die zentralen Aspekte der vorliegenden Arbeit zusammengefasst. Das abschließende Kapitel (
9) stellt den Versuch dar, Schlussfolgerungen hinsichtlich einer zukünftigen Gestaltung des Verhältnisses von Pfarrberuf und Pfarrerehe zu ziehen.
Teil I
Theoretische Annäherungen an die Pfarrerehe
1
Ehe im historischen Kontext
1.1
Ehebegriff und disziplinäre Zuordnung
Die Ehe stellt kulturübergreifend eine besondere Ausprägung einer
Zweierbeziehung dar. Nach Nave-Herz (2006) wird sie definiert als eine “durch Sitte und/oder Gesetz anerkannte, auf Dauer angelegte Form gegengeschlechtlicher sexueller Partnerschaft” (Nave-Herz 2006: 24). Sie zeichnet sich durch die Tatsache aus, dass sie “mit Absicht der Dauer und durch eine öffentliche Bekundung vor Zeugen sowie rituell begründet wird” (ebd: 26). Eine auf kulturspezifische Unterschiede gegründete kulturelle Varianz der Eheformen wird u.a. offenbar in Bezug auf die Ehemündigkeit, die unterschiedliche Rolle von Staat und Kirche im Eheschließungsprozess sowie im Bezug auf monogame und polygame bzw. gleich- und gegengeschlechtliche Eheformen.
Die Ehe kann von unterschiedlichen Perspektiven her betrachtet und verstanden werden. Diese Perspektiven stehen dabei in engem Zusammenhang mit der jeweiligen wissenschaftlichen Disziplin, aus welcher heraus sie generiert wurden. Die
juristische Perspektive erfasst die Ehe als rechtliches Konstrukt, welches die jeweiligen mit der Ehe verbundenen rechtlichen Normen beinhaltet und damit der sozialen Praxis einen verbindlichen Rahmen verleiht. Diese Perspektive soll in dieser Arbeit nur angedeutet werden. Die
soziologische Perspektive beschreibt die Ehe als soziales, gesellschaftliches und kulturelles Konstrukt, welches in Wechselwirkung mit gesellschaftlichen Prozessen seine inhaltlichen Bestimmungen und Funktionen erhält. Die
theologisch-ethische Perspektive sieht die Ehe als ein göttliches und ethisches Konstrukt, in welchem sich irdische mit überirdischen, transzendenten Sinnzuschreibungen verbinden. Diese drei genannten Perspektiven bilden den Rahmen, in dem sich der Ehe angenähert werden soll.
1.2
Die historische Entwicklung der Ehe
Die wechselseitige Bedingtheit und Bezogenheit der obengenannten drei Perspektiven zeigt sich vor allem in der Betrachtung der jeweiligen historischen Gestalt der Ehe. Charakterisiert werden kann die Entwicklung der Ehe insbesondere anhand der Eheschließung als ein Institutionalisierungsprozess, “welcher sich durch einen Machtzuwachs der Kirche und schließlich des Staates gegenüber der Familie und Nachbarschaft sowie durch eine zunehmende öffentlich-rechtliche Formalisierung kennzeichnen lässt” (Schröter 1985, zit. nach Nave-Herz 2006: 25). Dieser Strukturierung folgend soll die historische Entwicklung der Ehe nachgezeichnet werden.
1.2.1
Im Altertum
Im Altertum existierten feste Ordnungen für die Ehe nur innerhalb der Sippen und Familien. Die Heirat war ein Vertrag zwischen zwei Sippen, bei dem der Ehefrau kein eigener Rechtsstatus zugebilligt wurde. Sie ging mit der Eheschließung aus der Gewalt des Vaters in die Gewalt des Mannes über. Der Ehemann hatte den Ehevertrag einzuhalten, wobei er jedoch mehr der Sippe der Frau als seiner Frau selbst verpflichtet war. Nach römischem und germanischem Recht begründete die Ehe damit kein eigenes Rechtsverhältnis, sondern bestand aus der personenrechtlichen Herrschafts- und Schutzgewalt des Ehemannes über die Ehefrau. (Hege 1979; Ernst 1979; Wagner 1997)
Die immer mehr gesellschaftliche Bedeutung gewinnende, in ihrem gesellschaftlichen Einfluss beständig wachsende christliche Kirche erkannte die bestehenden Ordnungen an, entwickelte jedoch eigene Richtlinien ethischer Natur. Auf diese Weise versuchte bereits die spätantike Kirche, die monogame, unscheidbare Ehe durchzusetzen. Sie richtete sich damit gegen die Homosexualität als in der Antike nicht unübliche Praxis sowie gegen Konkubinate und Nebenehen. Die rechtliche Gültigkeit der Ehe blieb jedoch zunächst von der kirchlichen Einsegnung unabhängig. (Hege 1979; Ernst 1979; EKD 1998)
1.2.2
Im Mittelalter und der frühen Neuzeit
Nachdem Stammes- und Verwandschaftssysteme als Eheschließungsinstanzen von der Kirche verdrängt worden waren, wurde im 11. und 12. Jahrhundert ein eigenes Eherecht innerhalb des kanonischen Kirchenrechts konstituiert, in welchem (u.a. mit der Durchsetzung des Konsensprinzips bei der Partnerwahl und dem sakramentalen Charakter der Ehe) die Autonomie des Ehepaares gegenüber der Familie gestärkt wurde. Im kanonischen Eherecht wurden die existierenden Vorstellungen (Monogamie, Ächtung aller außerehelichen Sexualbeziehungen) zu verbindlichen Normen erhoben, die dann in den Beschlüssen des Konzils zu Florenz 1439 und Trient 1563 kodifiziert wurden. Der in dieser Ehe-Lehre manifestierte Sakramentscharakter der Ehe ist noch heute Grundlage des römisch-katholischen Eheverständnisses: Die Ehe ist ein Sakrament und damit eine über den beteiligten Eheleuten stehende göttliche Stiftung. Die Eheleute spenden einander dieses Sakrament vor dem Priester. Nur eine in kirchlicher Form geschlossene Ehe ist danach eine gültige Ehe. Sie ist als göttliche Stiftung der Verfügung der Eheleute und überhaupt aller Menschen entzogen. Daraus folgt die Unauflöslichkeit bzw. Unscheidbarkeit jeder rechtsgültig vollzogenen Ehe (vgl. Nave-Herz 2006; Burkart 1997; Ernst 1979). Infolgedessen bildete die römisch-katholische Kirche über Jahrhunderte die “zentrale Instanz der Ehestiftung” (Lenz 2006: 41).
In der vorindustriellen Zeit waren Ehe und Familie primär Versorgungsinstanzen und hatten damit instrumentellen Charakter. Sie regelten die Weitervererbung von Vermögen und Namen und sicherten die Versorgung der Familienmitglieder. Im Mittelpunkt von Ehe und Familie stand der “Haushalt”. Gleichwohl es eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zwischen den Ehepartnern nach R. Nave-Herz (2006) immer gegeben hat, waren die Frauen in der vorindustriellen Zeit neben dem Haushalt auch für Bereiche der Erwerbswirtschaft zuständig. Eine strikte Trennung der Arbeitsbereiche der Ehepartner gab es nicht. Bei der Partnerwahl hatte die Herkunftsfamilie einen großen Einfluss und es spielten vor allem ökonomische Kriterien wie Besitz, Herkunft und Gesundheit eine Rolle. Intime persönliche und emotionale Beziehungen zwischen Ehepartnern und Familienmitgliedern besaßen keine zentrale Bedeutung und waren nicht festgeschrieben. So besaß auch die Ehe keine eigene individuelle Sinnzuschreibung, sondern war eingebunden in den Zusammenhang des Hauses und der Familie (vgl. Nave-Herz 2006).
Die Reformation und die Ausbreitung des Protestantismus beseitigte das unumstrittene Monopol des kanonischen Eherechts und leitete eine erste Säkularisierung der Ehe ein, indem diese aus protestantischer Sicht eine weltliche Einrichtung darstellte. In sozialer Hinsicht bewirkte die Reformation Veränderungen durch die Individualisierung der Person, die Aufwertung der Frau, das Verständnis der Ehe als Solidargemeinschaft von Mann und Frau sowie die Aufwertung von ehelicher Liebe und Sexualität. Auf der anderen Seite bewirkte der Protestantismus eine stärkere Moralisierung der Ehe (vgl. Burkart 1997).
Für die evangelische Kirche bilden die theologischen Überzeugungen des Reformators Martin Luther bis heute das Grundgerüst evangelischer Theologie und sind noch heute für das evangelische Eheverständnis von zentraler Bedeutung.
1.2.3
Im Zeitalter des Bürgertums und der Moderne
Im 19. Jahrhundert setzte sich – beginnend mit dem Code Civil (1804) in Frankreich – die Säkularisierung des Eherechtes durch. In vielen deutschen Regionen war die Eheschließung zu dieser Zeit – wie auch in den Jahrhunderten davor – an vielfältige Voraussetzungen, beispielsweise den Nachweis gesicherter ökonomischer Verhältnisse, geknüpft, was bestimmte Bevölkerungsgruppen generell vom Heiratsrecht ausschloss (vgl. Lenz/Böhnisch 1997). Ein uneingeschränktes Heiratsrecht für alle wurde im Deutschen Reich erst 1871 beschlossen. Nach einem langen Kulturkampf zwischen Staat und Kirche wurde die “obligatorische Zivilehe” (wie schon in der Frankfurter Reichsverfassung 1849 vorgesehen) 1875 Reichsrecht. Das Zustandekommen einer rechtlich gültigen Ehe ist danach eine rein staatliche Angelegenheit und conditio sine qua non für eine kirchliche Trauung (vgl. Jitschin 2007).
Auch aus soziologischer Perspektive hat das 19. Jahrhundert das Ehe- und Familienbild entscheidend geprägt, indem es zwei neue Familientypen hervorbrachte: die bürgerliche und die proletarische Familie. In beiden Familienformen hatten sich Erwerbsleben und private Lebenswelt voneinander separiert. Zum Ideal erhoben wurde jedoch das bürgerliche Familienmodell, welches sich milieuübergreifend als normatives Leitbild etablierte und bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts die gesellschaftlichen Familienvorstellungen sowie die wissenschaftliche Familienforschung dominierte (vgl. Nave-Herz 2006, Lenz 2006).
Ein bedeutsames Merkmal der bürgerlichen Familie war “die Emotionalisierung und Intimisierung der familialen Binnenstruktur” (Nave-Herz 2006: 49), die der Kernfamilie erstmals einen Exklusivcharakter gab und die Ehe neben der Versorgungsinstanz auch zu einer Gefühlsgemeinschaft machte.
Die Emotionalisierung der Beziehung der Ehegatten zueinander wurde befördert durch die Ausbreitung des
romantischen Liebescodes, welcher neben der Einheit von sexueller Leidenschaft und affektiver Zuneigung auch die Einheit von Liebe und Ehe postulierte. In der damit entstandenen Norm der Liebesheirat stellte anders als zuvor nicht mehr Status, Besitz oder Arbeitskraft, sondern zunehmend die Liebe das zentrale ehestiftende Motiv dar. Jedoch machten die realen Verhältnisse des 19. Jahrhunderts sachliche Überlegungen in der Praxis der Partnerwahl weiterhin notwendig (vgl. Lenz 2006, Burkart 1997).
Die bürgerliche Familie basierte auf einer “institutionellen Koppelung” von liebesfundierter Heirat und Elternschaft: “Durch die Elternschaft erfährt die durch Liebe gegründete und durch sie getragene Ehe ihre letzte Vollendung, und die Familiengründung ist zugleich der eigentliche Zweck der Heirat.” (Lenz/Böhnisch 1997: 18). Die Ehe verschwand weitgehend in der Familie, sie wurde fraglos unter die Familie subsumiert.
Eine Emotionalisierung erfuhr ebenfalls die Beziehung zu den Kindern, denen nunmehr eine eigenständige Entwicklungsphase zugebilligt wurde (vgl. Nave-Herz 2006). Die liebevolle und aufopfernde Erziehung der Kinder zählte zu einer der Hauptaufgaben der Frau und war Teil des entstehenden Mütterlichkeitsmythos (vgl. Lenz/Böhnisch 1997). Sie hatte neben der Hausarbeit für das emotional-psychische Wohl der Familie zu sorgen, womit sich ihre Aufgabe auf eine unsichtbare Ebene, “auf das leise und immer bereite ‘Dasein für die Familie’” (Beck-Gernsheim 1988, zit. nach Lenz/Böhnisch 1997: 17) verlagerte. Der Mann dagegen war für die ökonomische Absicherung der Familie zuständig. Diese strukturelle Zuordnung der Lebensbereiche zu einem Geschlecht wurde mit der Ideologie des “Ergänzungstheorems der Geschlechter” (Nave-Herz 2006: 52) begründet und verbunden mit der Definition polarer Geschlechtercharaktere und geschlechtsspezifischer Rollen, welche als naturbedingte Wesensmerkmale für die Frau Passivität und Emotionalität, für den Mann Aktivität und Rationalität festschrieben. Damit begründete das bürgerliche Familienmodell eine starke ökonomische Abhängigkeit der Frau von ihrem Mann (vgl. Lenz/Böhnisch 1997, Nave-Herz 2006).
Für das protestantische Eheverständnis waren diese Entwicklungen von großer Bedeutung. Im Unterschied zur katholischen Kirche stellte die obligatorische Zivilehe für die lutherische Kirche kein Problem dar, da sie kein kircheneigenes Eherecht besaß, welches damit außer Kraft gesetzt werden konnte. Vielmehr kam ihr dadurch eine neue Funktion zu. Das staatliche Recht schrieb immer weniger vor, wie moralisch recht zu leben sei; es beschränkte sich zunehmend auf die äußere Ermöglichung freien Zusammenlebens. Als Instanz für moralische und ethische Fragen hatte die protestantische Kirche – u.a. durch ihre Pfarrhäuser und deren Vorbildcharakter (siehe auch Kap.
7.3) – Anteil an der ethischen Durchdringung der Ehe und an der Entstehung und Verbreitung des bürgerlichen Ehe- und Familienideals, welches auch das evangelische Familienleitbild maßgeblich prägte (vgl. Nave-Herz 2006; EKD 1998).
Das bürgerliche Familienmodell fand in Deutschland Mitte des 20. Jahrhunderts seine größte Verbreitung. Auch die nationalsozialistische Ideologie stützte dieses Familienmodell u.a. durch ihre Bevölkerungsideologie und den Mutterkult, gleichwohl es während des Zweiten Weltkrieges durch die Abwesenheit der Männer nicht mehr realisierbar war (vgl. Nave-Herz 2006).
Während in der DDR ein sozialistisches Familienbild mit erwerbstätiger Mutter propagiert und größtenteils auch durchgesetzt wurde, dominierte in der Bundesrepublik zunächst das bürgerliche Familienmodell, indem 1950 drei von vier Müttern Vollzeithausfrauen waren (vgl. ebd.). Dies änderte sich in den folgenden Jahrzehnten, in denen – ausgelöst durch die Studenten- und Frauenbewegung, die “sexuelle Revolution” und die damit verbundenen Liberalisierungsprozesse – das Geschlechterverhältnis neu definiert und ein Wertewandel eingeleitet wurde. Die Emanzipation der Frau führte zu einem Anstieg des Bildungsniveaus von Frauen, der Zunahme weiblicher Erwerbstätigkeit und einer größeren Unabhängigkeit und Selbstständigkeit von Frauen, was in Verbindung mit technischem Fortschritt (z.B. der Entwicklung der “Pille”, Waschautomaten etc.), relativem Wohlstand und dem bereits genannten Wertewandel nicht ohne Wirkung auf Paarbeziehungen, Ehen und Familien blieb (vgl. Burkart/Kohli 1992; Nave-Herz 2006).
2
Ehe heute – Situation und Tendenzen
2.1
Die rechtliche Situation
Das Eherecht ist in Deutschland Bestandteil des Familienrechts (Buch 4 BGB) und verfassungsrechtlich auf dem in Artikel 6 des Grundgesetzes verankerten “Schutz von Ehe und Familie” gegründet.
Bezüglich der Eheschließung besteht in Deutschland ein Verbot von bi- und polygamen Ehen (§1306 und §172 ), ein Verbot der Verwandtenheirat (§1307 BGB) sowie ein Verbot gleichgeschlechtlicher Ehen. Ebenfalls muss beim Eingehen einer Ehe eine Ehefähigkeit (Ehemündigkeit, Geschäftsfähigkeit) vorliegen (§§1303, 1304 BGB).
Die rechtsgültige Eheschließung erfolgt in Deutschland seit 1875 ausschließlich vor dem Standesbeamten (§1310 BGB). Danach sind kirchliche Trauungen nur nach erfolgter standesamtlichen Eheschließung möglich. Die aktuelle Änderung des Personenstandsgesetzes schafft diese Monopolstellung des Staates zwar auf formaler Ebene ab, womit in Deutschland mit Wirkung vom 1. Januar 2009 kirchliche Trauungen auch ohne vorausgehende standesamtliche Eheschließung möglich sind. Praktisch jedoch gilt eine nur in der Kirche geschlossene Ehe für den Staat als nichteheliche Lebensgemeinschaft und die Ehepartner haben deshalb keinen Anspruch auf rechtliche und finanzielle Absicherungen und Vergünstigungen.
Die Ehe wird auf Lebenszeit geschlossen und wird seit der Abschaffung der “Hausfrauenehe” 1976 hinsichtlich ihrer inhaltlichen Ausgestaltung durch die Ehepartner vom Gesetzgeber nur noch schwach normiert: “Wie die Eheleute ihr Zusammenleben organisieren, wer arbeitet oder die Kinder erzieht, können sie nunmehr ohne gesetzliche Zielvorstellungen selbst entscheiden.” (Barabas/Erler 1994/2002, zit. nach Jitschin 2007: 107). Vorhanden sind noch die Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft (§1353 BGB), die eheliche Haushaltsführung (§1357 und §1360f BGB) sowie die gegenseitige Deckung des Lebensbedarfs (§1357 und 1360f BGB).
Folgende Rechtsbereiche beziehen sich ebenfalls ganz oder in Teilen auf die Ehe: Das Namensrecht enthält die Bestimmungen zur Namenswahl bei der Eheschließung (§1355 BGB). Das Kindschaftsrecht umfasst alle rechtlichen Bestimmungen, welche sich auf das Kind bzw. die Elternschaft beziehen, so z.B. den Rechtsstatus des Kindes, das Rechtsverhältnis zwischen Eltern und Kind, den Kindesunterhalt, das Sorgerecht, das Adoptionsrecht u.a. Das Güterrecht regelt den Umgang mit Besitz und Vermögen der Ehepartner. Nach dem Erbrecht (Buch 5 BGB) sind Ehepartner wechselseitig in einem bestimmten Umfang erbberechtigt. Auch im Sozialversicherungsrecht sowie im Steuerrecht werden Ehen gegenüber anderen Lebensformen begünstigt. Schließlich ist noch das Scheidungsrecht zu nennen, welches neben den möglichen Scheidungsgründen auch die unterhaltsrechtlichen Ansprüche und den Versorgungsausgleich zwischen geschiedenen Ehepartnern festlegt (vgl. Bürgerliches Gesetzbuch).
2.2
Die soziologische Perspektive
Lange Zeit wurden Ehen in der deutschsprachigen Forschung nur als ein Randthema der Familienforschung behandelt, was sich durch das der Familienforschung über lange Zeit zugrundeliegende
Bürgerliche Familienmodell mit seinem engen Verweisungszusammenhang von Ehe auf Familie begründen ließ und dazu geführt hat, “dass Ehe primär aus dem Blickwinkel der Familie thematisiert wurde” (Lenz 2006, 9).
Trotz der zu beobachtenden Tendenzen einer wachsenden Eigenständigkeit der Ehe innerhalb bzw. gegenüber der Familie ist eine reine Eheforschung heute jedoch obsolet geworden. Ein Grund dafür ist der zunehmende Bedeutungsverlust der Ehe bei einer gleichzeitigen Pluralisierung der Beziehungsformen. Dieser Wandel von Lebensformen und Lebensführung ist, darin sind sich Familiensoziologen einig, “Teil des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses und nur in diesem Zusammenhang erklärbar” (Schneider et al. 1998: 16). Hinsichtlich der zentralen Wirkmechanismen, die diesen Prozess bestimmen, gibt es jedoch unterschiedliche Erklärungsansätze und Betrachtungsweisen. So wird Modernisierung u.a. verstanden “als ‘Individualisierung’ (Beck/Beck-Gernsheim), als ‘Differenzierung’ (Meyer; Nave-Herz) oder als ‘Deinstitutionalisierung’ (Tyrell)” (Lenz 2006: 10).
Auf diese theoretischen Erklärungsansätze soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Beschrieben werden sollen dagegen die wichtigsten Symptome, welche sich neben dem demographischen Wandel auch an Veränderungen in Lebensformen und Lebensverläufen aufzeigen lassen. Mit
Lebensformen werden dabei im Folgenden Beziehungs- und Bindungskonstellationen bezeichnet, die in der heutigen Gesellschaft als Optionen privater Lebensgestaltung existieren. Unter
Lebensverläufen wird der mehr oder weniger institutionalisierte Durchgang von Individuen durch die sozial vorgegebenen Rollen und Lebensstadien verstanden. Nach Kohli (1985) ist der Lebensverlauf in der modernen Gesellschaft selbst zu einer wichtigen sozialen Institution geworden (vgl. Fuchs-Heinritz et al. 2007). Mayer (1987) weist zudem auf den prozessualen Charakter heutiger Lebensverläufe hin (vgl. ebd).
2.2.1
Demographischer Wandel
Seit der Nachkriegszeit haben sich in Deutschland wie auch in anderen westlichen Nationen erhebliche demographische Wandlungsprozesse vollzogen, welche allgemein als Symptome der Krise der bürgerlichen Familie gedeutet wurden und werden. Hinsichtlich der Definition der heutigen Situation von Ehe und Familie als krisenhaft wird jedoch von vielen Autoren zu Recht angemerkt, dass dabei unterstellt wird, “dass es ein allgemein verbindliches Muster familialen Zusammenlebens gegeben hat, das sich aufzulösen beginnt” (Peuckert 2005: 20). Betrachtet man die historische Entwicklung, so wird deutlich, dass es dieses verbindliche Muster nicht gegeben hat und die Dominanz und kulturelle Selbstverständlichkeit der bürgerlichen Kleinfamilie in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts eine “historisch einmalige Situation” (ebd.) darstellte.
Nachdem die Heiratshäufigkeit in dieser Zeit, dem “golden age of marriages”, ihren historischen Höchststand erreicht hatte (ca. 95%), ist sie seit den 1960er und 1970er Jahren rückläufig (vgl. Nave-Herz 1997; Lenz 2006). Fanden 1950 noch durchschnittlich 11 Eheschließungen je tausend Einwohner statt, sind es 2004 nur noch 4,8 Eheschließungen (vgl. Jitschin 2007). Ausschlaggebend dafür sind neben demographischen Faktoren vor allem die abnehmende Heiratsneigung sowie das seit der Nachkriegszeit kontinuierlich gestiegene Heiratsalter (vgl. Burkart 1997; Peuckert 2005; Lenz 2006).
Parallel zum Geburtenrückgang, welcher neben demographischen Faktoren auch auf Veränderungen im generativen Verhalten (Kinderlosigkeit, eine spätere Familiengründung sowie eine geringere Kinderzahl) zurückzuführen ist, ist eine Zunahme nichtehelicher Geburten zu verzeichnen. Zugenommen hat in den letzten Jahrzehnten auch die Zahl der Ehescheidungen. Wurde 1950 (in den alten Bundesländern) nur jede zehnte Ehe geschieden, betrifft es heute mehr als jede dritte Ehe (vgl. Lenz 2006).
2.2.2
Zunehmender Bedeutungsverlust der Ehe
Die Ehe, welche im Modell der “bürgerlichen Familie” ein doppeltes Monopol innehatte, indem sie die einzig legitime Form einer auf Dauer angelegten Mann-Frau-Beziehung und der einzig legitime Ort gemeinsamer Sexualität war, hat heute jegliche Monopolstellung diesbezüglich verloren und damit in den letzten Jahrzehnten einen erheblichen Verlust ihrer normativen Verbindlichkeit hinnehmen müssen. Gleichwohl die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung die Ehe (ebenso wie die Familie) nach wie vor für die ideale Lebensform hält, hat die Überzeugung von ihrer Notwendigkeit stark nachgelassen (vgl. Peuckert 2005; Nave-Herz 2006). Der offensichtlichste Ausdruck dafür ist die abnehmende Heiratsneigung.
Im bürgerlichen Familienmodell markierte die Heirat einen zentralen Wendepunkt, der verschiedene Schwellenereignisse in sich vereinte: die Loslösung vom Elternhaus, die Paarbildung und die Aufnahme einer sexuellen Interaktion, die Haushaltsgründung, die Bildung einer gemeinsamen Wirtschaftsgemeinschaft sowie die Gründung einer Familie. Diese einzelnen Ereignisse sind heute weitgehend voneinander unabhängig, variabel und optional geworden, so dass die Heirat heute meist keinen grundlegenden Wendepunkt im Leben eines Paares mehr darstellt (vgl. Lenz 1997; Nave-Herz 2006).
Dies hat den Symbolwert der Ehe erheblich verringert und eine indifferente Haltung zur Ehe befördert (vgl. Burkart 1997). Zudem hat die Ehe ihre verschiedenen biographischen Bedeutungen, wie Identitätssicherung, soziale Integration oder wirtschaftliche Versorgung zunehmend verloren. War die Ehe noch vor wenigen Jahrzehnten eine kulturelle Selbstverständlichkeit, ist sie heute vielfach begründungsbedürftig (Lenz 2006; Burkart/Kohli 1992; Burkart 1997; Schneider et al. 1998). Um Liebe und Sexualität miteinander zu leben, muss man nicht mehr heiraten, was Kaufmann als die “Entkoppelung von Liebe und Ehe” beschreibt (Kaufmann 1995, zit. nach Lenz 2006: 14).
Auch im Hinblick auf die vormals enge Verknüpfung von Ehe und Familie haben sich Veränderungen vollzogen. Angesichts einer steigenden Zahl unehelich geborener Kinder sowie einer nicht unbeträchtlichen Zahl freiwillig kinderloser Ehen spricht Kaufmann (1995) von der “Entkoppelung von Ehe und Elternschaft” (Kaufmann 1995, zit. nach Lenz 2006: 12). Sofern heute ein Verweisungszusammenhang zwischen Ehe und Familie existiert – ein Beispiel dafür ist das verbreitete Prinzip der “kindorientierten Eheschließung” (Nave-Herz 1989) – hat sich dieser im Vergleich zur bürgerlichen Familie, in der erst die Eheschließung die Gründung einer Familie legitimierte, umgekehrt (vgl. Lenz 2006).
Desweiteren erlebt die Ehe einen Verlust ihrer Verbindlichkeit als eine auf Dauer ausgerichtete Paargemeinschaft durch die Alltäglichkeit und Selbstverständlichkeit, in der Scheidung und Wiederverheiratung praktiziert werden (vgl. Burkart/Kohli 1992).
2.2.3
Pluralisierung der Beziehungsformen
Parallel zu der abnehmenden bzw. sich wandelnden Bedeutung der Ehe ist in den letzten Jahrzehnten eine Zunahme nichtehelicher Beziehungsformen festzustellen. Eine solche Beziehungsform ist die sogenannte nichteheliche Lebensgemeinschaft. Noch bis Anfang der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts galt das uneheliche Zusammenleben eines Paares in beiden deutschen Staaten als sittenwidrig und strafbar (vgl. Schneider et al. 1998). Solche negativen rechtlichen Sanktionen sind entfallen. Nichteheliche Lebensgemeinschaften sind vor allem im jungen Erwachsenenalter zur gesellschaftlich akzeptierten Normalität geworden. Ihr Anteil an allen Lebensformen lag im Jahr 2000 bei 5,3% (vgl. Lenz 2006).
Nur ein Teil der nichtehelichen Lebensgemeinschaften wird mit dem Ziel einer späteren Heirat eingegangen. Für die Mehrzahl der Paare, welche auf diese Weise zusammenleben, besitzt die Beziehung einen eigenständigen und von der Ehe unabhängigen Wert, weshalb es “nicht angemessen ist, alle nichtehelichen Lebensgemeinschaften lediglich als eine neue Form der Verlobung oder als Probe-Ehe aufzufassen” (Nave-Herz, zit. n. Lenz 2006: 15). Dessen ungeachtet zeigen Studien, “dass es sich bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften in den allermeisten Fällen um ein Durchgangsstadium handelt, das entweder in einer Ehe oder mit der Trennung endet” (Lenz 2006: 16). Nur für eine Minderheit bildet die nichteheliche Lebensgemeinschaft eine bewusste Alternative zur Ehe. Auch wenn – wie bereits angedeutet – die nichteheliche Lebensgemeinschaft hauptsächlich als “voreheliche” Lebensform lediger junger Erwachsener verbreitet ist, hat sie inzwischen auch als nacheheliche Lebensform eine Bedeutung erlangt (vgl. Schneider et al. 1998).
Ebenso ist die nichteheliche Lebensgemeinschaft inzwischen zunehmend auch eine familiale Lebensform. Dabei sind nichteheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern in den neuen Bundesländern weitaus stärker verbreitet als in den alten Bundesländern (vgl. Schneider et al. 1998).
Neben den nichtehelichen Lebensgemeinschaften wird eine zweite Beziehungsform immer häufiger, welche als “Partnerschaft mit getrennten Haushalten” (Schneider et al. 1998) oder “Living-apart-together”-Beziehung (Lenz 2006) bezeichnet wird. Diese Form der Paarbeziehung zeichnet sich dadurch aus, dass die Paare keinen gemeinsamen Haushalt besitzen, sondern in zwei getrennten Wohnungen leben. In Westdeutschland lebten 1994 elf Prozent, in Ostdeutschland sechs Prozent aller BundesbürgerInnen im Alter zwischen 18 und 61 Jahren in einer solchen Beziehungsform (Schneider et al. 1998: 56). Damit ist sie in den alten Bundesländern sogar noch verbreiteter als die nichteheliche Lebensgemeinschaft.
Wie auch schon bei den nichtehelichen Lebensgemeinschaften gibt es unterschiedliche Motive und Formen, wie und warum “living-apart-together”-Beziehungen gelebt werden. Zum Beispiel ist diese Beziehungsform typisch für die Anfangsphase einer Beziehung, in welcher die Partner zunächst ihre Eigenständigkeit behalten. Die zunehmend geforderte berufliche Mobilität, welche Paare zumindest an Arbeitstagen dazu zwingen kann, an zwei Orten zwei getrennte Wohnungen zu unterhalten, ist ein weiterer immer häufiger werdender Grund. Nicht zu vernachlässigen sind aber auch jene Paare, welche an einem Ort aus Gründen der gewünschten Selbstbestimmtheit und Eigenständigkeit zwei getrennte Wohnungen beibehalten. In aller Regel sind “living-apart-together-Beziehungen” Übergangsstadien, welche zwar stabil und langandauernd sein können, jedoch irgendwann doch in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft oder Ehe münden (vgl. Schneider et al. 1998). “Living-apart-together-Beziehungen” werden laut Schneider et al. (1998) “im Kontext einer fortschreitenden Individualisierung und einem tiefgreifenden strukturellen Wandel auf dem Arbeitsmarkt aller Voraussicht nach an Bedeutung gewinnen” (Schneider et al. 1998: 63).
Unter dem Aspekt der Pluralisierung der Beziehungsformen sind jedoch auch gleichgeschlechtliche Paarbeziehungen zumindest zu erwähnen, welche heute – anders als noch vor 50 Jahren – offen gelebt werden können und einen eigenen rechtlichen Status erlangt haben.
2.2.4
Wechsel von Beziehungen im Lebensverlauf
Ebenso wie Lebensformen sind auch Lebensläufe “Produkt gesellschaftlicher Strukturen und Ergebnis individueller Wahlhandlungen, die im Kontext gesamtgesellschaftlicher Ressourcen und Restriktionen sowie milieuspezifischer Gelegenheitsstrukturen getroffen werden” (Schneider et al. 1998: 16). Aus der Perspektive einer zunehmenden Individualisierung haben Selbstverständlichkeiten, die den Lebensverlauf in der Vergangenheit geprägt haben, an Bedeutung verloren. “An die Stelle relativ stabiler Strukturen und vorgegebener Muster sind Optionsräume getreten, die individuell gestaltet werden müssen” (ebd: 16). Im Ergebnis führt dies jedoch für Schneider et al. (1998) nur selten zu individualisierten “Patchwork-Biographien”, sondern zur Entwicklung “hin zu neu sich ausbildenden Standardmustern ohne strenge normative Verbindlichkeit, aber mit leitbildhaftem Charakter des Faktischen” (ebd: 17).
Burkart (1997) sieht Lebensformen als “Lebensphasen”, welche nacheinander durchlaufen werden und dabei bestimmten Mustern folgen. In diesem Sinne ist auch die Ehe “von einer universalen Lebensform zu einer Lebensphase geschrumpft” (Burkart 1997: 107), welche zwischen dem 30. und dem 40. Lebensjahr ihre größte Verbreitung findet. Die Pluralisierung der Lebensformen muss in diesem Sinne relativiert werden, da sie hauptsächlich auf die Phase des jungen Erwachsenenalters (insbesondere die Altersgruppe von 26-29) zutrifft, während davor (18-25) vor allem die noch in der Herkunftsfamilie Wohnenden, danach die in einer Ehe Lebenden dominieren. Nach dem 40. Lebensjahr steigt dagegen die Zahl der Geschiedenen rasch an (vgl. Burkart 1997).
Burkart (1997) weist jedoch auf die Rolle der gesellschaftlichen Milieus bei der Ausbildung neuer Lebensverlaufsmuster hin, wonach die biographische Bedeutung spezifischer Lebensformen und Lebensphasen von Milieu zu Milieu differiert (vgl. ebd.).
Im Hinblick auf neue Standardmuster ist ein wesentlicher Bestandteil der heutigen Lebensläufe die biographische Vorverlagerung der ersten festen Freundschafts- und Paarbeziehung und erster Sexualkontakte ins Jugendalter, welche meist ohne Heiratsabsichten oder die Planung eines gemeinsamen Lebens als Selbstverständlichkeiten gelten. Auch nichteheliche Lebensgemeinschaften sind in diesem Sinne zu einer Normallebensform vor der Heirat geworden und wurden schon 1992 von 80% der Eheschließenden durchlebt (vgl. Schneider et al. 1998). Gleichwohl die Ehe nach wie vor ein fester Bestandteil im Lebenslauf der meisten Menschen ist und im Vergleich zu anderen Beziehungsformen die größte Stabilität aufweist, lässt sich auch bei Ehen eine zunehmende Instabilität beobachten (vgl. Lenz 2006). In Deutschland geht man von einer Scheidungsrate von mehr als 30% aus, was bedeutet, dass jede dritte Ehe irgendwann geschieden wird. Jedoch kann eine Scheidung, so Schreiber (2003), keineswegs als “normale” Statuspassage im Familienzyklus verstanden werden. Sie stellt trotz ihrer quantitativen Zunahme ein “dramatisches und traumatisches Ereignis” (Beck-Gernsheim 1994, zit. n. Schreiber 2003: 30) dar und gehört neben dem Verlust des Partners durch den Tod “zu den am stärksten belastenden Ereignissen im menschlichen Lebenslauf” (Schröder/Hahlweg 1996, zit. n. ebd.: 30).
Dennoch werden Zweierbeziehungen heute stärker seriell verstanden; der Begriff des “Lebensabschnittspartners” verdeutlicht dies umgangssprachlich. “Trennung und der Aufbau einer neuen Beziehung werden zu sich wiederholenden Erfahrungen im individuellen Lebenslauf.” (Lenz 2006: 18). Eine Zunahme an Beziehungen im Lebensverlauf hat im Umkehrschluss zur Folge, dass sich die Beziehungsdauer verkürzt. Ebenso führt ein häufiger Beziehungswechsel, wie er vor allem bei unter 30jährigen vorkommt, auch zu vermehrten Trennungserfahrungen (vgl. ebd.). Beck und Beck-Gernsheim (1990) sprechen von einer in der heutigen Gesellschaft für Paarbeziehungen geltenden “historisch verordneten Such- und Erprobungsphase” (Beck/Beck-Gernsheim 1990, zit. n. Schreiber 2003: 40). Dabei stellt die “mehrdimensionale Heterogenität” (ebd.: 36) der Partner eine immer größere Herausforderung für eine Paarbeziehung dar: “Das Aufeinandertreffen selbstentworfener biographien erhöht die gegenseitigen Erwartungen und Anforderungen, macht Verständigungs- und Aushandlungsprozesse wichtiger und lässt auch Konflikte wahrscheinlicher werden” (Beck-Gernsheim 1994, zit. nach Lenz 1997: 196).
Allerdings ist die Instabilität heutiger Paarbeziehungen nicht eine Folge von Beziehungsunfähigkeit und Bindungslosigkeit – wie in der vielfach in Medien geäußerten Tendenz zur “Single-Gesellschaft” suggeriert wird – sondern vielmehr die Konsequenz des hohen Stellenwertes, der Beziehungen für das persönliche Glück beigemessen wird, und der hohen Ansprüche an ihre Qualität. So konstatieren Forscher eher eine Bedeutungssteigerung der Zweierbeziehung: “Je mehr traditionelle Vergemeinschaftungsformen brüchig werden und sich auflösen, desto mehr wird das Bedürfnis nach Intimität und emotionaler Absicherung auf die Zweisamkeit fokussiert” (Beck 1990, zit. n. Lenz 2006: 21).
Festzuhalten ist demnach: Trotz aller Variationen hinsichtlich des Familienstandes, der Elternschaft, des biographischen Timings sowie der Dauer von Lebensformen erweist sich die Paarbeziehung als ein ungebrochenes Muster in nahezu allen Lebensformen (vgl. Schneider et al. 1998). Dass “mit der fortschreitenden Auflösung individueller Ehe- und Liebesbeziehungen eine verstärkte kollektive Bindung an den Wert der Liebe einhergeht” (Hondrich 1997, zit. nach ebd.: 21), zeigt nicht zuletzt die zunehmende Idealisierung der romantischen Hochzeit und Liebesheirat.
2.2.5
Wachsende Eigenständigkeit der Ehe
Bezeichnungen der Ehe als “unvollständige Familie” (König 1974, zit. nach Meier-Gräwe 2009: 4) verdeutlichen, dass bis vor drei Jahrzehnten Ehe nur im Zusammenhang mit Familie gedacht wurde und damit Ehe und Elternschaft eng verknüpft waren. Dagegen ist Elternschaft heute im individuellen Lebenslauf zu einer Option geworden und folglich auch die Ehe nicht mehr zwingend mit der Gründung einer Familie verbunden. In Deutschland sind schätzungsweise 20% der Ehepaare kinderlos, wovon ca. 5% aller Ehepaare dies aus medizinischen Gründen und damit unfreiwillig sind. Freiwillige Kinderlosigkeit in der Ehe kann zum einen bewusst als solche geplant sein, weit häufiger entsteht sie jedoch durch “temporären Aufschub”: Der prinzipiell vorhandene Kinderwunsch wird zunächst aus biographischen Gründen, mangels Partner, aufgrund von beruflichen Plänen o.ä. zurückgestellt und dies geschieht so lange, bis es dann “zu spät” ist (vgl. Lenz 2006).
Abgesehen von ihrer nunmehr von Familie unabhängigen Bedeutung hat die Ehe auch im Familienzyklus einen neuen Stellenwert bekommen, in dem kinderlose Phasen gegenüber den Familienphasen zunehmend an Gewicht gewinnen. Zum Einen hat sich die kinderlose Phase zu Beginn einer Beziehung verlängert, da die Gründung einer Familie u.a. aufgrund verlängerter Ausbildungszeiten und berufsbiographischer Erfordernisse immer weiter nach hinten verschoben wird. Noch stärker verlängert hat sich die Nachfamilienphase, u.a. durch die gestiegene Lebenserwartung, durch eine geringere Kinderzahl und geringere Geburtenabstände. Inzwischen steht der Zeit der Familienphase oft ein ebenso langer Zeitraum gegenüber, in welchem das (Ehe-)Paar allein lebt (vgl. Lenz 2006).
Auch im Zusammenleben mit Kindern hat die Ehe als Paarbeziehung trotz der ebenfalls zu beobachtenden Zunahme der Kindzentrierung eine größere Bedeutung und Eigenständigkeit gewonnen. Immer weniger Väter und Mütter wollen sich in ihrem privaten Bereich nur auf ihre Vater- oder Mutterrolle reduzieren lassen. Ehepaare haben zunehmend den Anspruch, sich auch als Paar fühlen zu wollen, Unternehmungen zu zweit ohne die Kinder zu machen, haben höhere Ansprüche an den Partner als nur, dass er ein “guter Vater” oder eine “gute Mutter” ist. Und umgekehrt sind die gemeinsamen Kinder immer seltener ein Grund, eine nicht zufriedenstellende Paarbeziehung aus Rücksicht und “um der Familie willen” aufrechtzuerhalten. Der hohe Anteil von Ehen mit Kindern an geschiedenen Ehen ist der Beweis dafür. Die Qualität und Zufriedenheit in der (Ehe-)Paarbeziehung hat einen Eigenwert gewonnen, welcher die Eigenständigkeit der Ehe gegenüber der Familie herausstellt (vgl. Lenz 2006). Die gestiegenen affektiv-emotionalen Ansprüche an die Qualität der Paarbeziehung sind Ausdruck des gesellschaftlichen Wertewandels, infolge dessen die Ehe nicht mehr nur als Zweck- und Solidargemeinschaft, sondern vor allem als Liebesgemeinschaft betrachtet wird (vgl. Lenz 2006; Peuckert 2005). In seiner Untersuchung der Ehestabilität unterscheidet Schreiber (2003) traditionale, extrinsische (außerhalb und unabhängig von der Ehe existierende gesellschaftliche) ehestabilisierende Faktoren von posttraditionalen, intrinsischen (in der konkreten Ehe selbst begründeten) ehestabilisierenden Faktoren. Dabei haben traditionale Faktoren tendenziell an Relevanz verloren, während posttraditionale an Bedeutung gewonnen haben (vgl. Schreiber 2003).
Insgesamt betrachtet ergibt sich eine Gefährdung für die Ehestabilität aus der Kombination von hohen subjektiven Bedeutungszuschreibungen und Erwartungen an die Ehebeziehung einerseits und der historisch einmaligen individuellen Gestaltungsfreiheit des Lebens in der Ehe andererseits. Diese Kombination führt zu einer Idealisierung der Ehebeziehung und – konfrontiert mit der Realität – zu Selbstüberforderung, Überforderung des Partners, Unzufriedenheit und im Extremfall zur Trennung (vgl. Schreiber).
2.2.6
Re-Ritualisierung der Hochzeit
Über Jahrhunderte war die Feierlichkeit, mit welcher die Hochzeit begangen wurde, vor allem ein Ausdruck der hohen Bedeutung, welche die Heirat als entscheidendes Schwellenereignis im Leben junger Menschen besaß. Die Hochzeit war ein “rîte de passage”, ein Übergangsritus von einer genau definierten Lebensphase in eine andere, ebenso genau definierte Lebensphase (vgl. Nave-Herz 2006). Über viele Jahrhunderte hatte die Kirche das alleinige Ritenmonopol in Bezug auf die Hochzeitszeremonie, woran auch die Einführung der Zivilehe im 19. Jahrhundert nichts änderte. Zu Veränderungen kam es erst in der jüngeren Geschichte. In der Bundesrepublik lief die standesamtliche Trauung eher nüchtern und bürokratisch ab, da die “eigentliche” Trauung nach wie vor in der Kirche erfolgte. In Westdeutschland bestand lange eine “Inkompatibilität von standesamtlicher Trauung und 'Hochzeit in Weiß'” (Nave-Herz 1997: 53) und damit “keine Ritenkonkurrenz zwischen standesamtlicher und kirchlicher Trauung” (ebd: 52). In der DDR hingegen entwickelte sich aufgrund der Zurückdrängung des kirchlichen Einflusses eine ausgeprägte Tradition standesamtlicher, stark ritualisierter “Hochzeiten in Weiß” (vgl. Reichertz 2002).
Wie bereits in den vorangehenden Abschnitten beschrieben, hat die Heirat ihren Status als Schwellenereignis weitestgehend verloren. Durch das zur Normalität gewordene uneheliche Zusammenleben vor der Heirat stellt die Hochzeit meist nur noch einen Übergang von einer informellen zu einer formellen Paarbeziehung dar. Und doch hat die Hochzeit aktuell eine immense Bedeutungssteigerung erfahren. Dies – so lässt sich vermuten – steht im Zusammenhang mit der objektiven Steigerung des Trennungsrisikos in den modernen westlichen Gesellschaften, welche die subjektive Abgrenzung von diesem Phänomen notwendig macht. Die öffentliche Inszenierung der gegenseitigen Liebe – je aufwendiger, desto besser – in Verbindung mit dem Ernst und der Kraft ritueller Symbole erscheinen in diesem Zusammenhang als Garanten einer belast- und haltbaren Bindung (Reichertz 2002). Die “Hochzeit in Weiß” als Sinnbild romantischer Liebe sowie idealisierte Bilder amerikanischer Traumhochzeiten führen gegenwärtig zu einem Boom des Hochzeitsgewerbes und einer Re-Ritualisierung der Hochzeit. So bietet inzwischen auch das Standesamt zeitgemäße, rituelle und festliche Trauungen an romantischen, prachtvollen, teils außergewöhnlichen Orten an. Damit führen die Standesämter heute einen echten Übergangsritus durch, in dem viele Symbole romantischer Liebe und kirchlicher Trauung miteinander vereint werden. Darüber hinaus ist bei Heiratenden heute ein großes Bedürfnis nach einer “individuellen Inszenierung” (Jitschin 2007: 102) der standesamtlichen bzw. kirchlichen Trauung zu beobachten, womit die Einmaligkeit und Einzigartigkeit der Liebesbeziehung auch äußerlich kenntlich gemacht werden soll. Indem traditionelle Hochzeitsbräuche mit neuen Elementen bzw. Hochzeitsbräuchen anderer Kulturkreise kombiniert werden können, ist eine zunehmende Variabilität und Optionalität der Hochzeitsrituale entstanden (vgl. Jitschin 2007).
2.3
Die Ehe aus Sicht der evangelischen Kirche
Die bereits beschriebenen tiefgreifenden Veränderungen, welche sich in der Lebenswirklichkeit von Ehepaaren und Familien seit mehreren Jahrzehnten vollziehen, haben mit einiger Verzögerung auch in der evangelischen Kirche Beachtung gefunden. So wird im Vorwort einer Stellungnahme der EKD selbstkritisch erklärt:
“Das christliche Verständnis von Ehe und Familie muß sich in dieser Situation neu bewähren. Es ist zunehmend in Spannung getreten zu den Lebensverhältnissen, in denen sich viele Christen vorfinden und einrichten. Nicht nur deshalb stellt sich die Frage, inwieweit das überlieferte christliche Verständnis von Ehe und Familie noch der Sache und den Menschen gerecht wird, mit anderen Worten: ob es nicht von seiner biblischen Grundlage her neu zu durchdenken und zu formulieren ist, damit es wieder in stärkerem Maße seine lebensdienliche und lebensfördernde Kraft entfalten kann. Spät – manche sagen: zu spät – haben sich Kirche und Theologie dieser Frage angenommen.” (EKD 1998: 7).
Dessen ungeachtet bilden die Bibel und die reformatorischen Bekenntnisse nach wie vor die wichtigste Grundlage evangelischer Eheethik, weshalb zunächst auf beide näher eingegangen werden soll.
2.3.1
Ehe und Eheverständnis in der Bibel
Ehe im Alten Testament
Die Entwicklung der Eheauffassung in der alttestamentlichen Tradition ist vielschichtig. Sie umfasst soziologische, juristische, ethische und theologische Elemente, die nur schwer in eine Synthese zu bringen sind (vgl. Ernst 1979). Grundsätzlich bestand die Auffassung von der Ehe als einer vorgegebenen göttlichen Institution. Sozial betrachtet war die Ehe in den Gesamtverband der Sippe eingegliedert und hatte seiner Erhaltung zu dienen. Von diesem Zweck her erklärt sich das damalige Gewohnheitsrecht der Leviratsehe und der Polygynie sowie die für Männer und Frauen unterschiedliche Sexualethik. Letztere spielte jedoch eine untergeordnete Rolle; Normen und gesetzliche Regelungen zum Erhalt der Ehe als Institution (u.a. Inzestverbot, Scheidungsregelungen) betrafen vielmehr hauptsächlich die soziale Ebene (vgl. Thilo 1978).
Gegen Ende der alttestamentlichen Zeit bestand in Israel praktisch eine monogame Gesellschaft, gleichwohl die rechtliche Möglichkeit der Polygynie wie auch die der Scheidung bestehen blieben. Gleichwohl die Ehepraxis Israels sich nicht aus den traditionellen patriarchalischen Strukturen der Institution Ehe zu lösen vermochte, bildete sich unter dem Einfluss dieser theologischen Deutungen und im Kontext der kulturgeschichtlichen Entwicklung neben der sozialen und institutionellen auch eine personale Dimension ehelicher Gemeinschaft heraus (vgl. Ernst 1979).
Eine entscheidende Prägung erhielt die kulturgeschichtliche Entwicklung der Eheauffassung im Alten Testament durch den Jahweglauben und den Bundesgedanken: “Die Schöpfungsberichte als theologische Sinndeutung der Schöpfungswirklichkeit und des Gottesbildes gipfeln in der Erschaffung des Menschen als Gottes Ebenbild. Tiefster Kern dieser Ebenbildlichkeit ist die Befähigung zur Partnerschaft und zum Bund mit Gott. Dem entspricht auf der Ebene der kreatürlichen Wirklichkeit die wechselseitige Zuordnung der Geschlechter zur vollen Ergänzung und Hilfeleistung in der partnerschaftlichen Einswerdung und Begegnung.”
Auch in der alttestamentlichen Ehesymbolik, die das Verhältnis zwischen Gott und seinem Volk Israel im Bild der Ehe darstellte (z.B. in Jer. 2,2), war die Ehe nicht nur Institution, sondern vor allem Bund. Diese Bilddeutung hatte Konsequenzen für das Verhältnis des Volkes Israel zu Gott wie auch für das Verständnis von Geschlechtlichkeit und Ehe, welches bis heute christliches Denken bestimmt: “Fruchtbarkeitskulte und sakrale Prostitution sind Zeichen der Untreue und des Abfalls von Gott zu fremden Götzen; Homosexualität ist Sünde, weil es im kanaanäischen Kult als Dienst an der Gottheit geübt wird. Gott fordert von Israel, seiner Braut, unbedingtes Vertrauen und Nachfolge, woraufhin Israel ihm in die Wüste folgt.” (Ernst 1979: 44).
Ehe im Neuen Testament
Die theologische Forschung ist sich weithin einig, dass die neutestamentlichen Texte keine geschlossene Lehre zur Ehe und erst recht nicht zur Ehe als Institution bieten. Sie enthalten ebensowenig genügend wesentliche Einzelaussagen, um eine Ehelehre ausreichend zu bestimmen (vgl. Thilo 1978; Ernst 1979; Bleske 1981). Die Institution Ehe wird im Neuen Testament – wie andere Institutionen auch – als gesellschaftliche Wirklichkeit vorausgesetzt und respektiert. Ihre Sinnhaftigkeit in den gegebenen Rechtsstrukturen wird nirgendwo bestritten. In diesem Zusammenhang wird es auch verständlich, dass sich nur “verhältnismäßig wenige, scheinbar zufällige und unzusammenhängende Äußerungen” (Bleske 1981: 185) zur Ehe finden. Aus diesem Grunde ist innerhalb der exegetischen Forschung wiederholt darauf hingewiesen worden, “bei der Sichtung der biblischen Weisungen für die Ehe sich des fragmentarischen Charakters der einzelnen Aussagen bewusst zu bleiben” (ebd: 186).
Und doch bietet das Neue Testament unter theologischem Aspekt eine Deutung christlichen Lebens, die auch auf das Verständnis der Ehe als Institution nicht ohne Einfluss geblieben ist.
Durch Jesus wird das alttestamentliche Eheverständnis neu interpretiert, indem er durch die Zurückführung auf den Schöpfungsauftrag Gott selbst als den Ehestifter und die Ehe damit als eine Institution Gottes ansieht, dessen Wille vom Menschen nicht missachtet werden darf:
“Von Anbeginn der Schöpfung aber schuf Gott sie als Mann und Frau. Deshalb wird der Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen, und die beiden werden ein Fleisch sein. Also sind sie nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. Was nun Gott verbunden hat, das soll der Mensch nicht trennen.” (Markus 10, 6-9).
Er nahm damit Stellung zu einer geltenden Praxis, in der es für den Mann relativ leicht war, der Frau einen Scheidebrief zu geben. Sein Plädoyer für die unscheidbare Ehe und seine Verneinung jeder Scheidung geschah zugunsten der Frau und lag “somit auf der gleichen Linie wie sein Eintreten für Entrechtete und Missachtete überhaupt” (Beske 1981: 188). Hinsichtlich der Ehescheidung existierten jedoch schon in den frühen Gemeinden Ausnahmen vom unbedingten Scheidungsverbot Jesu – z.B. bei Ehebruch (Matthäus 5,32) oder der Ehe mit einer/einem Ungläubigen (1. Korinther 7,15) (EKD 1998: 62).
Im Gegensatz zu den institutionalistischen und legalistischen Eheauffassungen des Alten Testamentes stellt Ernst (1979) eine “Humanisierung” von Sexualität und Ehe im Neuen Testament fest, welche sich u.a. in der Betonung der Würde der Frau, des Gebotes der Liebe und der unwiderruflichen Treuebindung der Ehe erkennen lässt (vgl. Ernst 1979). Von einer christlichen Ehe-Ethik kann man jedoch erst nach dem Entstehen der ersten Gemeinde sprechen. Die neutestamentliche Briefliteratur gilt hierfür als wegweisend (vgl. Thilo 1978).
2.3.2
Ehe und Eheauffassung bei Martin Luther
Martin Luther prägte die protestantische Dialektik der “Heiligung und Entheiligung der Welt” (Greiffenhagen 1984: 8), welche in der Säkularisierung erst die Möglichkeit einer tiefen Weltfrömmigkeit begreift. Indem er die Existenz eines göttlich gesetzten Kirchenrechts und eines hierarchischen Vorzugs eines “geistlichen” Standes der Priester, Mönche und Nonnen verneint, hat Martin Luther “die Welt alles heiligen Zaubers entkleidet, der sich in katholischer Religiosität und Kirchenpraxis angesammelt hatte: Die Zustände und Dinge dieser Welt sind weder aus sich heraus heilig oder geheimnisvoll, noch müssen sie mit Weihwasser geheiligt werden. Das gilt für Saat und Ernte, für Beruf und Stand, für Ehe und Staat.” (Greiffenhagen 1984: 7). In diesem Zusammenhang erklärt er auch die Ehe zu einem “weltlichen Geschäft” und lehnt das sakramentale Verständnis der Ehe ab (Nave-Herz 2006: 25).
Neben dieser
Verweltlichung des Geistlichen steht als Kehrseite eine
Vergeistlichung alles Weltlichen, was Luther wie folgt beschreibt: “Möchte darum die ganze Welt voll Gottesdienstes sein. Nicht allein die in der Kirche, sondern auch im Haus, in der Küche, im Keller, in der Werkstatt, auf dem Feld, bei den Bürgern und Bauern.” (Luther, zit. n. Greiffenhagen 1984: 7). In diesem Sinne ist die Ehe für den Protestanten zwar nicht “heilig” und aus diesem Grunde von hoher moralischer Bedeutung, sondern sie bekommt ihre theologische Dimension aus der Vergeistlichung der gesamten menschlichen Existenz: “Der evangelische Christ ist sozusagen immer im Gottesdienst, gerade weil es keinen abgetrennten Raum der Frömmigkeit mehr gibt.” (Greiffenhagen 1984: 8). Deutlich wird diese Haltung auch in dem von Luther propagierten “Priestertum aller Gläubigen”, wonach sich jeder Christ in der Welt, in seinem Stand, in Ehe, Haus und Gemeinde alltäglich und öffentlich bewähren soll.
Die protestantische Ehe besitzt damit eine weltliche und eine geistliche Dimension. Die Formulierung der Ehe als “weltlich Ding” gibt die Ehe frei, sie nach weltlichem Recht zu ordnen. Ihr Verständnis als von Gott gebotenem Stand wird dadurch jedoch nicht berührt. Luthers Bejahung menschlicher Kreatürlichkeit erhebt die Ehe zu einer von jedem zu erstrebenden Lebensform, zum geistlich-christlichen Stand aller, in dem sich in der sexuellen Vereinigung von Mann und Frau, in der Fortpflanzung des Menschengeschlechts Gottes welterhaltender Wille vollzieht (vgl. Sammet 2005; EKD 1998).
Die Scheidung einer Ehe wurde von Luther zwar nicht gebilligt, aber in bestimmten Fällen (Ehebruch, Verweigerung der ehelichen Pflicht) rechtlich zugestanden (vgl. EKD 1998).
Hinsichtlich der Ehe von Priestern rät und fordert Luther diese nicht explizit, möchte sie aber gestattet wissen (vgl. Hege 1979). Diese Auffassung und seine eigene Ehe mit Katharina von Bora waren damals revolutionär und bildeten den Grundstein der evangelischen Pfarrhaustradition.
2.3.3
Das evangelische Eheverständnis heute
Der Leitbildcharakter von Ehe und Familie ist für die evangelische Kirche unstrittig und wird in allen aktuellen Stellungnahmen und Texten der EKD und VELKD unterstrichen. So betont die Bischofskonferenz der VELKD in einem Gutachten, dass “allein die Ehe als öffentliche, rechtlich geordnete Form des Zusammenlebens der Geschlechter das Leitbild christlicher Ethik ist. Sie ist von Gott gestiftet und geboten. Nichtehelichen Partnerschaften kann eine solche Leitbildfunktion nicht zuerkannt werden. Sie sind keine vom Gesetz und der Tradition geschützte Ordung. Ihre Gleichrangigkeit mit der Ehe ist abzuweisen. Sie werden als Kompromiss in einer biographischen Situation geachtet und respektiert.” (VELKD- Gutachten 75/1997: 52).
Ähnlich wie in diesem Zitat berief sich die evangelische Eheethik in der Vergangenheit hauptsächlich auf das Gesetz und Gebot Gottes, d.h. “auf eine durch die Autorität Gottes gegebene normative Setzung, [...] die zu befolgen ist” (Koch 1998: 114). Eine solche mit “Gehorsam” und “Belehrung” verbundene Ethik erscheint heute wenig zeitgemäß, weshalb sich inzwischen ein Prinzipienwandel hin zu einer auf “Verantwortung” und “Anregung” basierenden argumentierenden Ethik vollzogen hat, welche die Selbstbestimmung und Freiheit eines mündigen Individuums respektiert (vgl. Koch 1998).
In den meisten aktuellen Texten und Stellungnahmen bildet die veränderte gesellschaftliche Situation den Ausgangspunkt ethisch-theologischer Überlegungen und wird damit als gesellschaftliche Tatsache anerkannt. Ebenso wird eingeräumt, dass ein gelingendes Leben nicht an Ehe und Familie gebunden ist, sondern sich auch in anderen Lebensformen verwirklichen lässt, weshalb diesen Anerkennung, Achtung und Schutz zusteht (vgl. Meis 2000; EKD 1996; EKD 1998). Bezugnehmend auf die Familienforschung wird jedoch immer wieder betont, dass Ehe und Familie “für die große Mehrheit von Frauen und Männern in Deutschland weiterhin die gewünschte und bevorzugte Lebensform” (Kirchenleitung der EVLKS 2002: 17/18) sind. “Immerhin lebt nach wie vor die Mehrheit in legalen und wohl auch stabilen Ehen, die Attraktivität einer Hochzeit nimmt eher zu und auch die Skepsis Jugendlicher gegenüber der herkömmlichen Ehe- und Familienkonvention ist nicht gleichzusetzen mit der Absicht eines bindungslosen Lebens.” (Meis 2000: 7/8). Vor diesem Hintergrund betont die evangelische Kirche die gesellschaftliche Notwendigkeit von Leitbildern für das Zusammenleben (EKD 1998: 9).
Angesichts der Pluralität heutiger Lebensformen wird anstelle eines Abwägens verschiedener Lebensformen hinsichtlich ihrer Vor- und Nachteile eine inhaltliche Bestimmung dieses Leitbildes vorgenommen. Danach hat nach evangelischer Sicht ein Zusammenleben von Mann und Frau Leitbildcharakter, welches sich durch (a) Freiwilligkeit, Liebe und Zuneigung, (b) Ganzheitlichkeit (die körperliche und seelische Dimension betreffend), (c) Verbindlichkeit (im Sinne von Verlässlichkeit), (d) Dauer, (e) Partnerschaftlichkeit (im Sinne von Gegenseitigkeit und Gleichberechtigung der Partner) und (f) die grundsätzliche Möglichkeit der Entscheidung für die Geburt von Kindern auszeichnet und damit (g) einen Lebensraum für das Aufwachsen von Kinder darstellt (vgl. EKD 1996; EKD 1998).
Diese Kriterien sind nach Ansicht der evangelischen Kirche in ihrer Gesamtheit nur in Ehe und Familie zu verwirklichen. Deutlich wird auf der einen Seite der enge Verweisungszusammenhang von Ehe auf Familie, an welchem auf der Grundlage des biblischen und reformatorischen Eheverständnisses festgehalten wird. Auf der anderen Seite ist zu erkennen, dass mit dem Ideal der Partnerschaft und Gleichberechtigung auch aktuelle gesellschaftliche Vorstellungen einfließen.
Im Hinblick auf homosexuelle Paare nimmt die schon vorweggenommene Annahme der Gegengeschlechtlichkeit eine klare Einschränkung vor, nach welcher die Ehe gemäß evangelischem Verständnis nur heterosexuellen Paaren vorbehalten ist. Dies wird in einer Orientierungshilfe des Rates der EKD zum Thema “Homosexualität und Kirche” (1996) begründet, indem gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften die oben genannten Kriterien mit einer Ausnahme zugestanden werden: Der Lebensraum für Geburt und Erziehung von Kindern, eine aus evangelischer Sicht zentrale Funktion von Ehe und Familie, wird nur der Gemeinschaft von Mann und Frau zugeordnet und kann und darf aus ethischen Gründen homosexuellen Paaren nicht eröffnet werden (vgl. EKD 1996: 35f).
In rechtlicher Hinsicht kann sich die evangelische Kirche gegenwärtig auf den grundgesetzlich garantierten "besonderen Schutz" der Ehe beziehen, vor allem aber auf ein Rechtsverständnis einer auf "Lebenszeit geschlossenen Ehe", welches mit dem evangelischen Eheleitbild korrespondiert. Jedoch bemerkt der Rechtswissenschaftler M. Heinig zum protestantischen Eheverständnis, “dass viele Fragen – etwa was aus evangelischer Sicht die Ehe zur Ehe mache und welche Bedeutung der kirchlichen Trauung zukomme – [...] bisher nicht hinreichend geklärt” (Heinig, zit. nach epd-Wochenspiegel 2/2009: 8) seien. Er hält daher eine intensive theologische und kirchenrechtliche Auseinandersetzung mit dem protestantischen Eheverständnis für dringend erforderlich.
Zur Frage der Ehescheidung aus evangelischer Sicht
Die Scheidung einer Ehe ist nach evangelischem Verständnis als ein letzter Ausweg zu akzeptieren, wenn die Gemeinsamkeit des Ehepaares irreparabel zerstört ist. Sie wird als ein Weg und eine Möglichkeit betrachtet, wahrhaftig, ehrlich und im Frieden auseinanderzugehen (vgl. EKD 1998). Die evangelische Kirche bietet Paaren in Trennungs- und Scheidungsfragen Begleitung und Unterstützung im Rahmen evangelischer Ehe-, Familien- und Lebensberatung und Seelsorge an (vgl. EKD 1998; Merian 1995). Es gibt jedoch auch erste Versuche und Modelle, Gottesdienste aus Anlass einer Scheidung zu gestalten. Zwar üben sich die offiziellen liturgischen Kommissionen der Kirchen diesbezüglich nach wie vor in Zurückhaltung, aber nicht zuletzt angesichts der wachsenden Zahl der Ehescheidungen ist in Gemeinden das Bewusstsein für Fragen wie folgende gewachsen: “Haben geschiedene, sich trennende Partner Gottes Segen verwirkt? Müsste die Kirche nicht gerade Menschen in dieser schwierigen Situation einen Gottesdienst anbieten können? Einen Gottesdienst, der ihnen hilft, eine Scheidung als eine schwere, aber richtige Entscheidung, als einen Schritt im Leben zu sehen, nach dem es weitergeht?” (Josuttis 1995: 9).
3
Der Pfarrberuf
3.1
Historische Entwicklung des Pfarramtes
3.1.1
Die Bedeutung der Reformation für das Pfarramt
Die Reformation und ihr geschichtlicher und theologischer Hintergrund haben das Evangelische Pfarramt nicht nur hervorgebracht, sondern auch seine spezifische Gestalt bestimmt. Dabei sind zwei wesentliche Merkmale zu nennen, mit welchen Luther das evangelische Pfarramt versehen hat. In Abgrenzung zum Katholizismus “und einer priesterlich-kultischen Vermittlung des Heils in der Eucharistie durch einen geweihten Priester” (Sammet 2005: 71) propagierte Luther das “Priestertum aller Gläubigen”, womit er die Auffassung vertrat, dass “in der Beziehung des Menschen zu Gott keine dritte Instanz (ein Amt oder eine Kirche) vermitteln kann oder muss” (ebd.: 70). Während das Priesteramt somit allen Getauften zukommt und von ihnen in ihrer eigenen und individuellen sozialen Rolle zu verwirklichen ist, kommt dem besonderen Pfarramt die Funktion zu, die Getauften in ihrem Priestertum zu stärken, anzuleiten und ihre Einheit zu wahren. Das Zentrum des evangelischen Gottesdienstes bildet seither die Predigt, die Verkündigung von Gottes Wort, welches “der Prediger stellvertretend für den Verkündigungsauftrag der ganzen Gemeinde in der Öffentlichkeit wahrzunehmen hat” (ebd.: 70). Dabei kommt der Öffentlichkeit nach reformatorischem Verständnis eine spezifische Bedeutung zu: “Die öffentliche Verkündigung ist überindividuell, und zwar in Raum und Zeit, also dauerhaft, regelmäßig, verlässlich, und allen Menschen zugänglich.” (Grethlein 2009: 73). Aus der damit verbundenen Institutionalisierung und Professionalisierung des Predigeramtes erklärt sich die starke Stellung der Pfarrer in der evangelischen Kirche.
Die Aufgaben des Pfarrers, die Lehre des Evangeliums und die Darreichung der Sakramente, bedürfen einer rechtmäßigen Berufung, die sich rituell in der Ordination vollzieht (vgl. Grethlein 2009). Schon zu Luthers Zeiten wurden besondere Ordinationsämter geschaffen, zunächst in Wittenberg, später auch in Tübingen und anderen Orten, welche für die der Ordination vorausgehenden Prüfungen zuständig waren. Um “Diener am Wort” sein zu können, sollten die Pfarrer die Schrift im hebräischen und griechischen Urtext sowie die Kirchensprache Latein lesen können, wozu eine Ausbildung der Pfarrer notwendig wurde. Im Zuge der zunehmenden Professionalisierung des Pfarrberufs wurden die Ausbildung an einer theologischen Fakultät einer Universität sowie erfolgreich abgelegte Examina zur Voraussetzung für eine Berufung zum Pfarrer (vgl. Greiffenhagen 1984, Gennerich 2000; Grethlein 2009).
3.1.2
Frauen im Pfarramt
Das Pfarramt war von seinen Anfängen bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein exklusiv männlich, nicht zuletzt aufgrund der den Frauen über Jahrhunderte verwehrten Bildungsmöglichkeiten. Erst im Zusammenhang mit der Zulassung von Frauen zum Studium an deutschen Universitäten und Hochschulen Anfang des 20. Jahrhunderts gab es die ersten studierten evangelischen Theologinnen. Da diese jedoch weder zum Vikariat zugelassen noch ordiniert wurden, änderte sich für die Pfarramtspraxis nichts. Nach vielen Auseinandersetzungen ließ man zwischen 1960 und 1970 erstmals Frauen zur Ordination in ein Pfarramt zu. Obwohl nach wie vor Männer im Pfarramt dominieren – der Frauenanteil bei den Pfarrerinnen und Pfarrern, die in der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) im aktiven Dienst standen, lag 2005 bei knapp 30% (vgl. Grethlein 2009), in der Sächsischen Landeskirche liegt er derzeit bei 20% – ist “das Pfarramt kein geschlechtsexklusiver Beruf” mehr: “Für den Zugang zum Pfarramt spielt das Geschlecht der Bewerberinnen bzw. Bewerber zumindest formal keine Rolle.” (Sammet 2005: 94). Mittlerweile spricht Grethlein (2009) sogar von einer Tendenz zur Feminisierung des Pfarrberufs, welche sich nur deshalb erst langsam in der Gemeindepfarramtspraxis niederschlägt, weil Pfarrerinnen weitaus häufiger als Pfarrer in Teilzeitstellen und Funktionspfarrämtern arbeiten (vgl. Grethlein 2009).
Für die Zukunft lässt sich anhand der Zahl der Theologiestudentinnen ein langsamer Anstieg der Frauenquote auf ca. 40% prognostizieren (vgl. Sammet 2005). Auch Führungspositionen in der evangelischen Kirche sind Frauen heute nicht mehr verschlossen, was die Tatsache belegt, dass es in den Evangelischen Landeskirchen inzwischen mehrere Bischöfinnen gibt.
3.1.3
Aktuelle Entwicklungen im Pfarramt
Das Pfarramt ist auch in seiner Form pluraler geworden. Neben dem Gemeindepfarramt, in dem heute ca. 75% der PfarrerInnen arbeiten, sind 25% der PfarrerInnen in unterschiedlichen Funktionspfarrämtern (Krankenhausseelsorge, Gefängnisseelsorge) oder im Schuldienst tätig (vgl. Becker 2005). Auch die Zahl von eingeschränkten Dienstverhältnissen bzw. Teilzeitanstellungen ist steigend. Sogar eine Ordination ins Ehrenamt ist heute möglich.
Die Struktur des Gemeindepfarramtes verändert sich dahingehend, dass sowohl die einzelnen PfarrerInnen als auch die Gemeinden in der Tendenz stärker in größeren regionalen Strukturen eingebunden sind. Im ländlichen Raum ist die Situation, dass ein/e PfarrerIn mehrere Dörfer zu betreuen hat, bereits seit vielen Jahren Realität. Die heute aus der demographischen und finanziellen Situation der Kirche sich ergebenden Sparzwänge machen die Entwicklung weitergehender struktureller Konzepte notwendig, womit u.a. eine Tendenz zu Zusammenschlüssen von Gemeinden, Kirchenbezirken und sogar ganzen Landeskirchen verbunden ist. Dies bedeutet für das Pfarramt, das bereits heute in vielen ländlichen Gemeinden nicht mehr in jeder Kirche regelmäßige Gottesdienste angeboten und viele Pfarrhäuser nicht mehr von PfarrerInnen bewohnt werden.
3.2
Der Pfarrberuf als Profession
3.2.1
Zum Professionsbegriff
Der Pfarrberuf zählt neben den ärztlichen und juristischen Berufen (und in erweitertem Verständnis auch dem Beruf des Lehrers/der Lehrerin) zu den Professionsberufen. Professionen zeichnen sich gegenüber anderen Berufen durch eine besondere Typik und Struktur aus. Danach verfügen Professionen über ein systematisches Wissen und kontrollieren die Standards der Ausbildung und Berufsausübung selbst. Das Professionswissen “beinhaltet mehr oder minder abstrakte Kategorien, die in je unterschiedlichen Situationen konkretisiert werden. Professionen sind dann zuständig, wenn es sich um ein Problem von einzelnen Personen in einem konkreten Lebenszusammenhang handelt, welches ohne spezialisiertes Wissen nicht mehr zu bewältigen ist.” (vgl. Krech 2002: 118).
Auf diese Definition bezieht sich auch Karle (2009), indem sie in der Tatsache, “dass die Professionen mit existentiellen Problemen, die unmittelbar die menschliche Identität berühren, zu tun haben, und damit mit Problemen, die für die Individuen ungewöhnlich riskant und persönlich sind (Gesundheit, Recht, Trost/Glaube, die Bildung von Identität)” (Karle 2009: 3), den Grund dafür sieht, dass Vertrauen und Glaubwürdigkeit eine so wesentliche Rolle für die Professionen spielen. Die zentrale Bedeutung von Vertrauen und Glaubwürdigkeit führt zu einer engen Kopplung von Person und Beruf. So ist ein wesentliches Kennzeichen von Professionen für Karle (2009), “dass sie allesamt keine strikte Trennung von Person und Beruf vorsehen und Bindungen für die gesamte Lebensführung erzeugen” (Karle 2009: 3). Aus diesem Grund sind die inhaltliche und die interaktiv-berufsethische Seite professioneller Arbeit untrennbar miteinander verbunden. Für den Pfarrberuf bedeutet dies, dass eine Predigt dann auf Resonanz stößt, wenn die ZuhörerInnen den Eindruck gewinnen, dass sie für die Pfarrerin oder den Pfarrer selbst etwas bedeutet und die verkündete Botschaft etwas mit ihrem oder seinem Leben zu tun hat (vgl. Karle 2009).
Ein weiteres Kennzeichen der Professionen ist eine weitgehende Handlungsautonomie und eine relativ starke Asymmetrie, “die durch das Verhältnis zwischen dem Professionsinhaber, der monopolartig über Expertenwissen verfügt, und dem Professionslaien, der davon in spezifischer Weise abhängig ist, konstituiert wird” (ebd.: 4).
3.2.2
Zum Verhältnis von Pfarrberuf und Kirche
Das Professionsverständnis des Pfarrberufs ist bis heute eng gekoppelt an die Organisationsform der Kirche als einem “hierarchischen Anstaltsbetrieb” (Weber 1980, zit. n. Tyrell 2002: 110), welcher sich nach dem Parochialprinzip territorial in gleichwertig nebeneinander bestehende gleichartige Gemeinden gliedert. Tyrell (2002) bezeichnet diese Form organisatorischer Differenzierung als “Segmentierung”, da jede Parochie für sich die Kirche als Ganzes repräsentiert und eine Arbeitsteilung ausgeschlossen ist. Daraus ergibt sich für die PfarrerInnen, welche als “Professionelle” der Kirche einer Parochie zugeordnet sind, “die Gleichrangigkeit und potentielle Gleichzuständigkeit jedes einzelnen professionellen Praktikers” (Stichweh 1994, zit. nach Tyrell 2002: 111). Der Gleichheit der Parochien entspricht die Kompetenzgleichheit der Professionellen, Luhmann (1972) spricht vom “System parochialer Segmentierung, wo jeder seine Kanzel hat” (zit. n. Tyrell 2002: 112). Anders als in anderen Professionen, bei welchen sich inzwischen eine funktionale Differenzierung in Spezialgebiete vollzogen hat, sind GemeindepfarrerInnen durch die Kopplung von Professionalisierung und Segmentierung bis heute “Generalisten” (Karle 2001, Tyrell 2002). Sie sind außerdem – im Unterschied zu anderen Professionen – nicht selbstständig, sondern seit dem 20. Jahrhundert beamtete RepräsentantInnen der Kirche, von welcher sie eingesetzt und entlohnt werden
und deren Beamtenrecht sie unterstehen (vgl. Tyrell 2002; Grethlein 2009).
Die der Profession innewohnende Kopplung von Person und Beruf ist somit in der Kirche eine Kopplung von Person und Amt. Die in diesem Verhältnis angelegte Spannung muss heute jedoch hauptsächlich auf personaler Seite bewältigt werden:
Das Verhältnis des Pfarrers zur Institution Kirche ist nicht nur ein personalrechtliches, sondern beruht zentral auf der Identifikation mit religiösen Inhalten. Durch diese Verbundenheit kann eine veränderte objektive Situation der Kirche auf die PfarrerInnen einen hohen Druck erzeugen, der nicht – wie in anderen Berufen – durch Abgrenzungsmechanismen bewältigt werden kann.
3.2.3
Deprofessionalisierungstendenzen im Pfarrberuf
Im Zuge der zunehmenden gesellschaftlichen Individualisierung und Pluralisierung von Lebensformen und Biographiemustern sowie der Komplexität der modernen Kommunikations- und Wissensgesellschaft ist bei fast allen Professionsberufen eine Tendenz zur Deprofessionalisierung zu erkennen. So erleben neben PfarrerInnen auch ÄrztInnen und LehrerInnen einen Verlust an professioneller Autorität.
Auf den Pfarrberuf trifft dies jedoch in besonderer Weise zu. Zum einen hat der Prozess der Säkularisierung zu einem Akzeptanzverlust christlichen Glaubens und einer “schleichenden Marginalisierung” (Grethlein 2009) der Kirche in der Gesellschaft geführt, so dass für PfarrerInnen “der objektive Bedarf für professionelles Handeln nicht in gleicher Selbstverständlichkeit gegeben ist, wie das zum Beispiel bei Medizinern, Juristen, Psychologen oder Lehrern der Fall ist” (Krech 2002: 124f). Dies hat auch den Pfarrberuf eines Teils seiner Autorität beraubt. Während sich früher die PfarrerInnen auf die Autorität des Amtes stützen konnten, stützt sich heute das Pfarramt auf die personale Autorität und das Charisma der AmtsinhaberInnen (vgl. Dubied 1995, Grethlein 2009).
Diese gesellschaftlichen Tatsachen sowie der zunehmende Organisationscharakter der Kirche führen auch innerhalb der Kirche zu einer Neubestimmung des Pfarrberufs mit der Tendenz zur Deprofessionalisierung. Betroffen davon sind sowohl die Kernkompetenzen, die Handlungsautonomie als auch der Status von PfarrerInnen.
So wird die Kernkompetenz der PfarrerInnen, die Theologie, “im Hinblick auf ihre professionsspezifische Brauchbarkeit und im Hinblick auf ihre kirchenleitendes Handeln reflektierende und orientierende Funktion” innerhalb der Kirche zunehmend in Frage gestellt. In einer Pfarrerzufriedenheitsuntersuchung benannten nur 9,4% der befragten PfarrerInnen die theologisch-wissenschaftliche Kompetenz als relevante Berufsfähigkeit. Religiöses Expertenwissen und theologische Inhalte, die eigentlichen Kernelemente des Pfarrberufs, spielen im Berufsalltag der PfarrerInnen eine immer geringere Rolle (vgl. Karle 2009: 4). Dagegen beobachtet Krech (2002) eine “tendenzielle Überfrachtung des Pfarramts”, die den Pfarrer über seine ursprünglichen Aufgaben hinaus zum “Manager eines mittleren Unternehmens” macht (Krech 2002: 123). Der Pfarrberuf ist zunehmend durch eine innere Spannung zwischen kirchenamtlichen Erwartungen und dem konkreten professionsspezifischen Handeln gekennzeichnet. Grethlein (2009) beschreibt hier den schwierigen Spagat zwischen dem Vertreten der kirchlichen Lehre und einer lebensweltorientierten, jedoch unspezifischen Begleitung der Menschen, die von den PfarrerInnen die Integration von theologischen und kommunikativen Kompetenzen verlangt (vgl. Grethlein 2009).
Auch die Handlungsautonomie der PfarrerInnen in ihren Gemeinden steht zunehmend in Frage, wenn im Selbstverständnis von Kirche als einer modernen Organisation, wie es u.a. in der Programmschrift “Kirche der Freiheit” (EKD 2006) formuliert ist, “einer Formalisierung und Zentralisierung des Leitungshandelns Vorschub geleistet” wird (Karle 2009: 5). Infolgedessen wird alles kirchliche Handeln gesamtkirchlichen Zielen untergeordnet und orientiert sich vorwiegend an der Außenwirkung der Kirche. Für Pfarrerinnen und Pfarrer bedeutet dies, dass ihre Bindung an Schrift, Bekenntnis und Gemeinde hinter den Ansprüchen der Organisation zurücktritt und sie zu bloßen “Funktionsträgern” und “Filialleitern” der Institution Kirche werden (vgl. ebd.). Die eigenen beruflichen und persönlichen Bedürfnisse geraten aus Sicht vieler PfarrerInnen in zunehmenden Widerspruch zu einer zentralistisch organisierten Amtskirche, wie die hohe Unzufriedenheit mit den Kirchenleitungen bei den Befragungen zur Pfarrerzufriedenheit ergab (vgl. Höhmann 2005: 56ff).
Indem die Kirche den Innovations- und Veränderungsdruck, unter welchem sie aufgrund demographischer, gesellschaftlicher und ökonomischer Prozesse gegenwärtig steht, jedoch unvermittelt an die PfarrerInnen und kirchlichen MitarbeiterInnen weitergibt, überschätzt sie zum einen die realen Steuerungsmöglichkeiten und zum anderen die Kraft und Belastbarkeit der Pfarrer- und Mitarbeiterschaft. Die zunehmende Zahl von Burnout-Fällen bei PfarrerInnen ist jedoch, so Karle, nicht nur ein Beweis von hoher Arbeitsbelastung, sondern ebenfalls die Konsequenz von Ent-Identifikation (vgl. Karle 2009).
Die Vielfalt der Lebensformen hat auch zu Pluralisierung innerhalb der Gemeinden geführt. Die höchst unterschiedlichen Motive und Formen kirchlicher Partizipation – auf die Typologien und Ansätze soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden – haben gemeinsam, dass “der biographische Bezug zur kirchlichen Handlung entscheidend für die (Nicht-)Teilnahme ist” (Grethlein 2009: 68). Diese gegenwärtigen Differenzierungs- und Pluralisierungsprozesse in den Gemeinden sind mit neuen Anforderungen an die PfarrerInnen verbunden. Die Integration unterschiedlichster Menschen und Bereiche in die Gemeindearbeit, die Koordination und Motivation haupt- und ehrenamtlicher MitarbeiterInnen erfordert vor allem soziale Kompetenzen wie Teamfähigkeit und Kommunikationsbereitschaft. Dies relativiert und verändert die Rolle und den Status der PfarrerInnen (vgl. Krech 2002). Dem Pfarrer kommen in Zukunft “als leitendem Geistlichen” vor allem erwachsenenbildnerische Vermittlungs- und organisationsspezifische Personenführungsfunktionen zu (vgl. Grethlein 2009).
Auf der Ebene der PfarrerInnen lässt sich die Tendenz zur Deprofessionalisierung in dem verstärkt geäußerten Wunsch nach einer deutlicheren Trennung von Berufs- und Privatleben erkennen. Während die Handlungsautonomie und die Gestaltungsspielräume im Gemeindepfarramt eine wesentliche Quelle der Berufszufriedenheit der PfarrerInnen darstellen, wird die Überschneidung von Berufs- und Privatleben von vielen PfarrerInnen immer öfter als Zumutung empfunden (vgl. Dautermann 2005; Becker 2005). Karle (2009) weist darauf hin, dass zwischen der Kopplung von Person und Amt im Pfarrberuf, dem Berufsethos des Pfarrberufs sowie der Autonomie und Autorität von PfarrerInnen ein enger Zusammenhang besteht. Der Verlust eines professionellen Elements hätte demnach zwangsläufig auch Auswirkungen auf andere konstituierende Elemente des Pfarrberufs: “Die professionelle Autonomie wird zwangsläufig abnehmen, je mehr der Pfarrberuf von der Person, die ihn ausübt, abgekoppelt wird, das Vertrauen in die Person des Pfarrers sich damit reduziert und der Regulierungs- und Standardisierungsbedarf, wie in vielen anderen Berufen auch, zugleich steigt” (Karle 2009: 4). Jedoch konstatiert sie zu den mit dem pastoralen Berufsethos verbundenen Verhaltensnormen, speziell bezüglich Lebensstil und Lebensform in der heutigen Zeit “deutlich wahrnehmbare Veränderungen im Hinblick darauf [...], was als glaubwürdig gilt und was nicht” (ebd.: 4). So ist beispielsweise eine Ehescheidung eines Pfarrers oder einer Pfarrerin kein prinzipielles Glaubwürdigkeitsproblem mehr. Dass jedoch nach wie vor Verhaltensnormen und -erwartungen mit dem Berufsethos des Pfarrberufs verbunden sind, bestätigen die Ergebnisse der neuesten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD, nach der 70% der befragten Gemeindeglieder die Erwartung, dass der Pfarrer oder die Pfarrerin ein Vorbild sein sollte, für wichtig oder sehr wichtig hielten (siehe Kap.
3.4.2). Die Erwartungen von Seiten der Gemeinden und das Selbstbild der PfarrerInnen, welche dieses Pfarrerbild mehrheitlich zurückweisen, klaffen in dieser Frage deutlich auseinander.
3.3
Der Pfarrberuf aus der Perspektive der EVLKS
In der Sächsischen Landeskirche als einer Gliedkirche der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) gilt das Pfarrergesetz der VELKD (PfG). Es regelt das Dienstverhältnis der Pfarrer und Pfarrerinnen, welches in der Regel ein Dienstverhältnis auf Lebenszeit ist (§1 PfG). Dieser Dienst erfährt seine Bestimmung und Begrenzung durch den göttlichen Auftrag der Kirche, aus welchem sich Rechte und Pflichten von Pfarrern bemessen lassen (§2 PfG). Rechte und Pflichten von Pfarrern und Pfarrerinnen ergeben sich ebenfalls aus dem kirchengesetzlich geregelten öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis zur VELKD bzw. zur Landeskirche Sachsens als einer ihrer Gliedkirchen (§3 Abs.1 PfG). So haben Pfarrer und Pfarrerinnen ein Recht auf Schutz im Dienst sowie auf Fürsorge für sich und ihre Familie (§3, Abs. 2 PfG). Sie unterstehen der Lehr- und Dienstaufsicht und sind damit auch verpflichtet, sich visitieren zu lassen (§3 Abs. 3 PfG). Die Agenden sowie die kirchlichen Gesetze und kirchlichen Ordnungen haben für Pfarrer und Pfarrerinnen verbindlichen Charakter (§3 Abs. 4 PfG).
3.3.1
Die Ordination
Mit der Ordination werden den angehenden Pfarrern und Pfarrerinnen “Auftrag und Recht zur öffentlichen Wortverkündung und zur Sakramentsverwaltung übertragen” (§4 Abs. 1 PfG), welche auf Lebenszeit angelegt sind. Laut §4 Abs. 2 PfG sind die Ordinierten durch die Ordination verpflichtet, “das anvertraute Amt in Gehorsam gegen Gott und Treue zu führen, das Evangelium von Jesus Christus, wie es in der Heiligen Schrift gegeben und im Bekenntnis der evangelisch-lutherischen Kirche bezeugt ist, rein zu lehren, die Sakramente ihrer Einsetzung gemäß zu verwalten und sich in ihrer Amts- und Lebensführung so zu verhalten, wie es dem Auftrag entspricht”. Vor der Entscheidung zur Ordination führt der Ordinator ein Gespräch mit dem zu Ordinierenden, indem die Bedeutung der Ordination und die Voraussetzungen für die Übernahme des Pfarrdienstes besprochen werden (§5 Abs. 2 PfG). Nach §5 Abs. 3 PfG gibt es jedoch auch die Möglichkeit, die Ordination zu versagen.
Vor der Ordination haben die zu Ordinierenden schriftlich ihre Bereitschaft zu erklären, die mit der Ordination einzugehenden Verpflichtungen zu übernehmen (§6 Abs. 1 PfG). Die Ordination selbst wird im Ordinationsgottesdienst nach der Ordnung der Agende vollzogen.
3.3.2
Das Dienstverhältnis
Nach einer erfolgreich absolvierten wissenschaftlichen und praktischen Ausbildung, welche sich aus dem Hochschulstudium der Theologie und dem kirchlichen Vorbereitungsdienst (Vikariat) zusammensetzt, können die PfarramtskandidatInnen in den Probedienst übernommen werden, an dessen Beginn die Ordination steht (§11ff PfG). Der Probedienst ist auf drei Jahre befristet (§13 Abs. 2 PfG). PfarrerInnen auf Probe werden dabei mit der Verwaltung einer Pfarrstelle betraut. In der Regel endet der Probedienst mit der Berufung in ein Pfarrerdienstverhältnis auf Lebenszeit (§15 PfG), welche mit der Übertragung einer Pfarrstelle oder einer allgemeinkirchlichen Aufgabe verbunden ist (§23 PfG).
3.3.3
Der Dienstauftrag
Nach §31 PfG haben PfarrerInnen, denen eine Pfarrstelle übertragen ist, Auftrag und Recht zur öffentlichen Wortverkündung und zur Sakramentsverwaltung in ihrer Gemeinde. Damit verbunden ist die Leitung von Gottesdiensten, die Vornahme von Amtshandlungen, die christliche Unterweisung und die Seelsorge (§32 PfG). Außerdem obliegen ihnen Aufgaben in der Verwaltung, der pfarramtlichen Geschäftsführung, der Kirchenbuchführung und in Geld- und Vermögensangelegenheiten (§33 PfG).
3.3.4
Das Verhalten der Pfarrer
In Gemeinde und Kirche
In der Gemeinde sind die PfarrerInnen verpflichtet, das Beichtgeheimnis zu wahren (§41 PfG). Innerhalb der Kirche haben sie den Anweisungen ihrer Dienstvorgesetzten nachzukommen (§43 PfG). Sie sind desweiteren zur vorübergehenden Vertretung anderer PfarrerInnen verpflichtet (§44 PfG). Nach §45 PfG haben PfarrerInnen die Pflicht, am Dienstsitz zu wohnen und die für sie bestimmte Dienstwohnung zu beziehen. Sie haben sich außerhalb des Urlaubs in ihrem Dienstbereich aufzuhalten (§46 PfG). Außerdem sollen PfarrerInnen die Würde des Amtes wahren und bei Gottesdiensten und Amtshandlungen die vorgeschriebene Amtskleidung tragen (§49 PfG).
In der privaten Lebensführung
Die Lebensführung ist ein im Zusammenhang mit dem Pfarramt oft verwendeter Begriff. Schon Weber (1920), der den Begriff der “methodischen Lebensführung” das erste Mal im Zusammenhang mit der protestantischen Arbeits- und Berufsethik verwendete, stellte einen Zusammenhang zwischen religiösen Werten und der Lebensführung her. Heute wird in der Soziologie in Abgrenzung zum Lebensstil meist von der “Alltäglichen Lebensführung” gesprochen, die den alltagspraktischen Zusammenhang aller Tätigkeiten einer Person in den verschiedenen Lebensbereichen definiert. Der Begriff wird im kirchlichen Kontext jedoch eher dem Alltagsverständnis entsprechend als ein aktiv zu gestaltender Umgang mit dem eigenen Leben verstanden. Im sozialen Feld der Kirche, speziell des Pfarramtes, besitzt dieser Begriff zudem eine klar religiöse Konnotation im Sinne einer christlichen, dem Evangelium entsprechenden, “gottgefälligen” Lebensführung.
Nach §51 PfG sind Pfarrer und Pfarrerinnen auch in ihrer Lebensführung in Ehe und Familie ihrem Auftrag verpflichtet. Damit erklärt das Pfarrerdienstrecht das Verhalten von PfarrerInnen durchweg für relevant, auch wenn es sich um Verhalten in Ehe und Familie oder Öffentlichkeit handelt. Dienstliches und außerdienstliches Verhalten werden deshalb im Pfarrerdienstrecht noch weniger geschieden, als dies im staatlichen Beamtenrecht möglich ist.
“Die Kirche, in deren Dienst sich ein Pfarrer aus freiem Willen gestellt hat, darf jedoch von ihm erwarten, dass er die für seinen Dienst bedeutsamen Bereiche seiner Lebensführung nicht ausschließlich als Privatsache behandelt.” (EKD 1981: 20). In diesen Grenzen hat die Kirche im Rahmen ihres Selbstbestimmungsrechtes und ihrer Ämterautonomie das Recht und die Freiheit, die Voraussetzungen für die Übertragung ihrer Ämter eigenständig zu regeln und dabei die Zusammenhänge zwischen Verkündigungsauftrag und persönlichem Verhalten einzubeziehen (vgl. ebd.: 20). Zu den rechtlichen Bestimmungen im Bezug auf die Lebensführung in Ehe und Familie siehe Kap.
4.3.
In der Öffentlichkeit
Auch die Übernahme von Nebentätigkeiten, Tätigkeiten in Körperschaften und Vereinen sowie von politischen Ämtern wird im Pfarrergesetz reglementiert.
3.4
Der Pfarrberuf aus der Perspektive der Gemeindepraxis
3.4.1
Die Rollen und Aufgaben im Pfarrberuf
Der Pfarrberuf ist durch eine Vielzahl unterschiedlicher Rollen gekennzeichnet. Grundsätzlich ist das Professionswissen der PfarrerInnen in drei große Bereiche, “in belehrende (unterrichtende), darstellende (gottesdienstliche) und begleitende (diakonische) Funktionen” (Rössler 1994, zit. n. Gennerich 2000: 73) zu untergliedern. Eine detailliertere Zusammenstellung der unterschiedlichen Rollen des Pfarrberufs liefert Gennerich (2000) in seiner Studie über Vertrauen, welches er am Beispiel der Beziehung von Gemeindegliedern zu ihrem Pfarrer/ihrer Pfarrerin untersuchte (Gennerich 2000, 74ff.). Er ordnet die einzelnen Funktionen in einem zweidimensionalen Beziehungsraum den Dimensionen
personale vs. soziale Identität und
individuell selektive vs. professionell definierte Thematik zu:
PfarrerInnen sind
Mitchristen (soziale Identität/individuell selektive Thematik)
. Im Vordergrund steht eine geschwisterliche Beziehung zum Pfarrer und zur Pfarrerin, z.B. im Austausch über spirituelle Erfahrungen im Bibelkreis .
PfarrerInnen sind
Seelsorger (soziale Identität/individuell selektive Thematik). Dabei wird Seelsorge (in engerem Sinn) in Bezug zum göttlichen Auftrag verstanden und bezieht sich schwerpunktmäßig auf Probleme im Bereich des Glaubens und Gewissens, auf Krankheit und Tod.
PfarrerInnen sind
Therapeuten (personale Identität/individuell selektive Thematik). Bei Problemen im Bereich Familie, Partnerschaft und Erziehung hören sie zu, helfen und beraten. Viele Gemeindemitglieder wünschen sich ihre PfarrerInnen als Therapeuten bzw. Seelsorger im weiteren Sinne. Während professionelle Therapeut-Klient-Beziehungen durch eine professionelle Distanz geprägt sind, wird die Beziehung zum Pfarrer/zur Pfarrerin als eher nah und persönlich beschrieben. Die persönliche Beziehung zum Pfarrer oder zur Pfarrerin scheint sogar den Ausschlag dafür zu geben, dass man ihn oder sie als Berater(in) überhaupt in Anspruch nimmt.
PfarrerInnen sind
kirchliche Begleiter an den Wendepunkten des Lebens (professionell definierte Thematik). Für viele Kirchenmitglieder besteht eine wesentliche Funktion der Kirche in der Leitung der Passageriten, auch Kasualien genannt, wie z.B. Taufe, Konfirmation, Hochzeit und Beerdigung.
PfarrerInnen sind
Führer ins Heilige (soziale Identität). Sie stellen in Gottesdienst und Predigt eine Verbindung zwischen der Lebenswelt der Menschen und transzendenten göttlichen Weisungen und Sinndeutungen her. “Pfarrer und Pfarrerinnen haben sich jenen Expeditionen und Exerzitien zu widmen, in denen, soweit das menschenmöglich ist, eine Annäherung an den Machtbereich des Heiligen versucht wird. Pfarrer haben deshalb hauptsächlich mit religiösen Ritualen und Symbolen zu tun.” (Josuttis 1996: 85).
PfarrerInnen sind
Evangelisten (soziale Identität/professionell definierte Thematik). In der Literatur bezieht sich diese Rolle häufig auf den missionarischen Gemeindeaufbau. Angesichts sinkender Mitgliederzahlen in allen Kirchen und einer allgemeinen Kirchenferne in den neuen Bundesländern ist die Evangelisation, d.h. die Hinführung der Menschen zum christlichen Glauben, heute wieder ein wichtiges kirchliches Thema.
PfarrerInnen sind
Lehrer (soziale Identität/professionell definierte Thematik). Viele Kirchenmitglieder erwarten von der Kirche, dass sie “Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens gibt” (Engelhardt et al. 1997: 381) und Verantwortung für die religiöse Erziehung der Kinder übernimmt. PfarrerInnen übernehmen diese Funktion im Konfirmandenunterricht und im Religionsunterricht an Schulen. Dabei hat dieser Unterricht doppelten Charakter: Vermittlung von Sachwissen und Einübung im Glauben.
PfarrerInnen sind
Sozialarbeiter (personale Identität/professionell definierte Thematik). Menschen mit einem sozial orientierten Gewissen erwarten, dass PfarrerInnen sich um soziale Probleme in der Gemeinde kümmern. Der charitative bzw. diakonische Aspekt der Kirche, “Gutes zu tun” und “sich um Arme, Alte und Kranke zu kümmern” (ebd.: 381), wird vor allem in der Gemeinwesenarbeit mit der Pfarrerrolle verknüpft.
PfarrerInnen sind
Organisatoren und
Koordinatoren (personale Identität/professionell definierte Thematik). Die Kirche als Gemeinschaft mit Gleichgesinnten, als Ort der Freizeitgestaltung und als Raum für persönliches und ehrenamtliches Engagement hat für viele Gemeindemitglieder eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Die Organisation des Gemeindelebens und die Koordination haupt- und ehrenamtlicher Mitarbeiter sind zentrale Aufgaben von Pfarrern und Pfarrerinnen.
PfarrerInnen sind
Vorbilder (individuell selektive Thematik). Als solche werden sie vor allem in den Bereichen Ehe, Familie, Individualität, Engagement und Frömmigkeit beansprucht, wobei Interessen im Bereich Moral und Tradition dabei eine zentrale Rolle spielen. PfarrerInnen sollen demnach beispielhaft vorleben, wie sich eine christliche Lebensorientierung verwirklichen lässt (vgl. Gennerich 2000).
Hinzuzufügen ist die Funktion der PfarrerInnen als
Verwalter. Dies betrifft zum Beispiel die Bereiche Gemeindeverwaltung, Bau- und Immobilienangelegenheiten, Finanzen, Friedhöfe.
3.4.2
Die Erwartungen der Gemeinde
Im Zusammenhang mit der vierten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD im Jahr 2002 wurde auch nach Erfahrungen und Erwartungen der Kirchenmitglieder im Hinblick auf den Pfarrer bzw. die Pfarrerin gefragt. Im Folgenden sollen lediglich Kontaktwünsche und Erwartungshaltungen thematisiert werden. Dabei wird auf die Unterschiede in West- und Ostdeutschland eingegangen, weil sie in kirchlich-religiöser Hinsicht aufgrund der verschiedenen Mehrheits- und Minderheitsverhältnisse und der damit verbundenen unterschiedlich starken Kirchenbindung für die vorliegende Arbeit eine Relevanz besitzen. Zum anderen wird auch auf die Unterschiede zwischen den Lebensstilen eingegangen, die für die vorliegende Arbeit als ebenso relevant eingeschätzt werden.
Kontakt zum Pfarrer/zur Pfarrerin
Der Untersuchung zufolge hatten nur 54% (West) bzw. 58% (Ost) der Befragten schon persönlichen Kontakt zu ihrer Pfarrerin oder ihrem Pfarrer, während jeweils 15% sie oder ihn gar nicht kannten. Nur 27% (West) bzw. 35% (Ost) der Befragten bewerteten den persönlichen Kontakt mit der Pfarrerin bzw. dem Pfarrer als wichtig oder sehr wichtig.
Hinsichtlich der Lebensstile der Befragten korrelierte der Grad des Interesses am persönlichen Kontakt zum Pfarrer oder zur Pfarrerin deutlich mit der Kirchenbindung, dem Gottesdienstbesuch und der Beteiligung der Befragten in Kirche und Gemeinde. Besonders hoch ist dieses Interesse demzufolge bei den (vornehmlich älteren) hochkulturell-traditionsorientierten und gesellig-traditionsorientierten Kirchenmitgliedern, von denen 60% bzw. 46% den persönlichen Kontakt als wichtig und sehr wichtig empfanden. Dagegen äußerten bei den unter 40jährigen nur noch ein Viertel, im jugendkulturell-modernen Lebensstil nur noch 10% eine solche Wertschätzung. Daher kommen die Autoren zu dem Schluss, dass “ein solcher persönlicher Kontakt in der Zukunft eher weniger wichtig sein könnte” (Schulz 2006: 51).
Erwartungen und Ansprüche an den Pfarrer/die Pfarrerin
Interessanterweise korreliert der Wunsch nach persönlichem Kontakt nicht eindeutig mit den Ansprüchen und Erwartungen an die Pfarrerin oder den Pfarrer: “Auch wer auf den persönlichen Kontakt verzichten kann, möchte häufig dennoch, dass Pfarrerinnen und Pfarrer bestimmte Dinge tun oder ein bestimmtes Profil kirchlichen Handelns repräsentieren” (Schulz 2006: 52).
Dies betrifft vor allem die kirchliche Hinwendung zu Menschen in Krisen und Veränderungssituationen und hat sich damit in den letzten Jahrzehnten anscheinend nur wenig verändert. Dahm benannte 1972 die Erwartungen an die Kirche im Blick auf die unterschiedlichen Lebenssituationen wie folgt: “Im einzelnen geht es in diesem Funktionsbereich zunächst darum, dass den Menschen zur Bewältigung von akuten Krisen (Trauer, Krankheit, Familienkonflikt, schuldhaftes Versagen) und von eingeschränkten Lebensmöglichkeiten (Einsamkeit, Alter, Gebrechlichkeit) eine seelsorgerliche Begleitung zuteil wird. [...] Zweitens denkt man an die Bewältigung und gewissermaßen auch die öffentlich-soziale Darstellung und Anerkennung der großen Wendestationen im Lebenslauf (Pupertät, Eheschließung, Elternschaft, Ablösung der Kinder, Verwitwung).” (Dahm 1972: 121f). Noch heute ist die Bedeutung der Pfarrerinnen und Pfarrer – unabhängig vom Lebensstil der Befragten – im Wesentlichen durch die Erwartung an die Begleitung an Wendepunkten des Lebens sowie an seelsorgerlich-soziales Handeln geprägt. So wurden die Seelsorge von 79% (West) bzw. 85% (Ost), die Sorge um Menschen in sozialen Notlagen von 75% (West) bzw. 82% (Ost) und die Begleitung der Menschen an den Wendepunkten des Lebens von 79% (West) bzw. 87% (Ost) der Befragten als wichtige Aufgabe von PfarrerInnen benannt (vgl. Schulz 2006).
Dagegen wurde die Verkündigung und die ansprechende Ausgestaltung der Gottesdienste im Westen von nur 69%, im Osten Deutschlands jedoch von 82% der Befragten als zentrale Aufgabe der PfarrerInnen gesehen.
Neben dem deutlichen Ost-West-Unterschied werden bezüglich der pastoralen Aufgabe der Verkündigung auch Differenzen zwischen den Lebensstilen deutlich, indem vor allem die kirchenferneren Mitglieder bezogen auf die Vermittlung christlich-religiöser Inhalte und der Gottesdienstausgestaltung bedeutend geringere Erwartungen an die PfarrerInnen äußerten (nur 56% des jugendlich-modernen Lebensstils hielten dies für wichtig) (vgl. ebd.). Jedoch scheint auch dieser Sachverhalt nicht wirklich neu zu sein. So zeigt Kehrer schon 1967, “dass gerade bei der professionell definierten Thematik des kirchlichen Begleiters, der für Taufe, Konfirmation, Trauung und Beerdigung von etwa 90% der Mitglieder in Anspruch genommen wird, religiöse und theologische Bezüge in der Vorstellungswelt der ‘Klienten’ weitgehend fehlen können” (Gennerich 2000: 80).
Von der Pfarrerin oder dem Pfarrer erwarten 66% der westdeutschen und 83% der ostdeutschen Kirchenmitglieder, dass sie oder er in ihrem Lebenswandel ein Vorbild für die Gemeinde darstellt. Obgleich die in den traditionsorientierten Lebensstilen repräsentierten hauptsächlich älteren und kirchenverbundenen Kirchenmitglieder diesbezüglich die höchsten Erwartungen äußern, haben auch zwischen 60% und 65% der die jüngeren bzw. kirchenferneren Kirchenmitglieder repräsentierenden Lebensstile hohe Erwartungen an die Vorbildfunktion von PfarrerInnen. “Auch wer ansonsten wenig Kontakt zur Kirche hat und nur geringen Wert auf einen persönlichen Kontakt zur Pfarrerin der Ortgemeinde oder gar auf Hausbesuche legt, äußert im Blick auf diese Berufsgruppe klare Vorstellungen.” (Schulz 2006: 54).
Die Hälfte aller Befragten (48% bzw. 58%) sind zudem der Meinung, dass PfarrerInnen andere haupt- und ehrenamtliche MitarbeiterInnen an der Verantwortung für die Gemeindearbeit beteiligen sollten und den Gemeindemitgliedern helfen sollen, eigene Interessen und Fähigkeiten in Kirche und Gemeinde einzubringen (47% bzw. 55%). Die Stellungnahme zu politischen Konflikten, der Hausbesuch und der interreligiöse Dialog bilden die Schlusslichter in der Reihe der Erwartungen an Pfarrerinnen und Pfarrer, wobei dafür zum einen die Kirchennähe und Kirchenferne (Hausbesuch), zum anderen jedoch lebensstiltypisches Interesse bzw. Desinteresse ausschlaggebend ist (vgl. Schulz 2006).
Aufgrund dieser Ergebnisse kann formuliert werden, dass für die Mehrheit der Kirchenmitglieder “die Erwartungen an Pfarrerinnen und Pfarrer einerseits und konkrete Beziehungen zu ihnen andererseits voneinander verhältnismäßig unabhängig” sind (ebd.: 54). Deutlich wird ebenfalls, dass in den ostdeutschen Bundesländern der persönliche Kontakt und die Aufgaben der PfarrerInnen eine höhere Bedeutung für die Kirchenmitglieder haben als in den westdeutschen Bundesländern.
3.4.3
Die Vorbildfunktion
Die mit der Pfarrerrolle verbundene Vorbildfunktion, von Harms (1888) auf die kurze Formel “Am Prediger predigt alles.” (Harms zit. nach Winkler 1990: 88) gebracht, ist ein wesentlicher Grund für die enge Kopplung von beruflichem und privatem Leben im Pfarrberuf. Die moderne Diskussion um das Pfarrerbild prägte insbesondere Josuttis in den letzten Jahrzehnten. In Texten wie “Der Pfarrer ist anders” (1982) und “Das heilige Leben” (1990) arbeitete er heraus, was den Pfarrberuf von anderen Berufen unterscheidet: “Wer diesen Beruf ergreift, lässt sich nicht einfach auf einen Job ein, den man nach Feierabend vergessen kann, sondern begibt sich in den Wirkungsbereich eines Gesetzes, das unter Umständen zerstörerische Kraft über das eigene Leben gewinnen kann. Das Heilige fordert ein heiliges Leben. Religion ist kein Konsumartikel, Religion kostet die eigene Person.” (Josuttis 1990: 13). Sowohl der Anspruch als auch die Problematik wird hierin deutlich. Der Pfarrer oder die Pfarrerin wird einerseits für den Dienst am Heiligen gesellschaftlich freigestellt, hat andererseits aber die Lebensfähigkeit der Religion in seinem eigenen Leben zu demonstrieren, überspitzt ausgedrückt: “Er/Sie wird dafür bezahlt, dass er/sie so lebt, wie man leben soll und wie die anderen aus verschiedenen Gründen nicht mehr leben wollen oder nicht leben können.” (ebd.: 14). Die Übertragung der Erwartung vorbildlicher Lebensführung, welche PfarrerInnen stellvertretend für die normalen Menschen durch ihre Lebenspraxis erfüllen sollen, wird in der Literatur an unterschiedlichen Stellen angesprochen (vgl. Josuttis 1990; Ziemer 1990).
Jedoch stellt Winkler (1990) mit dem Blick auf pastoraltheologische Literatur heraus, dass eine nur für PfarrerInnen geltende Sonderethik theologisch zwar nicht begründbar ist, jedoch empirisch erwartet wird. Anhand 1. Timotheus 4, 12: “Sei den Gläubigen ein Vorbild im Wort, im Wandel, in der Liebe, im Glauben, in der Reinheit.” beschreibt er den Wandel, der sich im Verständnis der Vorbildfunktion vollzogen hat. So wurde der normative Begriff des Vorbildes in moderneren Texten zunächst durch den Begriff des “Beispiels” ersetzt sowie seine symbolische bzw. paradigmatische Bedeutung betont. “Zum Zusammenhang von Religion und Leben gehört fundamental die Erfahrung des Schuldigwerdens und der Vergebung” (Winkler 1990: 86).
Gegenüber einer Betonung der Vorbildlichkeit im Sinne dargestellter Subjektivität betont Steck (1991) den Aspekt der Professionalität. Die professionelle Kompetenz des Pfarrers liege darin, “die Lebenswelt seines Gegenübers in den der beruflichen Wahrnehmung fremder Lebenspraxis gesetzten Grenzen zu verstehen, dessen Praxis zu beurteilen und aufgrund verständigen Urteils in der beruflichen Begegnungssituation verantwortungsbewusst zu handeln” (Steck 1991: 321). Auch Karle (1999) argumentiert, dass die Erwartung der Vorbildlichkeit nicht eine christliche Lebensführung per se betreffe, sondern sich “auf das für eine wirksame Berufsausübung erforderliche Vertrauen der Gemeinde” beziehe (Karle 1999: 6). Denn entscheidend sei: “Die Pfarrerin muss nicht alles selbst tragen, selbst jederzeit authentisch vertreten können oder ständig ihre eigene Subjetivität darstellen. Sie vertritt ein Amt, eine Sachthematik, die auch unabhängig von ihr Sinn und Bedeutung hat.” (ebd.: 9).
Gennerich (2000) kommt in seiner Untersuchung, in der er das Vertrauen zwischen Gemeindemitgliedern und ihren Pfarrern anhand eines beziehungsanalytischen Modells untersucht, zu folgendem Ergebnis hinsichtlich der Vorbildfunktion eines Pfarrers: Ein Pfarrer ist zunächst für diejenigen Gemeindemitglieder Vorbild, deren Werte er vertritt. Er erzielt jedoch generell eine größere Vorbildwirkung im Bereich religiös-kirchlicher Werte als im Hinblick auf andere, z.B. hedonistische Werte. Im Hinblick auf das Vertrauen in den Pfarrer und seine Arbeit konnte festgestellt werden: Neben einer besonderen Vorbildlichkeit kann ebenfalls eine fachlich kompetente Arbeit ein Grund sein, dem Pfarrer sein Vertrauen auszusprechen. “Er kann mit Professionalität mangelnde Vorbildlichkeit kompensieren.” (Gennerich: 178). Die These der zentralen Relevanz der Vorbildlichkeit des Pfarrers für sein Wirken müsste demnach vor diesem Hintergrund relativiert werden (vgl. Gennerich 2000). Unabhängig davon, dass sich beide Dimensionen mit ihren konfligierenden Polen in zentralen Diskussionsfeldern der Praktischen Theologie identifizieren lassen, besitzt das Pfarrerverhalten für die evangelische Kirche nach wie vor große Relevanz: “Sie [die evangelische Kirche, T.K.] schuldet der Welt nicht nur Stellungnahmen zu sittlichen Fragen, sondern auch das Beispiel einer Lebenspraxis, die diesen Stellungnahmen nicht widerspricht.” (EKD 1981: 18).
4
Die Pfarrerehe
Wie bereits beschrieben, besitzt die private Lebensführung für PfarrerInnen eine dienstliche Relevanz, die sich vor allem auf ihre Vorbildfunktion innerhalb der Gemeinde und in der Öffentlichkeit stützt. In diesem Zusammenhang rücken auch Ehe und Familie der PfarrerInnen ins dienstliche Blickfeld. Beide sind – anders als in anderen Ehen und Familien – auf spezifische Weise eng mit dem Pfarrberuf verbunden, was am Beispiel des evangelischen Pfarrhauses deutlich wird. Beide sind auch in stärkerem Maße als andere Ehen und Familien mit normativen Vorstellungen besetzt, welche grundsätzlich zeitbedingt und von der persönlichen Sicht Einzelner abhängig sind und daher auch widersprüchlich sein können (vgl. Winkler 1990).
Im Folgenden wird sich über das evangelische Pfarrhaus und die Rolle der Pfarrfrau der Pfarrerehe angenähert.
4.1
Das evangelische Pfarrhaus
Das evangelische Pfarrhaus wurde in der Vergangenheit oft als “ein Haus mit gläsernen Wänden” beschrieben (vgl. Greiffenhagen 1984; Winkler 1990). Gemeint ist damit zweierlei: Zum einen stellte das Pfarrhaus über Jahrhunderte einen öffentlichen Raum dar, zu dem die ganze Gemeinde freien Zutritt hatte: um Amtshandlungen anzumelden, seelsorgerlichen Rat zu holen, kirchliche Aktivitäten zu besprechen. Zum anderen bekam das Pfarrhaus auf diese Weise eine exemplarische Rolle zugeteilt. Es sollte christliches Leben beispielhaft darstellen. Das Leben der Pfarrfamilie lag “der Gemeinde wie ein offenes Buch vor Augen, in dem man auch gerne las: aus Neugier darüber, ob und wie sich christliche Gebote, die der Pfarrer predigte, in seinem eigenen Haus befolgen ließen” (ebd.). Auch wenn sich an dieser Grundausrichtung bis heute nichts geändert hat, haben sich doch Gestalt und Aufgaben des Pfarrhauses im Laufe der Geschichte verändert.
Noch zu Luthers Zeit war das Pfarrhaus eine große häusliche Lebensgemeinschaft.
“Zu Luthers Haushalt gehörten neben den Eltern und ihren sechs Kindern deren Hauslehrer, Luthers Famuli und Amanuenses, Wittenberger Diakone, die Muhme Lena und die fünf Waisen von Luthers Schwester, dazu eine wechselnde Zahl von Kostgängern und natürlich die vielfältigen und vielzähligen Besucher, die alle für einige Zeit Unterkunft im Wittenberger Kloster fanden.” (Steck: 114). Im Gegensatz zu den verklärenden Darstellungen im Sinne eines bürgerlich-idyllischen Familienlebens war Luthers Pfarrhaus vor allem ein Wirtschaftsbetrieb, mit welchem die Existenz der vielen Hausbewohner gesichert werden musste. Die in dieser Zeit begründete “harmonische Verwebung von Arbeit und Leben, die untrennbare Einheit von Arbeitszeit und Lebenszeit machte das reformatorische Pfarrhaus zum Urbild des ‘ganzen Hauses’” (ebd.: 116).
Im Zeitalter der Aufklärung wurden das Pfarrhaus, die pastorale Ehe, die Pfarrfamilie und die Pfarrerskinder zu jenem moralischen und pädagogischen Vorbild, das sie in gewisser Weise noch heute sind. Die aufgeklärten Pfarrer erhoben ganz bewusst den Anspruch der Vorbildlichkeit. Die Vorbildrolle bezog sich neben der religiösen, musischen und kulturellen Bildung auch auf die Erziehung der Kinder, die Eheführung und das alltägliche Familienleben. Was der Pfarrer am Sonntag von der Kanzel predigte, hatte seine Familie jeden Tag neu vorzuleben. Dies kommt auch in Formulierungen wie “Das Pfarrhaus ist das Siegel auf die Predigt” oder “vita clerici evangelium populi” zum Ausdruck (vgl. Steck 1984; Winkler 1990).
Im 19. Jahrhundert entwickelten sich, wie bereits in Kap. 1 dargestellt, verschiedene Sphären alltäglichen Lebens; Familien- und Erwerbsleben fanden in voneinander getrennten Bereichen statt. Das Pfarrhaus, in dem die Trennung von privater und öffentlicher Sphäre nicht existierte – “der Pfarrer kennt weder die strikte Trennung von Arbeitszeit und Freizeit noch die genaue Unterscheidung von Wohnhaus und Arbeitsstätte” (Steck 1984: 117) – wurde zum Sinnbild christlichen und zugleich bürgerlichen Lebens stilisiert. Gleichwohl evangelische Pfarrhäuser so zur Verbreitung des bürgerlichen Familienideals entscheidend beitrugen, waren sie selbst gerade durch ihre enge Verbindung von Berufs- und Privatleben einer immerwährenden Spannung ausgesetzt. Diese resultierte zum einen aus der direkten Auswirkung, die der Pfarrberuf und das Pfarrhaus als Zentrum sozialer Dienste auf die Familie hatte. “Zeiten ungestörten familiären Zusammenseins gab es kaum, weil der Pfarrer und seine Frau stets im Dienst waren.” (Greiffenhagen 1984: 13). Umgekehrt resultierte die Spannung jedoch auch aus den Auswirkungen, die familiales Leben auf den Beruf des Pfarrers haben konnte: “Grundsätzlich war die gesamte Familie wie der Pfarrer selbst zu einem exemplarisch-christlichen Leben verpflichtet. Wenn es nicht gelang, litt die religiöse Autorität des Pfarrers, und dies gleich dreifach: im Blick auf seine eigene religiöse Autorität, im Blick auf seine Glaubhaftigkeit in seiner Familie und gegenüber der Gemeinde.” (ebd.: 10, vgl. auch Dubied 1995).
Die Belastungen, die diese Vorbildrolle für die ganze Familie bedeutete, liegen auf der Hand: Konflikte in der Ehe oder mit den Kindern durfte es nicht geben; sie wurden daher oft nicht durchgearbeitet, sondern unterdrückt und hinter Fassadenverhalten versteckt. Nach der Einschätzung von Ziemer (1990) trat ein solcher nicht bewältigter Normdruck oft erst in der zweiten Generation zu Tage, wie er mit Blick auf die Schwierigkeiten von Pfarrerskindern in der Beziehung zu ihren Eltern und in eigenen Partnerbeziehungen konstatiert (vgl. Ziemer 1990).
4.2
Die Rolle der “Pfarrfrau”
Das evangelische Pfarrhaus verkörperte in seiner geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung exemplarisch die Verknüpfung des religiösen Hirtenamtes mit dem lutherischen Amt des Hausvaters und dem bürgerlichen Leitbild eines hierarchischen Geschlechterverhältnisses. Die Rollen von Pfarrer und “Pfarrfrau” waren darin komplementär aufeinander bezogen, die Arbeit des Pfarrers brauchte als notwendige Ergänzung diejenige der “Pfarrfrau”. Das evangelische Pfarrhaus ist damit ohne sie nicht denkbar gewesen. Es bekam umgekehrt erst durch die “Pfarrfrau” seine spezifische Gestalt. Gemessen an christlich-bürgerlichen Idealen und Tugenden einer Hausfrau und Mutter, verkörperte sie darüber hinaus immer auch die tatkräftige, selbstlose und fromme Stütze des Pfarrers, die für Gemeinde und Kinder gleichermaßen da war. Auf der einen Seite bedeutete diese Aufgabe – im Gegensatz zu den häuslichen Aufgaben – öffentliche Anerkennung und Wertschätzung, auf der anderen Seite war sie immer an Rolle und Status der “Pfarrfrau” als Ehefrau des Pfarrers gebunden (vgl. Greiffenhagen 1984).
Die evangelische “Pfarrfrau” stellte über Jahrhunderte eine feste Instanz innerhalb der evangelischen Kirche dar. Viele “Pfarrfrauen” lebten und arbeiteten ihr Leben lang selbstverständlich in und für Kirche und Gemeinde. Einen eigenen Beruf auszuüben, wurde ihnen noch bis in die Nachkriegszeit hinein oft nicht zugestanden.
Mit der veränderten Position der Frauen in der Gesellschaft hat sich auch die Situation der “Pfarrfrauen” verändert. Die Mehrheit von ihnen ist inzwischen (außerhalb von Kirche und Gemeinde) berufstätig. Traditionelle Aufgabenbereiche von “Pfarrfrauen” wie Katechismusunterricht und Kindergottesdienst, Kurrende oder Frauendienst werden heute von DiakonInnen, KantorInnen, den PfarrerInnen selbst oder aber ehrenamtlich von Gemeindegliedern geleitet. Obschon sich die an der traditionellen Rolle der “Pfarrfrau” orientierten Erwartungen in den Gemeinden in dem Maße reduziert haben, in dem die Ehefrauen der Pfarrer einem eigenständigen Beruf nachgehen, sind diese Erwartungen in vielen Gemeinden nach wie vor latent vorhanden.
Mit der Ordination von Frauen ins Gemeindepfarramt kamen in den siebziger Jahren erstmals auch Männer als Ehepartner einer Pfarrerin ins Pfarrhaus. Heute gibt es in der EVLKS 56 “Pfarrmänner”, darunter 17 Pfarrer (vgl. Roth 2009: 5). Ihre Situation und ihr Status sind jedoch bisher noch wenig erfasst.
4.3
Die Pfarrerehe aus der Perspektive der EVLKS
Die Pfarrerehe ist für die Kirche in doppeltem Sinn bedeutsam: in Verbindung mit der Lebensführung der Pfarrerin oder des Pfarrers und als Lebensform. Auf die Bedeutung der Lebensführung wurde schon in Kap. 3.3 eingegangen. Zur Lebensform von PfarrerInnen konstatiert Josuttis: “Wirklich akzeptiert ist aber in der Kirche nur das, was beim Subjekt der Verkündigung zugelassen ist.” (Josuttis 1990: 15). Damit haben die PfarrerInnen eine Schlüsselrolle für die Legitimation der Ehe als Leitmodell der evangelischen Kirche. “Die Person des Predigers kann nicht in Privatperson und Amtsperson aufgeteilt werden. Weil es zu seinem Auftrag gehört, das christliche Verständnis der Ehe in Predigt und Unterricht weiterzugeben, zur Lebensform der Ehe zu ermutigen, Trauungen zu halten und Eheleuten in den Krisen ihres Zusammenlebens begleitend und helfend nahe zu sein, darf er nicht im Widerspruch zu dieser seiner Aufgabe leben.” (EKD 1981: 19). Aus diesem Verständnis heraus wird die normative Bedeutung der Ehe von Pfarrerinnen und Pfarrern sowie ihre Thematisierung im Pfarrerdienstrecht legitimiert.
Nach §51 PfG sind Pfarrer und Pfarrerinnen auch in ihrer Lebensführung in Ehe und Familie ihrem Auftrag verpflichtet. Sie haben sowohl ihre Eheschließung als auch die kirchliche Trauung anzuzeigen (§52 PfG). Hinsichtlich von der Ehe abweichender Lebensformen von PfarrerInnen wird “auf den Widerspruch zwischen dem aufgetragenen Dienst und einer sich von ihm distanzierenden Lebenspraxis sowie auf die sich für die Anstellung oder den Dienst des Pfarrers oder der Pfarrerin ergebenden rechtlichen Konsequenzen” (EKD 1981: 22) hingewiesen. Aber auch gegen eine Eheschließung kann die Landeskirche Bedenken äußern und im Ernstfall auch dienstliche Konsequenzen (Versetzung, Wartestand) ziehen (§53 PfG). Häufig betrifft das die Frage der Religions- bzw. Konfessionszugehörigkeit des Ehepartners oder der Ehepartnerin, so diese nicht – wie präferiert – der evangelischen Kirche angehören. Im Falle einer Mitgliedschaft in einer nichtchristlichen Religionsgemeinschaft bzw. Konfessionslosigkeit ist die Glaubwürdigkeit des Dienstes aus Sicht der Kirche nicht gegeben und es stehen nur zwei Alternativen offen: entweder die evangelische Taufe des/der Ehepartner(in) oder die Nichtausübung des Pfarrberufs. Im Falle konfessionsverschiedener EhepartnerInnen muss in einem Gespräch geklärt werden, inwieweit dies zu Schwierigkeiten und Problemen in Dienst und Auftrag des Pfarrers/der Pfarrerin führen kann. In der Regel wird in der Mitgliedschaft in einer reformatorischen Kirche kein Hindernis gesehen. Bei römisch-katholischen EhepartnerInnen sind Ausnahmen möglich, wenn der evangelische Dienst bejaht und eine evangelische Trauung und Kindererziehung akzeptiert wird (vgl. EKD 1981; Experteninterview Lerchner: 14ff). Auf diese Problematik wird von Seiten der Kirche schon im Theologiestudium hingewiesen, da davon u.a. die Übernahme ins Vikariat bzw. in den Pfarrdienst abhängt.
Hinsichtlich der Vereinbarkeit von Pfarramt und homosexueller Lebensweise, die über Jahrhunderte hinweg grundsätzlich bestritten wurde (und in einigen Kirchen nach wie vor bestritten wird), deutet sich in der evangelischen Kirche (in Deutschland) eine langsame Öffnung an, indem eine generelle Unvereinbarkeit mit dem Verkündigungsauftrag des Pfarramtes verneint wird, eine generelle Vereinbarkeit (im Hinblick auf die Schlüsselrolle von PfarrerInnen) aber (noch) ausgeschlossen wird (dazu ausführlich EKD 1996: 37-48).
Die Scheidung von Pfarrerehen ist inzwischen kein seltenes Phänomen mehr. Es betrifft laut der repräsentativen Pfarrerbefragung von Becker et al. (2005) ca. 6,9% der befragten PfarrerInnen (vgl. Dautermann 2005), in der Sächsischen Landeskirche 7,3% der aktiven PfarrerInnen (Experteninterview Lerchner: 773ff). Damit liegt die Scheidungsrate von Pfarrerehen deutlich unter den gesamtgesellschaftlichen Vergleichswerten. Allerdings wird auch von Seiten der EVLKS darauf hingewiesen, dass es hier einen Graubereich gibt, da “Pfarrer zum einen aus grundsätzlichen Erwägungen weniger schnell eine Scheidung einreichen, aber auch aus Angst vor den Konsequenzen vielleicht damit zurückhaltend sind, also wegen dem Stellenwechsel” (Experteninterview Lerchner: 277ff).
Eine bevorstehende oder vollzogene Trennung oder Ehescheidung muss beim Bischof angezeigt werden. In einem Gespräch “soll erörtert werden, ob eine Aussöhnung möglich ist und welche Auswirkungen eine Trennung sowie der Umgang der Ehepartner miteinander auf den Dienst haben könnte” (§54 PfG). Die Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft bzw. die Beantragung der Ehescheidung müssen auf dem Dienstweg angezeigt werden. Dem Pfarrer oder der Pfarrerin kann die Dienstausübung vorläufig, ganz oder teilweise untersagt werden bzw. seine Versetzung in den Wartestand angeordnet werden, wenn die Glaubwürdigkeit des Dienstes gefährdet oder der Frieden in der Gemeinde gestört ist (§54 PfG). Aus kirchlicher Sicht “schuldhafte Eheverfehlungen” von PfarrerInnen sind innerhalb von Disziplinargerichtsverfahren häufig als Amtspflichtverletzung gewertet worden und hatten in besonders schweren Fällen auch die Entlassung aus dem Dienstverhältnis und den Verlust aller Rechte zur Folge (vgl. EKD 1981: 20). In der Sächsischen Landeskirche existiert der Verfahrensgrundsatz, wonach PfarrerInnen nach einer Trennung bzw. Scheidung grundsätzlich die Pfarrstelle zu wechseln haben. Ausnahmen von dieser Regel sind nur in besonderen Härtefällen möglich (Experteninterview Lerchner: 306ff). Diese Praxis ist jedoch nur noch in sehr wenigen Landeskirchen üblich. In vielen Landeskirchen wird die Entscheidung über eventuelle dienstliche Konsequenzen einer Ehescheidung vom Einzelfall abhängig gemacht (vgl.
Stellungnahmen der Landeskirchen im Anhang).
4.4
Die Pfarrerehe im Kontext von Pfarrhaus und Gemeinde
In den Pfarrerehen lassen sich verschiedene Konfliktfelder erkennen, die jeweils ihren Bezug zu Pfarrhaus und Gemeinde haben.
Zum einen handelt es sich um einen Abgrenzungskonflikt, mit dem jede Pfarrerehe konfrontiert ist. Es gilt, den für eine Ehe unerlässlichen Privatraum in der spezifischen Situation des Pfarrhauses und des Pfarrberufs gegen die Ansprüche der Gemeinde abzugrenzen (vgl. Ziemer 1990). Die Problematik der engen wechselseitigen Bindung von Pfarrer bzw. Pfarrerin und Gemeinde gerade im Hinblick auf die Ehe beschreibt Vinet schon 1850 mit den Worten: “Sich zur selben Zeit an eine Gemeinde binden und eine Frau heiraten ist zuviel.” (zit. n. Dubied: 1995). Selbst wenn für viele PfarrerInnen heute die beiden “Heiraten” nicht mehr zusammenfallen, weist Vinets Bemerkung doch darauf hin, dass im Bewusstsein des Pfarrers oder der Pfarrerin das Verhältnis zwischen Familie und Gemeinde nicht unproblematisch ist. Dubied (1995) bezeichnet es als “das Problem der doppelten – möglicherweise widersprüchlichen – Anerkennung der Person des Pfarrers” (Dubied 1995: 52).
Zum anderen handelt es sich um Konflikte, die aus dem Normdruck resultieren, welcher auf Pfarrhaus und Pfarrerehe lastet. Dieser hat zwei Aspekte: Konflikte können aus dem Normdruck erwachsen, den die Erwartung einer vorbildlichen und mustergültigen Ehe erzeugt. Roessler beschreibt die Problematik wie folgt: “Pfarrersehen [...] haben keine besonderen Konflikte, aber dass sie Konflikte haben, wird besonders bewertet. Der Widerspruch zwischen dem, was sein sollte, und dem, was geschieht, wird gesteigert empfunden.” (Roessler 1979: 172). Der “Pfarrfrauendienst in der Evangelischen Kirche in Deutschland” verabschiedete 1982 eine Stellungnahme zur “Pfarrersehe – heute” mit folgenden Sätzen: “Wir leiden darunter, dass wir überfordert sind mit Ansprüchen, nach denen unser Haus ein besonderer Ort sein soll, in dem es nur Harmonie geben darf. Wir leiden darunter, dass wir uns gezwungen fühlen, Harmonie vorzuspielen, wo wir Konflikte untereinander und Probleme mit den Kindern benennen und bewältigen wollen [...] Wir leiden darunter, dass wir oft nur als Inventar des Pfarrhauses behandelt werden, dann, wenn ein Pfarrer in der Ordination versprechen muss, er und sein ganzes Haus werden ein gottgefälliges Leben führen...” (zit. n. Greiffenhagen 1984: 22).
Konflikte in Pfarrerehen können jedoch auch aus dem Normdruck erwachsen, der sich aus den mit Pfarrer und “Pfarrfrau” verbundenen traditionellen Rollenerwartungen ergibt und zu unvermeidlichen Reibungen mit dem – im Bewusstsein der Gemeinden noch existenten – patriarchalischen Pfarrfamilienideal (Ziemer 1990) führt. Dies kann die Schwierigkeiten, sich innerhalb der Paarbeziehung zu orientieren, noch verstärken. Es zwingt vor allem in der PfarrerIn-Gemeinde-Beziehung zu einem Überdenken von Angeboten und Erwartungen (vgl. Dubied 1995).
Es geht in den Ehen jedoch nicht nur um von außen herangetragene Erwartungen, sondern in hohem Maße auch um den Selbstanspruch von PfarrerInnen und ihren EhepartnerInnen. Folgt man Ziemer (1990), so besteht die Gefahr bei Pfarrerehen weniger im Verzicht auf Vorbildlichkeit, sondern im Gegenteil in einer zu starken Verinnerlichung der – vermuteten oder realen – Vorbilderwartung (vgl. Ziemer 1990).
Für Hanselmann (1979) ist das Pfarrhaus im Wandel der Zeit somit selbst zu einem Konfliktfeld geworden. Hanselmann sieht darin jedoch auch die Chance, “dass man versucht, mit vorhandenen bzw. entstehenden Konflikten exemplarisch, also beispielhaft – auch für die Gemeinde – umzugehen” (Hanselmann 1979: 274).
Teil II
Pfarrerehe heute –
eine empirische Untersuchung
5
Das Untersuchungsdesign
5.1
Ziel der Untersuchung
Die enormen gesellschaftlichen Veränderungen in den letzten Jahrzehnten haben sowohl in der Arbeitswelt als auch in den Familien- und Paarbeziehungen ihre Spuren hinterlassen. Diese Entwicklung ist auch an den evangelischen Pfarrhäusern nicht spurlos vorübergegangen. Das traditionelle evangelische Pfarrhaus mit seiner am bürgerlichen Familienmodell orientierten komplementären Rollenverteilung existiert heute nur noch in Ausnahmenfällen.
Dass die Erwartungen an PfarrerInnen und ihre Familien nach wie vor einem anderen Maßstab unterliegen, hat vor allem mit dem speziellen Berufsverständnis des Pfarrerberufs zu tun, welches gerade im Gemeindepfarramt eine Jahrhunderte alte Tradition verkörpert. Durch die beruflichen und arbeitszeitlichen Erfordernisse, durch das Leben im Pfarrhaus und nicht zuletzt durch die mit dem Predigeramt verbundene Vorbildfunktion entsteht eine Projektionsfläche für unterschiedliche Erwartungen.
Das Scheitern an diesen Erwartungen, sei es im beruflichen Bereich durch das in zunehmendem Maße auch PfarrerInnen betreffende Burn-Out-Syndrom oder in privatem Bereich zum Beispiel durch Trennung und Scheidung, ist nicht mehr so selten. Wo sind nun dafür die Ursachen zu suchen? Ist es ausreichend, die heutige Pfarrerehe und ihre abnehmende Stabilität als ein Symptom der bereits beschriebenen gesellschaftlichen Veränderungen anzusehen? Oder haben die hohen Anforderungen im beruflichen wie privaten Leben von PfarrerInnen einen Anteil daran?
Die Beantwortung dieser Fragen ist nur möglich, indem man die Erfahrungen und Sichtweisen der Pfarrer und ihrer Ehepartner selbst zur Grundlage nimmt. Die Art und Weise, wie sie ihren Alltag erleben, in welcher Weise sie mit Erwartungen konfrontiert werden, wie sie mit diesen Erwartungen umgehen und woran sie sich orientieren, welche Belastungen dabei im Alltag auftreten – alles dies sind einzelne Aspekte, die am Ende vielleicht ein Bild davon ergeben können, wie die Lebenswirklichkeit von Pfarrerehepaaren heute aussieht.
Da es zur Thematik der Pfarrerehe nur wenig wissenschaftliche Literatur und derzeit keine bekannten Studien oder Untersuchungen gibt, auf welche sich gestützt oder Bezug genommen werden könnte, kann das Ziel der vorliegenden Arbeit – dem Umfang einer Diplomarbeit geschuldet – nur die Rekonstruktion und Deskription von Wahrnehmungen und Erfahrungen aus dem Alltagsleben von Pfarrerehepaaren sein. Aufgrund der qualitativen Forschungsmethode und der damit verbundenen geringen Fallzahl ist eine Repräsentativität der Ergebnisse nicht gegeben.
5.2
Planung und Durchführung
5.2.1
Auswahl der Methode
Aufgrund des explorativen Charakters der eben skizzierten Fragestellungen empfiehlt sich ein qualitativer Forschungsansatz, mit dessen Hilfe es möglich ist, inhaltliche Kategorien aus dem empirischen Material heraus zu entwickeln. Ein qualitativer Ansatz bietet die Möglichkeit, ein breites Spektrum von in der Realität wirksamen und relevanten Faktoren in den Blick zu bekommen, ohne die Forschungsperspektive schon vorab allzu sehr zu fokussieren.
Da sich das Forschungsinteresse auf eine begrenzte Thematik, nämlich auf die Rekonstruktion von Wahrnehmungen und Sichtweisen hinsichtlich der Ehe- und Paarbeziehung sowie der dabei relevanten beruflichen Aspekte bezieht, fiel die Entscheidung bezüglich der Interview-Methode zugunsten von Leitfaden-Interviews mit ausgeprägten narrativen Elementen aus.
Diese Interviewform wird von unterschiedlichen Autoren beschrieben. Przyborski und Wohlrab/Sahr (2008) sprechen in diesem Zusammenhang von einem
offenen Leitfadeninterview, welches ihrer Meinung nach vor allem in Forschungskontexten mit eng begrenzten Fragestellungen angebracht ist und bei dem beschreibende und argumentierende Darstellungsmodi im Vordergrund stehen (vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2008).
Witzel (1982) dagegen generiert den Begriff des problemzentrierten Interviews für eine Interviewform, “die eine sehr lockere Bindung an einen knappen, der thematischen Orientierung dienenden Leitfaden mit dem Versuch verbindet, den Befragten sehr weitgehende Artikulationschancen einzuräumen und sie zu freiem Erzählen anzuregen” (Witzel, zit. n. Hopf 1991: 178). Diesen Begriff übernimmt auch Lamnek (1989) und fokussiert vor allem das Verhältnis von Theorie und Empirie im Unterschied zu anderen qualitativen Methoden. So geht der Forscher beim problemzentrierten Interview mit einem theoretisch-wissenschaftlichen Vorverständnis in die Erhebungsphase, aus welchem heraus auch die Fragen des Interviewleitfadens entwickelt wurden. Dieses theoretische Konzept ist jedoch ein vorläufiges und offenes, welches durch die Interviews geprüft und sowohl bestätigt, modifiziert als auch verworfen werden kann (vgl. Lamnek 2005).
Alle Autoren sind sich jedoch einig, dass den subjektiven Relevanzstrukturen der Befragten und dem
Erzählprinzip der uneingeschränkte Vorrang gebührt und der Leitfaden demzufolge nur der Orientierung dient und nicht als Ordnungsmuster im Sinne einer “Leitfadenbürokratie” “abgearbeitet” werden darf.
Eine weitere methodische Entscheidung betraf die Frage, ob beide Ehepartner getrennt voneinander oder gemeinsam interviewt werden sollen. Da die Fragestellung der vorliegenden Arbeit auf den Alltag des Ehepaares abzielt, bieten sich Paarinterviews vom Grundsatz an. Diese Vorgehensweise verspricht interessante Aufschlüsse über die innereheliche Kommunikation und lässt gegenseitige Verstärkereffekte ähnlich einer Gruppendiskussion erwarten.
In einem Paarinterview sind beide Partner anwesend und es entsteht ein sehr viel realeres Bild des Paares selbst, denn “im Unterschied zu Einzelinterviews, in denen Personen
über ihr Leben mit dem Partner sprechen,
kommunizieren diese Personen im Paarinterview gleichzeitig
als Paar” (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2008: 122). Was auf der einen Seite durch die Performance als Paar zu valideren Daten führen kann, bedeutet andererseits eine Einschränkung der Validität der Daten: “Es werden im Paar- oder Familieninterview bestimmte konfliktreiche Sachverhalte mit großer Wahrscheinlichkeit nicht in der selben Offenheit angesprochen wie im Einzelinterview” (ebd.: 122). Grundlagentheoretisch ist dieser Sachverhalt damit begründbar, dass in einem Paarinterview eine andere
Einheitskonstitution erforderlich wird als in einem Einzelinterview. Im Gegensatz zu einem Einzelinterview, indem der oder die Befragte die eigene persönliche Identität erzählerisch präsentiert und diesbezüglich versucht, Widersprüche zu vermeiden oder zu glätten, entwickeln die Befragten im Laufe eines Paarinterviews ihre kollektive Identität als Paar. Dabei müssen sie gegenüber der Interviewerin ein Mindestmaß an Einheit etablieren und dokumentieren, d.h. “sie müssen eine Präsentationsfassade errichten und werden daher in der Regel versuchen, allzugroße Differenzen – solche, die Brüche in der kollektiven Identität dokumentieren oder verursachen könnten – ‘unter dem Teppich’ zu lassen” (ebd.: 123).
Mit diesem Sachverhalt sind jedoch auch Vorteile verbunden: “Denn es zeichnet ja nicht nur die Interviewsituation, sondern auch den Alltag von Familien und Paaren aus, dass sie Einheit herstellen und Differenzen überbrücken müssen. Insofern spielt sich beim Paar- oder Familieninterview etwas ähnliches ab wie auch im Alltag: Differenzen brechen auf, werden zum Teil offen verhandelt, häufig aber auch unterdrückt, überbrückt und eingeebnet.” (ebd.: 123). Indem die Paare sich ergänzen, widersprechen, unterstützen oder unterbrechen, kann sich so aus dem Interview im besten Falle ein reales Bild eines ehelichen Gespräches entwickeln.
5.2.2
Operationalisierung
Der für diese Arbeit entworfene Interviewleitfaden beinhaltet offene erzählgenerierende Fragen beziehungsweise Erzählimpulse, denen jeweils mehrere Stichworte zugeordnet sind. Letztere verdeutlichen die forschungsleitenden Aspekte der jeweiligen Frage und fungieren während des Interviews als Gedankenstütze bzw. Anlass für Nachfragen.
Der Leitfaden selbst dient lediglich zur Orientierung der Interviewerin. Die Reihenfolge der Fragen kann verändert und flexibel dem Gesprächsverlauf angepasst werden. Damit garantiert der Leitfaden vor allem die Vergleichbarkeit mehrerer Interviews.
Folgende Themenkomplexe bilden den inhaltlichen Rahmen des Interviewleitfadens.
Alltag im Pfarrhaus: Hierbei geht es um die Frage, wie der Alltag des Ehepaares im Pfarrhaus wahrgenommen und beschrieben wird, welche Regelmäßigkeiten, Gepflogenheiten und Strukturen dabei erkennbar werden und welchen Dingen im Alltag Bedeutung beigemessen wird. Von besonderem Interesse ist dabei auch, welchen Raum der Beruf des Pfarrers im Beziehungsalltag einnimmt, welche beruflichen Zusammenhänge diesbezüglich erwähnt werden und wie sie bewertet werden. Ebenso interessant ist die Rolle, welche die Gemeinde im Leben des Ehepaars spielt und welcher Art die Beziehungen zur Gemeinde sind.
Erwartungen und Traditionen: Wie schon in den vorhergehenden Kapiteln erwähnt, war der Beruf des Pfarrers und allgemein das Leben der Pfarrfamilie im Pfarrhaus über Jahrhunderte mit spezifischen Erwartungen besetzt, welche nicht nur den Glauben, sondern die gesamte Lebensweise betrafen. Vor dem Hintergrund der weitreichenden Veränderungen in Partnerschaft und Familie ist nun zu fragen, inwieweit diese Erwartungen heute noch in den Kirchgemeinden präsent sind, inwieweit sie an das Ehepaar herangetragen bzw. von ihm wahrgenommen werden und wie mit ihnen umgegangen wird. Dies betrifft die Rolle des Pfarrers ebenso wie die Rolle der Pfarrfrau, wobei interessant ist, ob es als Pendant die Rolle des Pfarrmannes gibt. Ebenso ist zu fragen, wie mit der Öffentlichkeit des Pfarrhauses im Hinblick auf das Paar- und Familienleben umgegangen wird und welche Bedeutung dem Pfarrerdienstrecht und den in ihm enthaltenen Regelungen beigemessen wird, die explizit auch das Privatleben in Ehe und Familie tangieren.
Ehe und Partnerschaft: Es ist anzunehmen, dass wie in jeder anderen Ehe auch in Pfarrerehen Konflikte und Krisen zum Alltag dazugehören. Interessant ist jedoch, wie mit ihnen angesichts der Öffentlichkeit des Lebens im Pfarrhaus umgegangen wird und ob eventuell die Situation des Pfarrhauses ihrerseits als Ursache für Belastungen und Krisen wahrgenommen wird. Desweiteren stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten und Angebote der Hilfe und Unterstützung der Pfarrerehe gesehen werden bzw. in Anspruch genommen werden würden.
Pfarrerehe und Gesellschaft: Die Situation von Pfarrerehen unterscheidet sich in bestimmten Punkten von der Lebenswelt, in der andere Paare heute leben. Interessant ist aber, welche Unterschiede zu anderen Paaren für die Pfarrerehepaare von Relevanz sind, wie sie die Beziehungsrealität in ihrem gesellschaftlichen Umfeld wahrnehmen und welche Vorstellungen sie von einem Leben als Paar haben. Eine weitergehende Frage wäre zudem, ob und inwieweit die gesellschaftlichen Veränderungen und die kirchliche Praxis als Widerspruch empfunden wird und wie mit diesem Widerspruch umgegangen wird.
5.2.3
Auswahl der zu befragenden Paare
Für die vorliegende Untersuchung wurden Interviews mit sechs Pfarrerehepaaren und einem Pfarrer geführt. Um ein möglichst breites Spektrum an Lebensformen und Paarkonstellationen bei Pfarrerehepaaren untersuchen zu können, sind zunächst zentrale Merkmale bestimmt worden, die auf die Lebensrealität von Pfarrerehepaaren prägend wirken können: das Geschlecht des Partners, welcher den Pfarrberuf ausübt, das Alter des Paares und das Wohn- und Arbeitsumfeld des Paares (Stadt oder Dorf). Diese drei Kriterien wurden bei der Suche nach Interviewpartnern versucht zu berücksichtigen. So sind bezogen auf das Geschlecht der Amtsinhaber vier männliche Pfarrer, zwei weibliche Pfarrerinnen und ein Pfarrerehepaar (Pfarrer und Pfarrerin) unter den Interviewten. In Bezug auf das Alter der Interviewten sind fünf der sieben Paare im Alter zwischen vierzig und fünfundvierzig Jahren, während zwei Paare knapp über dreißig Jahre alt sind. Bezogen auf das Wohn- und Arbeitsumfeld leben sechs der sieben Paare auf dem Dorf, ein Paar in der Stadt.
Der Kontakt zu den Pfarrerehepaaren hat sich in den meisten Fällen über Beziehungen ergeben. In einem Fall gab es persönliche Kontakte zu dem Ehepaar, in zwei Fällen zu PfarrerInnen. Drei weitere Ehepaare sowie ein Pfarrer wurden mir von angefragten Pfarrern empfohlen.
Die Kontaktaufnahme erfolgte per Telefon. Nach einer kurzen persönlichen Vorstellung wurde das Anliegen, das Thema der Diplomarbeit und der Rahmen des Interviews kurz erklärt. Da die Bereitschaft zu einem Interview in diesem Falle auch mit dem Partner abgesprochen werden musste, wurde meist ein Termin für ein weiteres Telefonat vereinbart, in welchem die beiderseitige Bereitschaft zugesagt und ein konkreter Interviewtermin festgelegt wurde.
Die Interviewbereitschaft war sehr hoch, gleichwohl oft noch Unsicherheiten und Befürchtungen ob der Privatheit des Themas und der Unkenntnis der Fragen bestanden. Nur in einem Fall war die Partnerin nicht bereit, an dem Interview teilzunehmen. Von den meisten Paaren wurde das Thema jedoch grundsätzlich als wichtig empfunden und manche Paare hatten sich selbst schon über einen längeren Zeitraum mit diesem Thema auseinandergesetzt. In einem weiteren Fall wurde als Grund für die Teilnahme die positiven Erfahrungen mit Interviews in der eigenen Diplomarbeit genannt, welche nun auf diesem Wege weitergegeben werden konnten.
5.2.4
Durchführung
Die Interviews wurden im Zeitraum von Februar bis April 2009 geführt. Alle Interviews fanden in den Pfarrhäusern statt; zwei in der Küche, eines im Esszimmer, eines im Wohnzimmer und zwei im Arbeitszimmer. Dabei war das Pfarrhaus als Ort des Interviews bewusster Bestandteil der Interviewplanung, wobei die Wahl des Raumes dem Paar überlassen blieb. Durch die persönliche, vertraute Atmosphäre der gewohnten Umgebung des Paares wurde die ansonsten künstliche Situation des Interviews entspannt und es bestand die Möglichkeit, dass das Interview den Charakter eines Paargespräches bekommen und damit die Paarwirklichkeit um so authentischer erlebbar werden konnte. Die Atmosphäre der Interviews war meistens sehr offen, entspannt und freundlich. Zu Beginn wurde das Thema und der allgemeine Fokus der Untersuchung erläutert und mit den Interviewpartnern die Datenschutzmaßnahmen besprochen. Auf die Einstiegsfrage wurde unterschiedlich umfangreich geantwortet. Generell jedoch hat sich diese Frage als ein guter Einstieg in die Thematik erwiesen. Meist wurden schon in der Antwort auf die erste Frage Themen anderer Fragen angesprochen, so dass der Leitfaden tatsächlich oft nur der Orientierung diente. Festzustellen war in den meisten Fällen, dass die Offenheit und Vertrautheit im Verlauf des Interviews zunahm und sich auch später noch auf vorhergehende Fragen bezogen wurde, wenn es sich ergab. Die Interviews wurden digital aufgezeichnet. Nach jedem Interview wurde ein Protokoll angefertigt, in dem nonverbale Aspekte, die Gesprächssituation und -atmosphäre sowie Besonderheiten festgehalten wurden. Die Interviewdauer betrug in der Regel etwa eine Stunde, in zwei Fällen länger.
5.2.5
Transkription und Anonymisierung
Die Aufzeichnungen der Interviews wurden nach den Richtlinien des Gesprächsanalytischen Transkriptionssystems (GAT) als Basistranskript verschriftlicht, wobei Akzente ebenso wie Gesprächspausen, Lachen und andere nonverbale Handlungen festgehalten wurden. Die gesprochene Sprache wurde in der literarischen Umschrift verschriftlicht, wobei der Dialekt mit Hilfe des gebräuchlichen Alphabets wiedergegeben wurde. Nach der vollständigen Transkription erfolgte in einem weiteren Durchgang die Anonymisierung der Interviews: Dabei wurden sämtliche Personennamen durch fiktive Namen, Ortsnamen durch Umschreibungen wie “unser Dorf”, “das Dorf”, “die nächste Kleinstadt” und Zeitangaben ebenfalls durch Umschreibungen wie “damals”, “in dieser Zeit” etc. ersetzt. Das “prinzipielle Problem” (Przyborski/Wohlrab-Sahr) der Anonymisierung, dass die Interpretationen in der qualitativen Sozialforschung “ja gerade nicht von vornherein von raum-zeitlichen Gegebenheiten abstrahieren” (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2008: 162) wollen, da persönliche Daten eine Fülle relevanter Informationen enthalten, besaß in diesem Fall eine besondere Brisanz: In dem speziellen Kosmos der Evangelischen Landeskirche Sachsens ist es für Kirchenkundige unschwer möglich, mittels weniger persönlicher Informationen die Identität der betreffenden Personen herauszufinden. Aus diesem Grund sind Sätze oder Interviewpassagen, welche eindeutige Rückschlüsse auf die konkrete Person erlauben, entfernt worden. Aus dem selben Grund wurde in der Charakterisierung der Interviewpartner auf genaue Alters- und Berufsangaben verzichtet.
5.3
Auswertung
5.3.1
Methode
Die Auswertung der Interviews orientiert sich an zwei Methoden der qualitativen Inhaltsanalyse: an der strukturierenden Inhaltsanalyse nach Mayring (2002) sowie an der qualitativen Inhaltsanalyse nach Gläser und Laudel (2006). Beiden Methoden ist gemein, dass sie manifeste Kommunikationsinhalte von Texten untersuchen und damit nur die im Interview explizit getroffenen Aussagen in die Auswertung einbezogen werden. Die Methoden unterscheiden sich hauptsächlich in der Nähe zum Ursprungstext: Während Mayring (2003) die Auswertung nach mehreren Materialdurchgängen anhand der extrahierten Textstellen vornimmt, erfolgt die Analyse bei Gläser/Laudel (2006) nach nur einem Materialdurchgang auf der Basis des extrahierten Datenmaterials (vgl. Mayring 2002; Gläser/Laudel 2006).
Die Vorgehensweise bei der Auswertung der Interviews mit den Pfarrerehepaaren enthält Elemente beider Methoden.
In einem ersten Schritt wurde auf der Basis der Forschungsfrage sowie theoretischer Vorüberlegungen ein Kategoriensystem entwickelt, welches die für die Beantwortung der Frage relevanten Themenbereiche in Form von Kategorien enthielt, aber offen war für sich aus dem Interviewmaterial ergebende neue Aspekte. Jede Kategorie wurde zunächst näher definiert und mit bestimmten Indikatoren versehen, welche die spätere Zuordnung erleichterten.
Im zweiten Schritt erfolgte ein erster Materialdurchlauf, in welchem eine inhaltliche Kodierung der Texte anhand des Kategoriensystems vorgenommen wurde. In diesem Zusammenhang ergaben sich verschiedentlich Abgrenzungsprobleme und neue Themen, die eine Modifizierung des Kategoriensystems notwendig machten.
Die Extraktion erfolgte anhand der vorgenommenen Kodierung in die jeweilige Kategorie. Aufgrund der Materialmenge wurde von einer Extraktion der Textpassagen abgesehen und stattdessen nach der Methode von Gläser/Laudel (2006) nur die inhaltliche Information extrahiert. Damit ist eine Informationsgrundlage entstanden, die alle für die Forschungsfrage relevanten Daten enthält und kausale Zusammenhänge deutlich macht. Durch das Hinzufügen des entsprechenden Textverweises geht der Ursprung der Informationen nicht verloren und die Analyse bleibt intersubjektiv rekonstruierbar. Auf diese Art und Weise lässt sich jeder Schritt anhand der gesetzten Quellenangabe zum Ursprungstext zurückverfolgen. Darüber hinaus können unklare Informationen wieder in den Kontext des Textes gesetzt und inhaltlich klarer zusammengefasst werden (vgl. Gläser/Laudel 2006: 204ff). Die Interpretation erfolgte schrittweise in der Extraktion der Informationen aus dem Interviewtext, ihrer Zuordnung zu einer bestimmten Kategorie und der zunächst von der extrahierten Informationsbasis ausgehenden Aufbereitung und Feinstrukturierung. Innerhalb der Auswertung und bei der Darstellung der Ergebnisse wurden neben den extrahierten Daten auch die jeweiligen Textpassagen in ihrem inhaltlichen Kontext wieder in die Interpretation und Darstellung einbezogen.
5.3.2
Bestimmung der Analyseebenen
Das Interviewmaterial wurde anhand von vier Analyseebenen ausgewertet, die bereits die Struktur des theoretischen Teils der vorliegenden Arbeit gebildet haben: die Ebene der Landeskirche, die Ebene der Gemeinde, die Ebene des Paares (teilweise in Verbindung mit der Ebene der Familie) und die Ebene des Pfarrers/der Pfarrerin bzw. der Ehepartnerin/des Ehepartners.
Während der Kodierung haben sich elf thematische Kategorien aus dem Material heraus entwickelt, welche direkt oder indirekt mit der Untersuchungsfrage zusammenhängen: Alltag, Wochenende/Feiertag, Pfarrer/Pfarrerin, Pfarrfrau/Pfarrmann, Pfarrhaus, Abgrenzung, Ehe/Lebensform, Vorbildfunktion, Paarbeziehung, Freundschaften, Wohnumfeld.
Einige Kategorien waren durch die theoretischen Vorüberlegungen und den daraus entwickelten Interviewleitfaden schon vorgegeben (Vorbildfunktion, Paarbeziehung), andere wurden aufgrund des Interviewmaterials neu gebildet (z.B. Freundschaft, Abgrenzung) und wieder andere wurden im Zuge der Kodierung modifiziert (die Kategorie “Gemeindeaktivitäten” wurde unter “Pfarrer/Pfarrerin” und “Pfarrfrau/Pfarrmann” subsummiert). Die interkategorielle Abgrenzung erwies sich jedoch als problematisch und konnte bis zuletzt nicht gänzlich im Sinne einer eindeutigen Zuordnung gelöst werden. Obwohl nicht in jeder Kategorie auch jede Ebene eine Rolle spielt, waren diese Ebenen bei der Extraktion und Aufbereitung der Daten in struktureller Hinsicht von großer Bedeutung.
Die inhaltliche Auswertung der Interviews und die Darstellung der Ergebnisse erfolgte entlang der beschriebenen Ebenen und Kategorien. Dabei wurden die elf Kategorien nochmals zu sechs Themenbereichen zusammengefasst.
6
Interviewpartner
Nachfolgend sollen die interviewten Paare kurz charakterisiert werden. Einbezogen werden dabei Alter, Familienstand, Dauer der Ehe (oder Partnerschaft), Kinder, Beruf, Wohnort und eventuelle andere Besonderheiten.
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7
Die Pfarrerehe im Spannungsfeld von persönlichen und öffentlichen Erwartungen
Noch vor einer Darstellung der Ergebnisse soll kurz auf die von den Pfarrerehepaaren beschriebenen Kommunikations- und Rezeptionsmechanismen eingegangen werden, die das Spannungsfeld von persönlichen und öffentlichen Erwartungen bestimmen. Daran anschließend werden die inhaltlichen Ergebnisse der Interviewauswertung präsentiert. Bedeutsame Sachverhalte werden mit Hilfe entsprechender Interviewpassagen veranschaulicht. I: bezeichnet dabei die Autorin als Interviewende, Sie/Er: den jeweiligen Gespächspartner.
7.1
Kommunikation, Projektion und Internalisierung
7.1.1
Kommunikation von Erwartungen
Zum Begriff
Kommunikation bezieht sich über den Prozess der Informationsübertragung hinaus auf den Prozess der intersubjektiven Verständigung. Neben der reinen Informationsübertragung (dem Inhaltsaspekt) bedeutet menschliche Kommunikation auch immer einen Austausch an emotionalen Gehalten (Beziehungsaspekt). Sie bestimmen den eigentlichen Sinngehalt der Information. In Bezug auf die Kommunikation von Erwartungen sind zwei interpersonale Kommunikationsformen zu unterscheiden: Die direkte Kommunikation, auch personale oder face-to-face-Kommunikation genannt, bezeichnet eine Art des Kommunikationsprozesses, in der der Kommunikator seine Information unmittelbar an den Adressaten übergibt. Dagegen stellt die indirekte Kommunikation eine Art des Kommunikationsprozesses dar, welche zur Überbrückung räumlicher und/oder zeitlicher Distanz über Mediatoren (Dritte bzw. technische Hilfsmittel) läuft (vgl. Reinhold 2000; Fuchs-Heinritz et al. 2007; Hillmann 2007).
Zu den Erfahrungen
Die Befragten machen in der überwiegenden Mehrheit die Erfahrung, dass die Erwartungen der Gemeinde an die Pfarrerehepaare nicht direkt kommuniziert werden und ihnen damit wenig bekannt sind (Wenzel 388-393, Schmidt 239-246).
“I: hmm (2) äh und wie (-) diese vorbildrolle von pfarrern, is die ein thema?Und wie- diese Vorbildrolle von Pfarrern, is die ein Thema?
Sie: ja, das WISSen wir ja manchmal garnich so richtig, ner, (.) also was die leute so erwarten. //hmm//man kann es immer nur so erAHnen. (Reichel 308-311)
Es wird jedoch von keinem der Paare bezweifelt, dass Erwartungen in den Gemeinden vorhanden sind. In den Fällen, wo sie den Ehepaaren bekannt sind, wurden sie von den Gemeindemitgliedern jedoch nur selten auf direktem Weg, sondern häufiger über Dritte bzw. auf versteckte und subtile Weise geäußert.
“Sie: also es gibt EInige die se klar geÄUßert haben, z.B. joHANNa oder so, die klar gesagt hat, sie erwartet dass ich jetzt den FRAUendienst mache und was weiß ich was alles, also die (.) das schon ANgesprochen hat, und (-) das MEISte is aber nich geäußert worden //ah ja//MANches hab ich dann geHÖRT, dass mir leute erzählt haben, was geREdet wird, zum beispiel beAte, die gesagt hat, wie das in den ersten JAHren, da wären im nachbardorf die wogen HOCH gegangen, da bin ich ganz froh, dass mich das gar nich erREICHT hat.” (Schmidt 239-246)
“Er: ja, ich hab das mal erlebt auf nem, of ner (-) OH gott, was war das? GOLDhochzeit (.) MITTen in so nem geDICHT, das rasselte alles so STROphenweise herab (.) JA schwuppdiWUPP, ob der pfarrer ni OCH mal heiratet, so. also DAS hab ich schon mal erlebt ((lacht)) das fand ich schon SEHR subtil.” (Wenzel 423-427)
Thomas Kahle beschreibt einen Unterschied in der Direktheit der Kommunikation der Erwartungen zwischen seiner ehemaligen Kleinstadtgemeinde und seiner aktuellen Stadtgemeinde.
“Er: ich erlebe HIER die=die geÄUßerten erwartungen wesentlich geRINGer, KLEIner und zuRÜCKhaltender, ähm, es kommt dann manches so HINtenrum äh zur geltung; dass dann unsere SCHUhe vor der tür nich alle in militärischer ordnung stehen oder oder mit dem GARten oder äh man müsste doch DIES und mit der SAUberkeit und so, also DA wird SCHON geGUCKT von der kerngemeinde, aber ob das an unseren perSOnen liegt oder an der STADT liegt, dass is natürlich schwer für uns vergleichbar, es wird nich so diREKT an uns RANgetragen. //hmm//so, aber bei der KERNgemeinde wern die schon auch DA sein.” (Kahle 380-389)
Als Grund für die häufiger praktizierte indirekte Kommunikation sieht Eberhard Gruber die Amtsautorität der Pfarrerrolle, welche eine gewisse Distanz zu den Gemeindegliedern bewirkt.
“Er: is ja och SCHWIEriger; also (.) das sozusagen deinen PFARRersleuten zu sagen als jemand ANderem. da müssen die ich glob och GANZ schön über ihre schwelle springen.” (Gruber 379-381)
Dagegen vermutet Eva Bauer, dass Erwartungen eventuell auch aus zweckrationalen Gründen nicht geäußert werden, beispielsweise um die gute Beziehung nicht zu gefährden.
“Sie: ich bin mir nich SIcher, obs nur nich an uns RANgetragen wurde //hmm//also AUCH vor dem hintergrund, dass die FROH sind, es is wieder ne pfarrerin DA, es WOHNT wieder jemand im pfarrhaus, wir hoffen dass die BLEIben //hmm//also ich WEIß nich, ob die nich sagen, sag=mer mal lieber NIX oder irgendwie, das WEIß ich nich.” (Bauer 296-300)
7.1.2
Projektion von Erwartungen
Zum Begriff
Projektion bezeichnet in der Psychoanalyse einen Prozess der Übertragung von Gefühlen, Wünschen oder Abneigungen auf andere Personen oder Phänomene der Außenwelt. In diesem Sinne ist Projektion auch bei Erwartungshaltungen und Einstellungen beteiligt (vgl. Reinhold 2000; Hillmann 2007).
Zu den Erfahrungen
Die in Beziehungen der Gemeindeglieder zu ihren PfarrerInnen wirksamen Übertragungsmechanismen werden von vier Paaren angesprochen (u.a. bei Kahle 522-533). Martin Schmidt fasst dieses Prinzip mit knappen Worten zusammen:
“Er: ALL das, was ICH als norMAles gemeindeglied nicht SCHAFFe (-) das SOLL bitte mein PFARRer schaffen, denn DER is ja der HILFSheilige, ja.” (Schmidt 744-746)
Besonders im Bezug auf ihre Lebensform und die Lebensführung fühlen sich die Pfarrerpaare den Übertragungsmechanismen ausgesetzt. Dabei offenbaren die projizierten Erwartungen die Widersprüchlichkeit der heute an Individuen und Familien gestellten gesellschaftlichen Ansprüche. Auf der einen Seite sollen sie die hohen Ansprüche des Berufslebens erfüllen – für PfarrerInnen und ihre Familien wird dies mit “Dasein für die Gemeinde” umschrieben – auf der anderen Seite jedoch einem Idealbild bürgerlich-christlicher Ehe und Familie genügen. Den diesen Erwartungsdimensionen innewohnenden Widerspruch und die damit verbundene Überforderung bringt am deutlichsten Susanne Schmidt zum Ausdruck:
“Sie: aber so was passiert ja ganz SCHNELL grade bei diesen SCHEIdungsdiskussionen, ner, dass die erWARtung is, die PFARRfamilie möge alles das füllen, sie soll eine gute E:he führen, WOHLgeratene KINder haben und TROTZdem I:MMerzu zeit für die geMEINde.” (Schmidt 752-756)
Die Idealvorstellungen, an denen ihre Lebensführung, ihre Ehe und Familie gemessen werden, empfinden einige Pfarrer als übertrieben, scheinheilig und ungerecht, da sie weder einen Bezug zur Lebensrealität der Gemeindeglieder noch zur Person des Pfarrers oder der Pfarrerin haben (Wenzel 328-329).
Als Beispiel für das “Messen mit zweierlei Maß” nennt Johannes Wenzel die Reaktion von Kurt Biedenkopf auf die Scheidung des Frauenkirchenpfarrers, in der er den Stellenwechsel befürwortet.
“Er: und man erWARtet vieles vom pfarrer oder von dem Ehepaar oder von der pfarrfaMIlie, das is bei ANdern völlig IRrelevant, ner. //hmm//das war ja damals och bei der scheidung vom pfarrer der FRAUenkirche, ER hat sich SCHEIden lassen, musste ja dann OCH gehen und das selbst jemand wie BIEdenkopf, der ja nu SELber geschieden is die moRALkeule schwingt und sich dann FÜR den wechsel ausspricht, weil die ehe ja so en hohes GUT is, das is NI ganz zu fassen.” (Wenzel 291-298)
Jedoch stellt er mit Blick auf seine Gemeinde fest, dass das Idealbild des Pfarrers oder der Pfarrerin nur für manche Gemeindeglieder wichtig ist.
“Er: so die wünsche ideALe welt, HEIle welt, guckt mal HIN, dort ist alles in ORDnung, da müssten noch paar LÄMmer hier draußen rumspringen, dann wärs natürlich ideAL ((lacht)) also, das is aber och bloß bei MANchen, also für MEIne begriffe sind das DIE, die och vielleicht SELber mit sich vielleicht ni klar kommen, weeß=ich ni” (Wenzel 302-307) bzw. “bei leuten die eben weiter WEG sind von der kirche, äh (.) auch bei JUNGen leuten, da begegnet mirs häufig, dass ich a mit herr PFARrer angesprochen werde das is ja wie dreißig jahre zuvor” (Wenzel 324-327)
Die Erwartung an die Pfarrerehe wird jedoch vermutlich dann von den betroffenen Pfarrerehepaaren als Druck empfunden, wenn man befürchtet, ihr nicht mehr gerecht zu werden. Bernd Reichel äußerte diesen Druck auch.
“I: denken Sie trotzdem, dass die Ehe eines PFARRers oder einer PFARRerin für die gemeindemitglieder noch eine beDEUtung hat?
Er: naja, na KLAR, also wenn DIE jetzt schon nich mehr halten, was sollen WIR dann erst machen. vielLEICHT. (1) das spielt en bisschen MIT. (1) und das schafft DRUCK, na KLAR. (7) naja (.) aber, (2) ich meine, (1) es HÄLT ja (.) noch, oder? ((unsicher lachend, mit vorsichtigem blick zur frau))
Sie: wir strengen uns och immer mal AN, man muss sich immer wieder och NEU anstrengen //hmm//und man MUSS schon och en bisschen was dafür TUN.” (Reichel 1135-1141)
7.1.3
Internalisierung von Erwartungen
Zum Begriff
Internalisierung bezeichnet einen Prozess, in dessen Verlauf eine Person Einstellungen, Werte, Normen und Erwartungen anderer Personen übernimmt, die dann Bestandteil der eigenen Persönlichkeit werden und so zum Aufbau einer inneren sozialen Kontrolle führen (vgl. Reinhold 2000; Hillmann 2007). Eine spezifische Form der Internalisierung ist die Introjektion. Mit diesem in der Psychoanalyse verwendeten Begriff wird die Verinnerlichung von Beziehungen bzw. Konflikten mit anderen Personen bezeichnet, in deren Folge diese Beziehungen und Konflikte als innerpsychische Konflikte erlebt werden (vgl. Fuchs-Heinritz et al. 2007).
Zu den Erfahrungen
Von den Pfarrerehepaaren werden beide Formen angesprochen, sowohl die Verinnerlichung von Erwartungen als auch die Verinnerlichung von Konflikten. Allerdings ist es anhand der Interviews nicht möglich zu beurteilen, inwieweit einer Erwartung nur “entsprochen” bzw. inwieweit sie verinnerlicht wurde. Entscheidend für die im Folgenden dargestellten Beispiele ist, dass sie im Zusammenhang mit einer selbstkritischen Reflexion eigener Einstellungen erzählt wurden, die jeweils tiefe Spuren in der Erinnerung hinterlassen haben.
Verinnerlichung wird sowohl bei Elementen der Pfarrer- und Pfarrfrauenrolle (Abschnitt
7.2.2)
beschrieben als auch bei der für beide, stärker jedoch für den Pfarrer bzw. die Pfarrerin gültigen Vorbilderwartung (Abschnitt
3.4.3).
Ehepaar Hein, Ehepaar Bauer und Ehepaar Kahle haben die Vorbildrolle für sich als Pfarrerehepaar verinnerlicht und sehen sie positiv. Ihre inhaltliche Ausgestaltung orientiert sich jedoch – manchmal konträr zu traditionellen Erwartungen – an ihren persönlichen Überzeugungen (vgl. Hein 293-304; Bauer 304-310; Kahle 453-479, 765-772). Jedoch klingt sowohl bei ihnen als auch bei den anderen Paaren im Zusammenhang mit der Beteiligung an Arbeitseinsätzen, Gottesdienstbesuch und ähnlichem an, dass die internalisierten Erwartungen einer selbstverständlichen Beteiligung der Pfarrfamilie am Gemeindeleben manchmal zur Last werden können.
“Er: WAS manchmal is, wo du dann och sagst WENN ich hier jetzt ni WOHnen würde, sprich, WENN ich hier nich die PFARRfrau wäre, dann würd=ich mir heute mal den GOTTesdienst klemmen oder heute hab ich keene LUST, so (1) was aber och schon geSCHEhen is.
Sie: ja, ja
Er: also da setzt man sich vielleicht dann SELber unter druck.” (Gruber 130-136)
Bei Ehepaar Reichel führt die Internalisierung des Vorbildcharakters der Pfarrerehe, insbesondere der Erwartung einer harmonischen und vorbildlichen Ehe, dazu, dass bei Eheproblemen die Gemeindeöffentlichkeit vor allem von Bernd Reichel als Druck empfunden wird (Reichel 54-66, 1135-1141).
Auch hinsichtlich der Rolle der Pfarrfrau wird von einigen Frauen ein Erwartungsdruck beschrieben, welcher nicht mit den tatsächlich kommunizierten Erwartungen korrespondiert.
“Sie: ja, also an MICH wurden KEIne erWARtungen herangetragen das is das KOmische, wenn ich mir das im NACHhinein so überLEge, waRUM war der ANfang sozusagen mit unserm dritten kind; wieso war das so SCHWER, was was hab ich mir da zuSAMmengeguckt, was jetzt ANders sein soll.” (Gruber 75-79)
Desweiteren lassen sich Internalisierungsprozesse hauptsächlich in Fragen der Kindererziehung erkennen. Dies erklärt sich eventuell daraus, dass Konflikte mit den Kindern – im Gegensatz zu Ehekonflikten – eher in der Gemeindeöffentlichkeit erlebt werden und damit ein größerer Druck zur Übernahme von vermuteten oder realen Erwartungen entsteht.
“Sie: äh es GIBT manchmal situationen, sag=mer mal, wo es och konflikte mit den KINdern gibt, wo ich dann vielleicht och mal LAUter werde, dann hör ich von meinem mann, MENSCH pass off, hier geht schon geMEINde durchs haus ((lacht)) so, ZÜgel dich etwas, sei nich ganz so LAUT in auseinandersetzungen so, da MERK=ich och, da werd=ich etwas SCHAUMgebremster, aber och SO jetzt hier in auseinandersetzungen mit den kindern versuch=ich och DEUTlich zu sein und KLAR zu sein, och wenn geMEINde dabei is oder so” (Kahle 336-344)
Während Evelyn und Thomas Kahle den Umgang mit Kindern in Konfliktsituationen thematisieren, sind es bei Ehepaar Gruber eher Erwartungen in Hinblick auf die Kinder selbst und ihr Verhalten, die sie – so reflektiert Karin Gruber – bemüht sind zu erfüllen.
“Er: naJA naja oKAY, also SOLche erwartungen könnte ich dann SCHON bestätigen; also die=die PFARRerskinder, also die ich=sag=mal die MÜSsen grüßen, die MÜSSen en instruMENT lernen, MÜSSen musikalisch sein, also=also solche sachen wird manchmal schon erWARtet hab ich so den eindruck
Sie: aber=aber mer is aber och schnell in der rille, dass=mer se erFÜLLen will. das IS ja die komische sache=unsre große TOCHter-
Er: is ja och nichts SCHLIMMes, wenn en kind musiKAlisch is=aber das is das norMAle, also das erWARtet mer.” (Gruber 389-397)
Simone Reichel hat anfangs versucht, der Erwartung einer frommen Erziehung ihrer Kinder zu entsprechen.
“Sie: ja, aber ANfangs dacht=ich och, naja, (-) du musst die kinder jetzt richtig kirchlich gut erZIEhen. ham wer so geDACHT. wir fingen dann och so mit KERze an und geBETchen und HIN und HER und alles
Er: das is ja ni schlecht
Sie: ja, das IS ja ni schlecht, aber so, naja, so RICHtig, (-) weeß ich nich, KONNT=ich mich nicht so richtig damit so ANfreunden.” (Reichel 550-556)
Erst als bei einer aus ihrer Sicht vorbildlichen christlichen Familie im Freundeskreis zunächst die Ehe in die Brüche ging und dann ein Sohn Suizid beging, konnte sie die Bedeutung der nach außen dargestellten vorbildlichen Erziehung für sich relativieren. Heute sagt sie – das Idealbild einer frommen Pfarrerfamilie kontrastierend – von sich:
“Sie: wir sind also eher WEniger (–) ne fromme pfarrersfamilie, denk ich mal, (1) auf deutsch gesagt. (.) sondern ne GANZ norMAle stinknorMAle, wie JEder andere, NISCHT besonderes.” (Reichel 570-573)
7.2
Das Rollenverständnis von Pfarrerehepaaren
7.2.1
PfarrerInnen: Situation und Rolle
Die Situation der befragten PfarrerInnen
Befragt wurden acht Pfarrer, von denen zwei sich als Ehepaar eine Stelle teilen. Von den acht Pfarrern arbeiten zwei Pfarrer in einer Stadtgemeinde und sechs Pfarrer in einer Dorfgemeinde, von der mit einer Ausnahme alle Gemeinden aus zwei oder mehr Dörfern bestehen. Unter den Befragten sind drei Pfarrerinnen und fünf Pfarrer. Zwei der befragten Pfarrer sind ca. 30 Jahre, die sechs anderen zwischen 40 und 45 Jahre alt. Drei Pfarrer arbeiten schon seit über fünfzehn Jahren in ihrer Pfarrstelle, zwei Pfarrer haben ihre Pfarrstelle seit ca. zehn Jahren, eine Pfarrerin seit fünf Jahren und zwei PfarrerInnen seit ein bis zwei Jahren inne.
Erfahrungen mit landeskirchlichen Vorgaben
Zur Praxis der Entsendung von Berufsanfängern in durch das Landeskirchenamt bestimmte Pfarrstellen gibt es unterschiedliche Erfahrungen. Während zwei Paare mit der ihnen zugewiesenen Pfarrstelle von Anfang an auch im Hinblick auf die berufliche Situation des Partners/der Partnerin sehr zufrieden waren (“Das Wohnumfeld hier is für uns en Glücksfall” Wenzel 250-251), gab es auch zwei Paare, die zunächst Schwierigkeiten hatten, sich aber im Laufe der Zeit doch sehr gut eingelebt und eingerichtet haben.
“Sie: also wir sind beides STADTpflanzen und hams in der stadt auch sehr geNOSSen und wollten anSICH auch LIEber en bisschen näher an der stadt bleiben, so KLEINstadt oder S-bahnbereich so, ja GUT, nu simmer halt HIER (-) und es IS (-) also DEUTlich besser als wirs erWARtet hätten, so vom LEben her, von der geMEINde” (Bauer 82-86)
Ehepaar Schmidt hat vor dem Hintergrund, dass von Berufsanfängern erwartet wird, dass sie die Stelle annehmen, etwas sehr Ungewöhnliches getan: Martin Schmidt hat im Einvernehmen mit seiner Frau die ihnen zugedachte Stelle nicht angenommen, u.a. weil ein Studium für die Ehefrau dort noch weniger möglich gewesen wäre. Damit hat Martin Schmidt fast die Entlassung aus dem Pfarrdienst riskiert (Schmidt 711-737).
Obwohl die meisten Ehepaare für die landeskirchliche Praxis Verständnis haben, sehen sie doch auch die damit verbundenen Probleme, zum Beispiel in Bezug auf die berufliche Situation des Partners.
“Sie: also alLEIN, wenn ich in meinen vikaRIATskurs schaue, DIE, die en PARTner oder ne partnerin HATTen, die hatten alle en anspruchsvollen beRUF, das heißt, man kann eigentlich NICH mehr davon ausgehen, dass die beliebig so IRgendwoHIN verPFLANZbar sind, äh, die frau dann zu hause mit den KINdern. also das GIBTS noch, aber das gibts SELten. da is eben die partnerin ÄRZtin oder schreibt an ihrer DOKtorarbeit.” (Bauer 520-527)
Thomas Kahle benennt diesbezüglich den Widerspruch im Wunschdenken der Kirche, die von den Berufsanfängern auf der einen Seite Mobilität und Flexibilität, auf der anderen Seite eine möglichst “geordnete” familiäre Situation erwartet.
“Er: es gibt ja vom landesKIRchenamt diese offizielle erWARtung, also man sollte sich überall HINschicken lassen in die erste pfarrstelle, am besten so flexibel wie MÖGlich, wo ja familie STÖRT, aber wenn man dann in die erste pfarrstelle KOMMT, möge man ordentlich verHEIratet sein und am besten auch schon die kleinen KINder haben” (Kahle 731-735)
Aus der Erfahrung zweier Pfarrerehepaare sind die Gemeinden, in die die jungen Berufsanfänger geschickt werden, nicht selten schwierig, im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen als auch im Hinblick auf die emotionale Situation. Das wird durchaus kritisch gesehen.
“Sie: und das warn ZWEI junge PFARRer, von denen sich die geMEINde im STICH gelassen gefühlt hat //ja//die sind BEIde einfach geGANGen und so beLEIdigt wie ne (.) BRAUT, die SITzengelassen wird, wirklich SO. (1) und mit dieser VORbelastung ist dann der martin hier angetreten, eigentlich kannste nem ANfänger nich so ne geMEINde andrehen, wos so kocht, ner? da wern auch VIEle ganz schön verHEIZT, also (-), ner (–) es gibt auch VIEle, die dran kaPUTTgehn.” (Schmidt 1321-1328)
Andererseits wird auch die Notwendigkeit einer zügigen Neubesetzung von Pfarrstellen gesehen. Aus der Erfahrung eines Pfarrers, welcher schon mehrmals Vakanzvertretungen übernommen hat, sind Vakanzen sowohl für die betroffenen Gemeinden als auch für die vertretenden PfarrerInnen und ihre Familien eine schwierige Zeit (Schmidt 484-493).
Die inoffizielle Richtlinie der Landeskirche, ein Pfarrer möge nicht vor fünf Jahren, aber auch nicht viel später als nach zehn Jahren die Pfarrstelle wechseln (Schmidt 1227-1254), wird vor allem von den Pfarrern thematisiert, die schon mehr als fünfzehn Jahre in Ihrer Gemeinde sind. Auch wenn sie die Notwendigkeit eines Wechsels zum Teil einsehen, fällt es ihnen schwer, sich aus ihrem gut eingerichteten Leben heraus auf etwas Neues einzulassen.
“Er: nee, das hat aber auch was SCHÖnes, dass man da och ein stück verTRAUT is und alles kennt, also (-) die dann bloß aller fünf jahre mal hier und mal da sind, ich denk, die verGEben sich och was.” (Reichel 170-172)
Auch die Unsicherheit bezüglich der zukünftigen Pfarrstelle und der Erwartungen, mit welchen man da eventuell konfrontiert wird, macht es den Paaren nicht leicht.
“Sie: aber (1) jetzt diese vorstellung, WIEder (–) in IRgendsoner LANDgemeinde sein und sozusagen zurück auf LOS (2) das=das (-) ich kann mir das überHAUPT ni VORstellen, ich kann- würd=ich NI aushalten. ” (Schmidt 1260-1264)
Das Pfarrerbild in der Gemeinde
Das Pfarrerbild, welches in den Gemeinden existiert, ist wenig thematisiert worden. Angesprochen wurde von zwei Pfarrerinnen das Geschlecht sowie von zwei PfarrerInnen das Alter als Bestandteil eines in den Gemeinden existierenden Pfarrerbildes.
“Sie: es ja auch so, dass uns eigentlich hier am ANfang gesagt wurde, sie wollten keinen JUNGen pfarrer, erstens weil der VORgänger nach so kurzer zeit geGANGen is, also JUNGe pfarrer, da hamse gar kein verTRAUen mehr, das is das ERste und eben dieses BILD, ner (-) also ein WÜRdiger (1) ÄLterer, den man als autorität akzepTIEren kann, ner und dann kommt son jungscher SPUND ((lacht)), das passt also in dieses BILD nich REIN, in die erWARtung.” (Schmidt 844-850)
“Sie: DA passierts mir, dass mer DENKT oder dass VIEle denken (.) PFARRer, das is MÄNNlich und fünfzig PLUS. (.) so und dann kommt da ne junge FRAU rein, das is manchmal, da wird SCHON geguckt.” (Bauer 438-441)
Dass weibliche Pfarrerinnen nach wie vor in bestimmten Regionen ein Anerkennungsproblem haben, war ein Grund für Steffen Hein, sich als Theologe und Ehepartner aus dem Gemeindeleben rauszuhalten.
“Sie: und das ZWEIte, warum du das [Engagement in der Gemeinde, T.K.] nich gemacht hast, is, weil wir die beFÜRCHtung och hatten, dass dann so dieses gePRÄGte bild vom PFARRer MEHR dazu verleitet hätte, dass die leute sich an IHN gewendet hätten, ner. und ich vielleicht gar nich so die CHANce gekriegt hätte, PFARRerin zu werden..
Er: wobei es hier relativ GUT is, dass du- als frau bist du hier ja erstmal schon ANgenommen worden. schon paar kilometer WEIter kanns- allein dass du als FRAU als pfarrerin- da ham viele en echtes proBLEM damit.” (Hein 279-287)
Ebenfalls zu diesem Pfarrerbild gehört in manchen Dorfgemeinden bzw. bei älteren Gemeindemitgliedern auch die Anredeform “Herr Pfarrer”für den Pfarrer und “Frau Pfarrer” für die “Pfarrfrau” (Schmidt 747ff; Hein 199ff). Einige der befragten PfarrerInnen bzw. EhepartnerInnen haben diese Anredeform in ihrer Gemeinde abgeschafft (Schmidt 447ff) oder haben dies zumindest versucht (Gruber 112ff, Reichel 163ff). Alle erkennen jedoch das darin zum Ausdruck kommende Bedürfnis der Gemeindeglieder nach einer Orientierungsfigur.
Der Pfarrberuf – persönliche Erfahrungen
Der Pfarrberuf wird von allen PfarrerInnen als ein Beruf geschätzt, welcher im Berufsalltag viel Freiheit und Selbständigkeit beinhaltet (Gruber 514ff.; Kahle 863).
“Er: also ich perSÖNlich empfind=es als VORteil, dass ich in VIElen bereichen mein EIGner herr bin, also ich hab keenen, der mich hier (-) äh RUMschubbsen kann.” (Wenzel 138-240)
Die Vielfalt der Aufgaben und Arbeitsbereiche sowie der Menschen, mit denen man zu tun hat, ist ein weiterer von vielen PfarrerInnen gewürdigter Aspekt ihres Berufes.
“Er: also überHAUPT den beruf empfind=ich als was sehr SCHÖnes (2) im grunde das (-) ja, es is so VIELfältig och und (3) ja dann (-) von der WIEge bis zur BAHre haste ja alles daBEI, das empfind=ich als beREIcherung, grade och bei geMEINdebesuchen und (1) GOTTesdiensten” (Wenzel 244-248)
Und letztlich ist der Pfarrerberuf auch ein Beruf, in dem man etwas bewegen kann, in dem man in der Öffentlichkeit steht, qua Amt eine Autorität verkörpert und Anerkennung bekommt. Dieser Aspekt wird mehr oder weniger direkt auch von allen PfarrerInnen angesprochen und zunächst – auf den Beruf bezogen – positiv gesehen.
“Sie: und och sozusagen, dass=mer och, dass sozusagen zum gottesdienst hundert LEUte kommen und man kann (.) also HUNdert leute, die sich mit DEM auseinANdersetzen, was man theologisch dort versucht zu entWICKeln (.) oder MENSCHlich, das is eigentlich doch eNORM.” (Kahle 868-872)
Der Freiraum und die Selbstständigkeit kann jedoch auch zu einer Belastung werden. PfarrerInnen müssen ihren beruflichen Alltag und die Arbeit größtenteils selbst strukturieren. Einige der befragten PfarrerInnen berichten, dass es ihnen vor allem in der ersten Zeit sehr schwergefallen ist.
“Er: na also der nachteil war für mich am anfang man musste sich eben och die arbeit SELBST gestalten. was is denn jetzt WICHtig, was is NICH wichtig und- [...] das musst=ich irgendwie alles SELber zusammentragen (-) überlegen was is denn nu DRAN oder sowas [...] aber das war natürlich (-) als DIENSTanfänger, da is mer SCHON manchmal überFORdert.” (Gruber 787-799)
Vor allem das Ehepaar Hein ist der Meinung, dass es auch eine Frage der Persönlichkeit ist, ob man die Anforderungen des Pfarrberufs gut bewältigen kann. Nach ihrer Erfahrung birgt die Autonomie und Freiheit des Pfarrberufs verbunden mit einem hohen Anspruch auch die Gefahr, eigene oder familiäre Bedürfnisse aus dem Blick zu verlieren. Die Konsequenzen davon können von totaler Überlastung und Burn-out bis hin zu Ehekrisen und Trennung reichen (Hein 69-73; 436-458). Dies war einer der Gründe, weshalb Steffen Hein kein Pfarrer geworden ist.
“Er: und DA denk ich hat SIE die besseren beGAbungen und- (1) es wär für mich nich GUT. //hmm//ich würde da wahrscheinlich HERZkasper oder irgendwas ähnliches früher oder später (bekommen)” (Hein 445-448)
Dieses Spannungsverhältnis von Freiheit und einem hohen Anspruch an die eigene Arbeit erlebt auch Bernd Reichel als permanenten Druck.
“Er: also dass dann PAUsenlos irgendson innerer DRUCK is und wo mer dann sagt: es wäre SCHÖN, wenn du hier IRgendwo in nem <<lachend> PFÖRTnerhäusel sitzen würdest> oder nen ganzen tag eben an ner maSCHIne äh oder (.) oder son GA:NZ stinknormalen beRUF, sechzehn uhr klingelt die WERKSsirene und du kannst nach hause gehen. also das (.) das IS dann (.) son WUNSCH, aber eher eben so vom MAchen her, vom LEIStungsdruck, den man sich irgendwo SELber macht.” (Reichel 708-717)
Die Problematik der Ausübung des Pfarrberufs in Lebenskrisen ist nur von Evelyn Kahle angesprochen worden. Nach ihrer Erfahrung ist das Halten von Gottesdiensten und Predigten oder das Leiten von Kreisen sehr schwer, wenn man sich selbst in einer persönlichen Krise befindet. In diesem Zusammenhang äußerte sie den Eindruck (welcher durch ihren Mann bestätigt wurde), dass es Männern manchmal leichter fällt als Frauen, ihre persönliche Situation hinter einer beruflichen Maske zu verstecken (Kahle 621-670).
Die Möglichkeit, sich als Pfarrerehepaar eine Pfarrstelle zu teilen, wird von Ehepaar Kahle, welches dieses Modell praktiziert, als großer Vorteil für die flexible Aufteilung von Dienst- und Familienaufgaben beschrieben (Kahle 821-827). Gleichwohl betonen sie den hohen Planungsaufwand und die Wichtigkeit von Absprachen untereinander (210-224). Das Ehepaar Hein, welches als Theologenpaar ebenfalls die Möglichkeit dazu gehabt hätte, hat dies aufgrund von Erfahrungen im Freundeskreis bewusst nicht gemacht (Hein 30-39). Allerdings sind beide Ehepaare der Meinung, dass eine normale Berufstätigkeit des Ehepartners bzw. der Ehepartnerin aufgrund der hohen familiären Belastung noch weniger erstrebenswert ist (Kahle 819-821; Hein 62-65).
Die einzelnen Aufgaben und Arbeitsbereiche wurden in ihrer Vielfalt gelobt, jedoch von den PfarrerInnen im Interview nicht näher thematisiert.
Als Problem wurde vor allem von PfarrerInnen auf dem Dorf der hohe Anteil an Verwaltungsarbeit, die damit verbundene hohe Verantwortung und die für diese Aufgaben oft schlechte Vorbereitung und Ausbildung genannt (Wenzel 253-256; Hein 126-134). Auch das Verhältnis unter den Mitarbeitern und die Arbeit mit Ehrenamtlichen wird von manchen PfarrerInnen als nicht immer leicht bezeichnet (Wenzel 257-263; Hein 134-141; Kahle 603-604).
Die Bedeutung von Ehe und Familie im Pfarrberuf
Ehe und Familie haben in der heutigen Zeit im Hinblick auf das Berufsleben hauptsächlich die Funktion der Regeneration und sozialen Unterstützung. Im Pfarrberuf dagegen haben Ehe und Familie des Pfarrers bzw. der Pfarrerin traditionell einen höheren Stellenwert. Sie sollen zum einen dass evangelische Eheleitbild verkörpern sollen, zum anderen eine vorbildliche christliche Lebensführung exemplarisch oder symbolisch verdeutlichen und damit die Glaubwürdigkeit der PfarrerInnen gegenüber der Gemeinde fördern. Auf die Einstellungen zu dieser Thematik wird in Kap
7.3.2 näher eingegangen.
Darüber hinaus stellen für manche PfarrerInnen ihre EhepartnerInnen und die Kinder eine große Hilfe und ein wichtiges Korrektiv dar. Dies trifft insbesondere auf Eberhard Gruber zu.
“Er: Aber ich merke AUCH dass wir als- dass ich meine FRAU manchmal ganz schön mit meinem DIENSTlichen zeug belege so sage: KANNST du nich mal HELfen und MACH mal, du kannst das viel BESSer als ich oder so; also nich die PREdigt schreiben aber (.) was weeß ich (.) irgendwelche ZUarbeiten oder was BASteln oder so.” (Gruber 55-60)
“Er: also ich halts für SEHR wichtig, dass ich verHEIratet bin. (1) äh ((lacht)) MIR zu liebe (2) also sonst hätt=ich NIEmand, die mich korriGIERT. also WER sagt dem pfarrer also das konntste heute verGESSen (.) deine predigt. also das is HIER immer dann die PFARRfrau oder eben jetzt och unsere halberwachsenen oder erwachsenen KINder, die großen. die SAgen einem das mal. (-) und das stelle ich mir U:Nheimlich SCHWIErig vor für jemand, der alLEIne oder DIE alleine im pfarramt is. (2) der hat überHAUPT kein korrekTIV.” (Gruber 478-486)
Interessant ist bei ihm die Verknüpfung der Unterstützung durch die Partnerin, welche zunächst auch unabhängig von der Beziehungsform stattfinden könnte, mit der Lebensform der Ehe, mit dem Verheiratet-Sein. Es wird deutlich, dass für ihn nur zwei Alternativen vorstellbar sind: die Ehe als selbstverständliche Form einer Paarbeziehung und das Alleinleben.
Andere PfarrerInnen wie z.B. Bernd Reichel beziehen ihre EhepartnerInnen nicht so stark in ihre Arbeit ein und es findet wenig Kommunikation über dienstliche Themen statt. Von Simone Reichel wird das, bezogen auf die Paarbeziehung und das gegenseitige Vertrauen, als bedauerlich, bezogen auf ihre Rolle als “Pfarrfrau” jedoch als erleichternd erlebt bzw. als solches dargestellt. Nach der Äußerung der Enttäuschung über die geringe Kommunikation wird aus dem Text ein starker Druck in Richtung einer Harmonisierung und Wiederherstellung einer Paareinheit ersichtlich, indem die enttäuschende Handlung letztlich als etwas Gutes dargestellt wird.
“Sie: ich krieg och immer wieder gesagt: ich DARF dir och nichts erzählen, ich hab SCHWEIgepflicht- ich hab ja OCH schweigepflicht, na SIcher, ich erzähl OCH nich viel von meiner arbeit. (1) aber DA denk=ich, hmm, da isses manchmal bisschen zu WEnig, da hab ich schon so MANCHmal gedacht, da könnte doch mal so en KLEEnes bisschen MEHR- (-) vielleicht isses ja dann och einfach- (-) wenn er mich jetzt OCH noch mit irgendwelchen kirchlichen problemen beLAStet und so, so is vielleicht ja och manchmal ganz GUT, wenn ich jetzt nich och noch DArüber jetzt bescheid weiß.” (Reichel 902-911)
Ein anderer von zwei Pfarrern genannter Aspekt ist die Wirkung, die ihre Familie und ihre Kinder auf ihre Arbeit in der Gemeinde und die Gemeinde selbst haben können. So ziehen die eigenen Kinder immer auch andere Kinder an, wovon man als PfarrerIn profitiert (Gruber 145-151). Ebenso können die Erfahrungen der PfarrerInnen mit den eigenen Kindern auch dazu führen, dass die Gemeindestrukturen kinderfreundlicher werden.
“Er: das is EIgentlich en schönes ZEIchen, dass sich sowohl UNSre kinder in UNsern gottesdiensten WOHLfühlen und das is ja auch son AUSstrahlungspunkt, seitdem WIR EIGne kinder haben, wissen wir mit kindern im gottesdienst ganz anders UMzugehn als auch (.) das hat natürlich jetzt nich nur mit unsern KINdern was zu tun, aber es hat sich hier in der geMEINdestruktur auch VIEL verÄNdert und kinder sind hier auch sehr DEUTlich präsent.” (Kahle 563-569)
Aber auch die PfarrerInnen und ihre Familien können von der Gemeinde profitieren, indem sie in bestimmten Situationen auf die Anteilnahme und Unterstützung der Gemeinde hoffen können.
“Sie: och, dass mer ne geMEINde hier hat, die och, wo viele MITdenken, wo=mer och das gefühl hat, in manchen situationen och mit geTRAgen zu werden, also unser sohn hatte letztes jahr ne schwierige operaTION, wo man das gefühl hat, da beten SO viele MIT, da da DENKen so viele an einen, also das find=ich toTAL ANrührend.” (Kahle 876-881)
Am größten sind die Wechselwirkungen und Bezüge zwischen Ehe, Familie und Gemeinde bei den Pfarrerehepaaren, welche sich eine Pfarrstelle teilen. Hier sind die Grenzen zwischen Dienst und Privatsphäre oft fließend, was Chance und Herausforderung gleichzeitig bedeutet. Bei Ehepaar Kahle trifft dies jedoch auf eine grundlegende Bereitschaft, mit der Familie in der Gemeinde präsent zu sein.
“Er: aber für mich is es SCHON (.) äh aus diesem PUNKT heraus eine selbstverSTÄNDlichkeit, äh MIT meiner familie in der gemeinde präSENT zu sein und zu LEben, regelmäßig zum GOTTesdienst zu gehen, ich könnt ja AUCH sagen, ich fahr mit meinen kindern ins grüne, meine frau hat GOTTesdienst und ich schnapp mir meine KINder und LÄRme hier, kurz nach (.) äh WÄHrend des stillen geBEtes LÄRM=ich hier die TREPPe runter und fahr mit denen dann (.) ins KIno oder in den WALD oder SKIlaufen oder SONSTirgendwohin.” (Kahle 466-474)
7.2.2
EhepartnerInnen: Situation und Rolle
Die Veränderungen hinsichtlich der Rolle der EhepartnerInnen von Pfarrern in Kirche und Gemeinde können anhand der Interviews sehr deutlich herausgearbeitet werden. Sie betreffen zum einen die Erwartungen an die “Pfarrfrau”, zum anderen aber auch die noch relativ neue Rolle des “Pfarrmannes”, des Ehepartners einer Pfarrerin.
Zur Situation der befragten Ehepartner
Lässt man in diesem Zusammenhang das Pfarrerehepaar, welches aus zwei berufstätigen PfarrerInnen besteht, unberücksichtigt (beide füllen in der Gemeinde die Rolle des Pfarrers/der Pfarrerin aus), so ergibt sich folgende Verteilung der befragten EhepartnerInnen: von sechs EhepartnerInnen sind vier Frauen und zwei Männer. Von den Frauen sind drei Partnerinnen momentan berufstätig, eine studiert und arbeitet nebenbei. Drei Partnerinnen hatten schon beim Antritt der Pfarrstelle abgeschlossene Berufe, in denen zwei von ihnen nach wie vor arbeiten. Die anderen beiden Ehepartnerinnen haben in den letzten Jahren nochmals ein Studium absolviert. Während die Kinder klein waren, waren jedoch alle Ehepartnerinnen mehrere Jahre in Elternzeit zu Hause.
Beide männliche Ehepartner haben ein Studium absolviert. Einer ist heute als Angestellter tätig (aktuell allerdings arbeitslos), der andere ist Hausmann und ehrenamtlich engagiert. Beide sind aufgrund der Kinder beruflich kürzer getreten: einer der Männer hat ein halbes Jahr Elternzeit genommen, der andere ist seit mehreren Jahren zu Hause für die Kinder da.
Erfahrungen mit der Landeskirche
Von landeskirchlicher Seite werden Erwartungen heute hauptsächlich hinsichtlich der Konfessionszugehörigkeit geäußert. Auf berufliche und familiäre Bedürfnisse der EhepartnerInnen wird zumindest versucht, Rücksicht zu nehmen. Noch vor fünfzehn Jahren war das anders, als Susanne Schmidt den Wunsch einer stadtnahen Pfarrstelle mit ihrer Studienabsicht begründete:
“Sie: und (.) ich hab KÖchin gelernt, hatte da zu dem punkt zwei kleine KINder und wusste ganz genau (.) ich kann mit dem beRUF nichts mehr anfangen, ich möcht noch mal ne AUSbildung machen und hab das dort geÄUßert und hab gesagt, ob das nich MÖGlich wär, dass der martin ne stelle kriegt in der nähe EIner der drei sächsischen GROßstädte und da hat der OLKR geäußert, dass sie darauf KEIne rücksicht nehmen können und das meine beRUfung es ja wäre, PFARRfrau zu sein und (.) das hätt=ich mir überLEgen müssen, wenn ich n pfarrer heirate und
Er: <<in bestimmerischem Ton> FRAU SCHMIDT, IHR beruf ist jetzt PFARRfrau> originalton
Sie: das hat der wirklich so geSAGT und ich bin ich war- , na ich war wie erSCHLAGen, ich hab mit sowas gar nich geRECHnet und bin da raus, war voller WUT, hab geHEULT und (3) dachte das gilt jetzt Überhaupt nichts mehr, was ICH will //ja//und ich hatte dann solche vorstellungen, wir sind dann in IRgendeinem dorf ganz weit weg von der STADT und (-) ich darf den GANzen tag für die frauenkreise KAFFeekochen. naja” (Schmidt 581-598)
Die damalige Erwartung, dass die sogenannte “Pfarrfrau” sich rund um den Beruf ihres Mannes organisiert, hat sich innerhalb der Kirche erst verändert, seit es “Pfarrmänner” gibt.
“Sie: ich denke, da hat sich ganz viel inzwischen verändert durch die pfarreRINNen und ich glaub, diese erWARtungen werden an die pfarrMÄNNer SO nicht herangetragen. und das hab ich mir DAmals schon gedacht, ich hab gedacht, mensch (.) wenn die rollen vertauscht wären, ob der OberLANdeskirchenrat dann gesagt hätte (.) ihr beruf is jetzt PFARRmann?” (Schmidt 677-682)
Das Pfarrfrauenbild in der Gemeinde
Das traditionelle Pfarrfrauenbild ist auch in den meisten Gemeinden nach wie vor vorhanden. Aber es ist nur noch bedingt auf die heute vorfindbare Pfarrhausrealität übertragbar. Ausschlaggebend dafür sind zum einen die Berufstätigkeit der Ehepartnerinnen und zum anderen die durch Pfarrerinnen und ihre männlichen Ehepartner veränderte Situation im Pfarrhaus. In beiden Fällen lassen sich die traditionellen Erwartungen an die “Pfarrfrau” nicht mehr auf die konkrete Situation übertragen.
“Er: erWARtungen (-) also sie freun sich über alles was sie MITmacht //ja//aber MIR gegenüber oder UNS gegenüber isses noch NIE äh (-) ausge- also so (-) heRANgetragen worden, dass sie sich äh in beSTIMMten bereichen unbedingt engaGIEren muss (-) so wie WELTgebetstag oder sowas, das steht ihr völlig frei. und sie würdes aber eben so och ZEITlich kaum schaffen //ja//durch ihre ARbeit. ” (Wenzel 75-81)
Auf die Frage nach dem Vorhandensein traditioneller Erwartungen meinen Martina und Steffen Hein:
“Sie: sie könn=se nich mehr formuLIEren denk ich, weil se weil se merken, irgendwie äh PASST=s nich mehr, weil (1) die leute HAMS eigentlich in sich noch, weil (-) ich glaub NICH, dass
Er: aber sie würden mich niemals ANfragen hier irgendwie, der kann ja dort HINräumen oder dort SAUbermachen, das würden=se sich ni WAgen. bei ner FRAU denk ich würde das wesentlich Eher-
Sie: da würde das (.) ja (-) ganz SCHNELL gehen, das denk ich SCHON. och hier in dem ORT. also das WÄR schon so.” (Hein 256-263)
Während von einer “Pfarrfrau”, egal ob berufstätig oder nicht, viele Dinge nach wie vor latent erwartet werden, bilden “Pfarrmänner” eine Ausnahme. Für sie existiert kein so klares Erwartungsbild. So können sie auch neue Männerrollen relativ frei leben.
“Sie: aus MEIner perspektive isses auch so, dass du EIgentlich die rolle FÜLLen kannst, wie du WILLST, WEILS eben da noch nich son erwartungsbild gibt
Er: ja geNAU.
Sie: du hättest- also es wäre akzepTIERT worden, wenn du jeden tag zur ARbeit gependelt wärst und ich hätte hier beruf UND haushalt machen müssen, SO (-) und geKOCHT und geMACHT, das wär VÖLLig norMAL gewesen.
Er: ((lacht)) <<lachend> ja, das is RICHtig>
Sie: es war eher so, du lebst och en anderes MÄNNerbild, also nich so das TYpische männerbild, und aHA, en mann der KOCHT, en mann, dern KINderwagen schiebt, eher so, dass das AUFmerksamkeit erregt hat” (Bauer 206-218)
Die veränderten Rollenverhältnisse und Lebensmodelle von Pfarrerehepaaren und Pfarrfamilien haben dazu geführt, dass die heute in den Gemeinden existierenden Rollenbilder und Erwartungen in Bezug auf die EhepartnerInnen der PfarrerInnen nicht mehr so starr sind. Durch die Lebenspraxis der jeweiligen Pfarrfamilie lassen sie sich zudem weiter verändern. Dies zumindest sieht Eberhard Gruber als einen Grund dafür, dass seine Ehefrau kaum mit Erwartungen der Gemeinde konfrontiert wurde.
“Er: es waren immer JUNge leute da, es war also immer ne JUNge familie hier und äh die letzen dreißig jahre sozusagen vor uns waren JUNge leute und da WAR also schon äh (.) ne gute grundlage an verÄNderung gelegt, denk ich.” (Gruber 71-74)
Eine zentrale Rolle in der Generierung von Rollenerwartungen in den Gemeinden spielen die jeweiligen AmtsvorgängerInnen und ihr Lebensmodell. Stellten die AmtsvorgängerInnen selbst kein Pfarrerehepaar in der traditionellen Form dar und waren sie dennoch in der Gemeinde akzeptiert, so haben sich höchstwahrscheinlich auch Rollenbild und Erwartungen in der Gemeinde dementsprechend verändert und relativiert.
“I: die pfarrFRAUenrolle hatt=mer schon mal ANgesprochen. gibts hier so en ganz bestimmtes BILD in das man da REINsortiert wird
Er: nee, aber da ham wir auch glück im grunde durch den VORlauf
I: inwieWEIT?
Er: dass jetzt hier so die KLASSische PFARRfrau schon seit generaTIOnen im grunde gar ni mehr da gewesen is. die frau Kracht die war selber PFARRerin und hat das och sehr (-) war sehr beLIEBT, aber da war ja och schon mal was ganz ANders, ne (-) dass der MANN eben sozusagen der pfarrMANN war und SIE (-) die RÜHrige //hmm//ja und dann kam Klaus und och die FRAU war berufstätig, war ÄRztin, da war das OCH schon mal was ganz ANderes.” (Wenzel 161-172)
Auf der anderen Seite, so wird von insgesamt fünf Ehepaaren berichtet, ist in vielen Gemeinden an äußeren Formen wie der Anrede “Frau Pfarrer” nach wie vor das traditionelle Rollenverständnis zu erkennen. Obwohl die meisten Ehepartnerinnen sich nicht mehr über ihren Mann definieren lassen möchten und deshalb diese Anrede ablehnen, hält sie sich in den Gemeinden hartnäckig.
“Er: also es wird jetzt von meiner freundin NI erwartet, dass sie sag=mer=mal den dienst einer PFARRfrau im klassischen bild tut //hmm//wo=s vielleicht am Ehesten noch is, so in der ANrede, also das es heißt frau PFARRer, also dass SIE über MICH identifiziert wird das is manchmal bissel EIgenartig, zumals das auch JUNGe leute machen wo man eigentlich denkt, naja (-) aber wahrscheinlich isses och eher die UNsicherheit die da durchrutscht.” (Wenzel 68-75)
“Sie: ich bin als frau pfarrer ANgesprochen worden. und weil ich das nich WOLLte, hab ich die leute immer verBESSert und hab gesagt: ich heiß GRUber und nicht PFARRer. also das LASS ich, das ist KÄ:se; also das hab ich ein JAHR lang gemacht, dann dacht ich das machen die leute nicht MIR zul- nicht sich zul- nicht MIR zuliebe, sondern SICH zuliebe; weil die halt das bild haben. (.) BITTE schön.” (Gruber 116-121)
Diese Anredeform wird jedoch lediglich auf Ehepartnerinnen von Pfarrern angewandt. Bei Pfarrerinnen und “Pfarrmännern” bringt die Übernahme dieser tradierten Anredeformen verwirrende Verkehrungen der Rollen mit sich (eine diesbezügliche Szene wird von Steffen und Martina Hein geschildert: Hein 199ff), weshalb eher davon abgesehen wird.
Kommunizierte Erwartungen der Gemeinde
Grundsätzlich bestätigen alle EhepartnerInnen, dass das traditionelle Pfarrfrauenbild in der Gemeinde nach wie vor latent existiert. Die Gemeindemitglieder äußern ihre Erwartungen jedoch unterschiedlich direkt.
Karin Gruber und die Partnerin von Johannes Wenzel wurden nicht mit direkten Erwartungen konfrontiert. Vielmehr wurde jedes Engagement von der Gemeinde anerkennend zur Kenntnis genommen und belohnt.
“Sie: ich hab ja dann och bissel ZEIT gehabt und da hab ich so hier kurRENde geleitet und so, weils das alles nich GAB und das wurde toTAL honoRIERT, das wurde nich erWARtet von mir, sondern das wurde richtig beLOHNT und WERTgeschätzt. ja (.) so.” (Gruber 79-82)
Susanne Schmidt hat allerdings am Beispiel ihrer Vorgängerinnen (der positiven Vorvorgängerin und der als negativ dargestellten Vorgängerin) von der Gemeinde sehr direkt gesagt bekommen, welchen Erwartungen sie gerecht zu werden hat.
“Sie: seine frau hat sich also auch mit dieser rolle überHAUPT nich identifiziert und hatte aber VORher gab es SOLche ((geste mit den armen)) PFARRfrauen irgendwie, Frau HÄhnel und so, die IMMer FRAUenkreise gemacht hat und IMMer und die war STÄNdig präsent und für ALLes DA und so und sowas NÄHRT ja auch solche erWARtungen und SIE hat das GARnich gefüllt [...] und da konnte das mit mir ja nur BESSer werden ((lacht)) sozusagen das NEgativbild war schon fertig und DAS hat mich AUCH erschüttert, das erste geSPRÄCH hier mit dem KIRCHenvorstand, als wir hier waren, gings GANZ viel auch um die erWARtungen an MICH und auch IMMer vor dieser NEgativfolie, <<bestimmerisch> also DAS wolln wir NICH wieder und die hat nämlich NICH> und” (Schmidt 639-654)
Diese kommunizierten Erwartungen waren noch sehr stark von dem traditionellen Pfarrfrauenbild bestimmt, in dem die “Pfarrfrau” auf der einen Seite eigene Bedürfnisse zurückzustellen hat, auf der anderen Seite aber auch die tatkräftige und bestimmende Mutter und Frontfrau der Gemeinde repräsentieren soll.
“Sie: das war ganz am ANfang, ich war völlig überFORdert, ich war fünfundzwanzig, als ich hierHERkam, ich war n ganz andres LEben gewöhnt und die wollten von MIR alle gesagt kriegen, wie GEHT n das hier WAS solln wir machen, die wissen das alle viel BESSer als ich, ner //ah ja//aber die erWARtung, wenn die PFARRfrau auftaucht, dann sagt die wos LANGgeht.” (Schmidt 141-146)
Ebenso berichten zwei Ehepartnerinnen, dass von vielen Gemeindemitgliedern erwartet wird, dass sie nicht nur über die beruflichen Angelegenheiten ihres Mannes (Gemeindeverwaltung, Friedhofsordnung) Bescheid wissen, sondern dass generell bei “Pfarrfrauen” theologische Kenntnisse und eine bestimmte Religiosität und Frömmigkeit vorausgesetzt wird.
“Sie: das is (-) das is och ne erWARtung von den MENschen. die erWARten, dass die Ehefrau über alles bescheid weiß, über ALLes, was so in der kirche so- och verWALtungsmäßig und (.) und-” (Reichel 931-933)
“Sie: also es gibt hier ne NETte junge BAUernfamilie oder so, die aber eine FRÖmmigkeit haben, mit der ich nichts ANfangen kann und die sehr entTÄUSCHT sind DAvon, dass ich meine pfarrfrauenrolle NICH so fülle, da haben GAR keine beRÜHrungsängste mit ANdern leuten, die NICH in der kirche sind und könn da auch FREUNDschaften schließen oder SONST was (-) aber für MICH is da äh keine MÖglichkeit, also diese erWARtungen, die stehen eigentlich daZWIschen, ner, ein UNkompliziertes verHÄLtnis aufzubauen.” (Schmidt 114-121)
Aber als “Pfarrfrau” ist man nicht nur einer innerkirchlichen Erwartungshaltung ausgesetzt, sondern wird auch von kirchenfernen Personen zunächst als Repräsentantin der Kirche gesehen.
“Sie: dass (1) also mir da STÄNdig was entGEgengebracht wird, also die kirchenFERnen, die laden erstmal ihren ganzen KIRchenfrust bei mir ab //hmm//nach dem motto <<entrüstung imitierend> wie KANNST du nur und BAbababa>, ner, es würde NIEmand auf die iDEE kommen bei der frau eines ARztes mal ihren frust übers geSUNDheitswesen abzuladen <<lachend> oder sowas> ((lacht))” (Schmidt 92-97)
Die traditionelle Erwartung, dass die “Pfarrfrau” neben der Gemeinde auch für Haushalt und Kindererziehung zuständig ist, wird bei weiblichen Ehepartnerinnen von der Gemeinde nach wie vor als selbstverständlich angesehen. Es wird von der Gemeinde nur thematisiert, wenn die Ehefrau diesem Modell nicht entspricht, wie das Beispiel der Vorgängerin von Susanne Schmidt verdeutlicht.
“Sie: also ich hab zum beispiel gehört <<eine bauersfrau imitierend> das KONNte ja nischt wern, der musste die WÄsche offhäng, wir ham gesehn, die frau hat den HAUShalt ni gemacht, der musste die WÄsche offhäng>” (Schmidt 615-618)
Übernehmen “Pfarrmänner” hingegen Verantwortung für Haushalt und Kindererziehung, wird in den meisten Gemeinden sehr verwundert reagiert.
“Er: ich hab so meine GANZ feste ROLLe, also wir ham ja auch ein kleines KIND, und wenn meine frau ARbeitet, dann is klar, dass ich dann EINsatz hab. das war übrigens VIElen überHAUPT nich klar, also grade die MÄNNer, die waren total erSTAUNT, als ich dann hier ELternzeit gemacht hab und da hab ich ihnen gesagt, naja, ich KOche, mach den HAUShalt, hab den KLEInen. na und die FRAU? na die frau, die ARbeitet, is ja ganz KLAR. die is hier die PFARRerin, die hat überhaupt keine ZEIT dafür. also DAS war eigentlich Eher das, was ein bisschen gebraucht hat, um in die köpfe REINzugehn.” (Bauer 190-199)
“Sie: das is verWIRRend für die leute, ner. und dann- (.) also wir merken=s auch DAran, dass er eigentlich IMMer wieder auch zum teil von den SELben leuten gefragt wird, wie=ers zu hause aushält, also das GEHT einfach nich (-) in die köpfe.” (Hein 222-225)
Auseinandersetzung mit der Rolle und den Rollenerwartungen
Unabhängig von der inhaltlichen Positionierung ist die Auseinandersetzung mit der Pfarrfrauenrolle zumindest für Ehepartnerinnen von Pfarrern unumgehbar. Und anhand der Aussagen der Ehepartnerinnen zu ihrer Anfangszeit ist zu erkennen, dass sowohl eine Annahme der Rolle als auch eine Ablehnung mit innerem Druck verbunden sind.
Susanne Schmidt und Simone Reichel hatten sich bereits zuvor kritisch mit der Pfarrfrauenrolle auseinandergesetzt. Susanne Schmidt tat das vor allem während des Studiums ihres Mannes; für Simone Reichel war die Auseinandersetzung bedingt durch die eigene Erfahrung als Kind in einer Pfarrfamilie. Ihre Kindheit in einer großen Familie in ärmlichen Verhältnissen und die Pfarrfrauenrolle ihrer Mutter – mit Kindern, Haushalt und Kirche überfordert und vom Vater wenig unterstützt – haben sie nachhaltig geprägt. Und trotzdem hat sie die Entscheidung ihres Mannes, Pfarrer zu werden, letztlich mitgetragen und versucht, einen anderen Weg als ihre Mutter zu finden.
“Sie: und (.) ich BIN och nicht so wie meine mutter, also das hab ich OCH gelernt. (-) also meine mutter war ja so die ganz KEUsche züchtige pfarrersfrau und (-) also och KIRche war ja dann och nummer EINS und familie erst hintendran. (-) und das mach ich alles nich, da hab ich och MEInen EIGnen weg geFUNden und (-) und habe meinen beRUF und kümmer mich um die familie.” (Reichel 152-157)
Beide versuchten, ihre eigenen Bedürfnisse zu realisieren, ohne gänzlich mit der Pfarrfrauenrolle zu brechen. Die damit verbundenen Schwierigkeiten ständiger Positionierung schildert insbesondere Susanne Schmidt.
“Sie: aber die erWARtungen, die in so nem dorf vor sechzehn jahren an die PFARRfrau gestellt wurden, die ham mich erSCHLAgen und (.) diese VORstellung, ich kann hier ein ganz normales aktives gemeindeglied sein wie ich es WÄre, wenn ich NICHT mit nem pfarrer verheiratet (.) mit so ner illusiON bin ich hier HERgekommen. ich will (.) also ich will diese rolle NICH füllen, ich will aber en aktives geMEINdeglied sein //hmm//so wie ich es auch wäre, wenn Martin NICH pfarrer wäre und das funktioNIERT nich. also ich musste mich IMMerzu IRgendwie positioNIEren” (Schmidt 41-50)
Die komplette Ablehnung von Rollenerwartungen gegenüber der Gemeinde ist nicht leicht. Martin und Susanne Schmidt berichten, dass ihre Vorgänger aufgrund der negativen Gemeindereaktionen auf ihr nicht traditionelles Rollenverständnis die Pfarrstelle wechseln mussten (Schmidt 607ff). Vor allem für Frauen ist es schwer, sich von der Übermacht der Pfarrfrauenrolle zu distanzieren. “Pfarrmännern” fällt die Abgrenzung hingegen leichter, wie das Beispiel eines interviewten Ehepartners zeigt.
“Sie: also die erwartung, die DA war, WAR, dass du EINsteigst mit in die geMEINdearbeit.
Er: da hab ich mich RAdikal rausgehalten //hmm//also ganz KLAR, wenn ich dort den kleinen finger gegeben HÄTTe, dann- ja, dann hätt=ich och ins AMT gehen können, dann hätt=mer fuffzig-fuffzig die stelle machen können, wie auch immer, weil- das is ohne GRENze.” (Hein 265-270)
Einige Ehepartnerinnen berichten von dem Druck, welcher vor allem in der Anfangszeit durch verinnerlichte – vermutete oder reale – Erwartungen auf ihnen lastete.
“Sie: ja, ich bin dann durchs DORF geloofen als frau PFARRer und nich als jemand, den mer eigentlich NI kennt und erstmal GUCken, wer hier HERgezogen is, sondern ich hab sozusagen och bissel die blicke hinter den garDInen gespürt. //hmm//ja.
I: das heißt, ganz offen sind keine erwartungen gekommen, aber man hat sie trotzdem gespürt, oder ausgemalt?
Sie: JA:, das könnte SEIN dass mer sich das SELber- (-) man wollte och alles GUTmachen ne. u:nd (2) das geLANG irgendwie nich, weil mer sich das schon so zuRECHTgelegt hat, dass mer jetzt nich nur mutter is sondern och PFARRfrau. //hmm//meine verMUtung.” (Gruber 88-98)
Auch Simone Reichel versuchte in bestimmten Bereichen wie der Kindererziehung, dem Bild einer Pfarrfamilie zu genügen, ohne dass sie dazu einen äußeren Anlass hatte (Reichel 550-553).
Schwierig empfanden die meisten Frauen die Abgrenzung in den Zeiten, als sie mit kleinen Kindern zu Hause waren. Drei Ehepartnerinnen, darunter Susanne Schmidt, berichten von Abgrenzungsproblemen in dieser Zeit.
“Sie: und ganz beLASTend fand ich dieses pfarrhausleben, als meine kinder ganz KLEIN warn und ich (-) hier sehr ANgebunden war und dann eben auch ständig EINgebunden, also mich überhaupt nich entZIEhen konnte, jetzt KANN ich mich entziehen, dadurch dass ich oft nich DA bin, aber (1) dass dann STÄNdig jemand auf der KLINGel steht, auch wenn martin nich DA is (-) und mich ganz SELBSTverständlich in ANspruch nimmt //hmm//(5) und dass es mir da SCHWER gefallen is auch für mich GRENzen zu ziehen (.) wie weit geh ich da MIT und wie weit zieh ich mir den ZORN ZU und sag einfach NEIN, inwieweit fühl ich mich da verPFLICHtet” (Schmidt 122-132)
Sie schildern, dass es ihnen erst nach und nach gelang, sich besser abzugrenzen und bestimmte Dinge auch abzulehnen.
“Sie: bis ich dann nach zwei jahren mir gesagt hab, es is mir jetzt VÖLLig eGAL, ob das von der gemeinde akzepTIERT wird oder was die darüber DENKen, ich mach jetzt hier meinen STIEfel.” (Schmidt 52-55)
Eine Hilfe war den Frauen ihre Berufstätigkeit, mit welcher sie nicht nur eine Rechtfertigung gegenüber der Gemeinde, sondern auch Bestätigung und einen wichtigen Ausgleich zum Pfarrhausleben hatten.
“Sie: ich musste ja nun och so-n weg für mich finden, wie ich nun jetzt hier so (-) oder welche ROLLe ich nun jetzt hier so führen MUSS oder WILL und och erWARtet wird und (-) also ich denke, es is gut, dass ich eben halt meinen beruf habe, und das WISSen die.” (Reichel 612-615)
“Sie: und so bin ich mal WEG, bin von HIER weg, hab ein bisschen mein EIgenes. //hmm//und och selbst dort auf arbeit, also, bin ich sehr gut anerkannt. gibt och gar keene probleme, also im GEgenteil.” (Reichel 207-209)
Die Mehrheit der Pfarrerehepaare ist davon überzeugt, dass die Beteiligung und das “Mittragen” des Pfarrerberufes durch den bzw. die EhepartnerIn wichtig und notwendig ist.
“Sie: aber ich habe auch gemerkt (.) man muss trotzdem (1) so ein kleines bisschen sich mit beteiligen. also so GANZ ohne beteiligung geht’s nich, dann is der haussegen schief.” (Reichel 158-160)
“Er: UND sie muss es natürlich sowieSO mittragen, also (-) OHne dem gehts NI.” (Wenzel 83-84)
Vor diesem Hintergrund wird von zwei Pfarrerpaaren jedoch hinterfragt, ob die indirekte Einbeziehung der EhepartnerInnen in den Dienst des Pfarrers, wie sie im Pfarrerdienstgesetz formuliert ist, notwendig und angemessen ist.
Aktivitäten
Das Engagement der EhepartnerInnen in den Gemeinden ist heute nicht mehr so selbstverständlich, wie es noch zwei Generationen zuvor war. Zwei Ehepaare berichten von ihren Vorvorgängern, welche noch dem klassischen Rollenbild einer Pfarrfamilie genügten und wo die “Pfarrfrauen” dementsprechend selbstverständlich in der Gemeinde tätig waren (Schmidt 642ff; Hein 393ff).
Art und Ausmaß der Beteiligung in der Gemeinde wird heute von den EhepartnerInnen größtenteils selbst bestimmt. Dabei entsteht eine Bandbreite an Beteiligungsmöglichkeiten, die von der totalen Verweigerung bis hin zu einer frei gewählten aktiven Übernahme der Rolle einer “Pfarrfrau” reicht. In den Interviews wird deutlich, dass Ausmaß und Form des Engagements in der Gemeinde an die biographische Situation der EhepartnerInnen angepasst werden und sich im Lebensverlauf auch verändern können.
“Sie: Als Johannes im Kleinkindalter war, hab ich hier son Mütter-Kleinkind-Treff aufgebaut und den gibts immer noch und der hat auch regen Zulauf und das is schön, dass es den gibt und im Grunde hab ich da für die Gemeinde ne gute Tat getan, ich hab das angeschoben, aber ich hab damals gedacht: ich will das selber gern und ich will da selber gerne sein als eine der Mütter, die da hinkommt, aber das ging schon nich, weil sobald ich da auftauchte, ham die andern sich nich mehr engagiert, also da war die Erwartungshaltung, dass ich das mache.” (Schmidt 789-798)
Auch inhaltlich wird in den Interviews eine Bandbreite an Aktivitäten deutlich, die durch die jeweilige Person und ihre Begabungen und Fähigkeiten bestimmt ist. Während Simone Reichel seit Jahren für den Blumenschmuck in der Kirche verantwortlich ist, ist die Partnerin von Johannes Wenzel in der Kirchenmusik aktiv.
“Er: sie spielt ORgel, darüber FREUT sich die gemeinde (-) und überhaupt so (.) muSIK, da machtse eigentlich sehr VIEL.” (Wenzel 81-83)
Gerade in der Anfangszeit werden durch engagierte EhepartnerInnen auch neue Dinge in den Gemeinden auf den Weg gebracht, zum Beispiel die Gründung einer Kurrende, eines Mutter-Kind-Kreises, die Organisation eines Osterfrühstücks und ähnliches (Schmidt 346-348).
Dieses Engagement, so betonen es die EhepartnerInnen immer wieder, entstand und entsteht vor allem aus den Bedürfnissen der eigenen biographischen Situation heraus und aus dem Wunsch, sich in die Gemeinde zu integrieren.
“Er: KINdergottesdienst bist du jetzt noch mit daBEI das is eben [weil wir SELber kinder haben. ja. mit ANderen; also so mit eingetaktet;]
Sie: [das mach ich als geMEINdeglied, das mach ich als geMEINdeglied]
Er: du bist da och keene CHEfin oder keene LEIterin, sondern; (2) ja.” (Gruber 125-129)
“Er: Und ansonsten hab ich dadurch, dass ich im Posaunenchor mitblase, hier meinen ganz festen Platz in der Gemeinde gefunden und dadurch, dass das soviel Freude macht, ist das auch mühelos.” (Bauer 199-202)
Das Engagement wird von den Ehepartnerinnen nicht als Erfüllung einer Erwartungshaltung an die “Pfarrfrau” verstanden, sondern als Beteiligung eines aktiven Gemeindemitglieds am Gemeindeleben. Die herausgehobene Position der “Pfarrfrau” oder des “Pfarrmannes” wird damit von den meisten EhepartnerInnen abgelehnt. Das Musizieren in Chor und Posaunenchor, der Besuch von Gemeindekreisen und auch die Mitarbeit im Kindergottesdienst sind somit Dinge, die ganz bewusst als freiwilliges Engagement bezeichnet werden.
Allerdings können durch solche Aktivitäten auch weitere Erwartungshaltungen in der Gemeinde erzeugt werden. So wird von mehreren Paaren die Schwierigkeit beschrieben, sich aus einmal übernommenen Aktivitäten und Aufgaben wieder zurückzuziehen.
“Sie: und (.) und dann kommts auch immer drauf an, wie <<f> man ANfängt von ANfang AN>. wenn man, wenn man GLEI:ch REgelmäßig mitgeht, Überall dabei is (–) SCHÖN is das, (.) und wenn man aber dann auf eenmal nich mehr dabei is, DANN komm solche fragen. <<p> wieso isn deine FRAU nich da?> und so.” (Reichel 68-72)
“Sie: und was mir AUCH schwer fällt, is (.) dass ich mich aus bestimmten sachen nich RAUSziehen kann, also jetzt grade, weil jetzt Ostern vor der tür steht, ich hab am ANfang ham wir hier sachen EINgeführt, sicher auch so aus enthusiASmus, en Osterfrühstück mit der geMEINde und vorher ne Osterwanderung und ALLes schön und gut (-) und es macht ja auch SPAß, aber ich hab eben nich JEdes jahr lust Ostern mit der geMEINde zu feiern, ich möchte das auch MAL NUR mit meiner faMIlie machen oder so und (-) das is natürlich ne FREIheit, die alle ANdern gemeindeglieder HAben, die komm ja auch nich alle JEdes jahr //jaja//aber (-) es GEHT irgendwie nich, ner.” (Schmidt 344-353)
Die Verweigerung der Beteiligung in der Gemeinde ist zwar möglich, muss jedoch meist begründet und gerechtfertigt werden. In diesem Zusammenhang haben es Männer (aufgrund der fehlenden Erwartungshaltung in der Gemeinde) sowie berufstätige EhepartnerInnen (aufgrund der fehlenden Zeit) leichter, sich von Gemeindeansprüchen abzugrenzen.
Betreuung und Begleitung durch die Landeskirche
Die Angebote, welche landeskirchlicherseits (zum Beispiel vom Pfarrfrauendienst, aber auch durch Pfarrfrauentreffen auf der Ebene der Ephorien) für den Austausch zwischen “Pfarrfrauen” gemacht werden, finden bei den befragten Ehepartnerinnen kaum Interesse. Die Einladungen dazu werden zwar registriert, aber eine Teilnahme nicht in Erwägung gezogen. Lediglich zwei Frauen haben bereits an einem solchen Angebot teilgenommen.
“Sie: das hab ich mal EINmal geMACHT und da hab ich gemerkt: nee, das BRAUCHST du ni. das is wieder eine FRÖMMigkeit und- (-) o NEE
Er: ich dachte, die produzieren proBLEme, die vorher garni DA waren oder irgend sowas?
Sie: das OCH (-) und da sitzt man im KREI:S und und dann muss man REden und dann hat man zwischendurch och en paar alte richtig traditioNELLe pfarrfrauen so mit drin. ICH hab mich dort nich WOHLgefühlt.” (Reichel 816-824)
Zum einen werden die Themen als zu “hausbacken” empfunden oder sie stehen zumindest unter Verdacht, traditionelle und fromme Pfarrhaustraditionen zu repräsentieren; zum anderen haben die Ehepartnerinnen die Erfahrung gemacht, dass auf solchen Treffen eher Fassaden gezeigt werden und die wirklichen Probleme nicht angesprochen werden können.
“Sie: das war dann ne GANZ grauslige veranstaltung. ich glaub sie fands selber AUCH schlimm und sie hatte SELber zum ersten mal gemacht und das war dann für MICH so (.) da geh ich nich mehr HIN, also //hmm//da hat (-) ich hab gedacht, es geht völlig daran vorBEI, die die PFARRfrauen, die ham da keine möglichkeit sich AUSzutauschen vielleicht über die SCHWIErigkeiten, die sie haben, das wurde unterm DEckel gehalten, alle ham gesagt was sie alles tolles MACHen und was sie für tolle KINder haben und ansonsten hat ein oberlandeskirchenrat irgendeinen VORtrag gehalten zu einem (.) kann ich dir nich mehr sagen woZU aber AUCH was, was völlig an mir vorBEIgegangen is.” (Schmidt 914-924)
“Sie: da wird ja nich über EheKRIsen geredet. da wird ja eher über eheharmoNIE geredet wenn-” (Gruber 604-605)
Das Bedürfnis nach einem Austausch mit anderen EhepartnerInnen von PfarrerInnen ist unterschiedlich groß. Bei denen es stark ausgeprägt ist, werden jedoch informelle Beziehungen den formellen Angeboten vorgezogen (siehe 8.5.3).
Allerdings sind alle bisherigen Angebote nur auf “Pfarrfrauen” als Zielgruppe ausgerichtet. Nach dem Bedarf an solchen Angeboten befragt, äußerten sich die beiden befragten “Pfarrmänner” unterschiedlich: Während Steffen Hein keinerlei Bedarf sieht, kann sich Matthias Bauer einen Austausch – allerdings auch mit “Pfarrfrauen” – gut vorstellen und ist prinzipiell sehr interessiert an den Erfahrungen anderer EhepartnerInnen.
“Sie: also wir ham überlegt, was könnte das geMEINsame thema dieser MÄNNer sein, ner
Er: wüsst=ich jetzt eigentlich jetzt so richtig NI //ja//aber (2) wahrscheinlich wird’s das gar ni GEben eben, das is VIEL zu differenZIERT.” (Hein 415-419)
“Er: früher gabs ja so PFARRbräutetage oder diese semiNAre, so zu ddr-zeiten vor allem, wo die frauen dann unterRICHtet wurden, sparsam zu kochen und mit wenig auszukommen, weil die pfarrer ja wenig verDIENT haben und sowas, also PFARReheleutetage GABS hier überhaupt nich (2) HÄTT ich vielleicht ganz LUStig gefunden, dass man da mal HINgeschickt wird
I: zuSAMMen mit den frauen oder nur auf MÄNNer ausgerichtet?
Er: also MICH hätts auch interessiert, mich mal mit den FRAUen auszutauschen, denn ich denke mal NUR mit männern bekommt man auch keinen KURS voll” (Bauer 508-518)
7.3
Die Vorbildfunktion
7.3.1
Ehe und Lebensform
Erfahrungen mit der Landeskirche
Ehepflicht
Die landeskirchliche Vorgabe, dass PfarrerInnen heiraten müssen, wenn sie in einer Paarbeziehung leben wollen, ist allen Pfarrerpaaren bekannt und bewusst. Vier der sieben Paare haben sich in einer bestimmten Zeit mit dieser Vorgabe schwer getan oder sehen die Ehepflicht nach wie vor kritisch. Dabei betonen alle, dass es ihnen nicht um die persönliche Ablehnung der Ehe als Lebensform geht, sondern um die Vorgabe “von oben” und die drohende Konsequenz, den gewünschten Beruf nicht ausüben zu dürfen. Drei Paare haben sich vor allem im Studium bzw. Vikariat mit dieser Frage kritisch auseinandergesetzt. Während dieser Zeit haben sie bereits zusammen gewohnt und Martina und Steffen Hein hatten bereits ein gemeinsames Kind.
“
Sie: und das war natürlich also in dieser ZEIT, als es dann so KLAR war, einer- mindestens EIner von uns geht ins PFARRamt, da stand ja dann die frage, da müss=mer aber dann schon verHEIratet sein; und das- (.) also da ham=mer schon WIderstände gehabt
Er: also ich hatte damit NI das problem, vielleicht du ja
Sie: also ich WEIß wir ham uns daran gestoßen, dass wir heiraten MÜSSen um ins pfarramt zu gehen, das WEIß ich noch. (1) und DU dich auch. (-) es ging nich ums heiraten und also- und als wir dann den FRIEden hatten mit dem heiraten, dann war=s oKAY” (Hein 622-630)
Entscheidender als die äußere Form der Ehe wird von Eva Bauer die Qualität der gelebten Beziehung empfunden.
“Sie: also für MICH war das ganz stark (-) ähm (-) dieses man MUSS verHEIratet sein im pfarramt, dann is alles GUT
Er: HMM
Sie: dann schaut man nich mehr genau HIN. und für MICH ist viel entscheidender, wie ne beziehung geFÜHRT wird. und da is mir eGAL, was obenDRÜber steht.” (Bauer 461-466)
Evelyn und Thomas Kahle, die sich kennenlernten, als beide bereits Pfarrer und Pfarrerin in einer Gemeinde waren, hatten dagegen die Schwierigkeit, heiraten zu müssen, um überhaupt zusammenleben zu können.
“Sie: also uns war OCH KLAR, wenn wir gemeinsam leben und ARbeiten wollen, dann müss=mer eben HEIraten, so ner. und das IS halt dann so. und das BLÖde is natürlich dran, du kannst och nich mal GUCKen, GEHT denn das, könn wir zusammen ARbeiten, könn wir zusammen LEben im pfarrhaus, du musst eben erstmal HEIraten.” (Kahle 724-728)
Johannes Wenzel lebt mit seiner Freundin unverheiratet im Pfarrhaus – eine Situation, die erst seit wenigen Jahren überhaupt möglich ist. Er wurde vor dem Stellenantritt auf den Grundsatz des ehelichen Zusammenlebens im Pfarrhaus hingewiesen, bekam aber aufgrund seiner noch jungen Beziehung eine Bedenkzeit.
“Er: naja (.) wir sind damals EINgezogen das die das warn ja damals noch die geSPRÄche zum ende des vikariATs, die beWERbungsgespräche da hamse natürlich auch geFRAGT äh (1) in welchen (-) in welcher beZIEhung ich LEbe obwohl das ja eigentlich gar ni geFRAGT werden darf aber <<lachend> es IS natürlich so> und da hab ich das och so geSAGT, wir sind damals noch NI so lange zusammen damals gewesen, dass dass ich jetzt sofort HEIrate NUR weil wir ins PFARRhaus (.) oder weil ICH jetzt ins pfarrhaus gehe und da ham die gesagt, gut oKAY, also die zeit jetzt bis ende der PRObezeit, die steht zur verFÜgung, dann MÜSSte man (.) also so genau hamses ni geSAGT, aber ICH müsste mir nur im KLAren drüber sein, wir können ni Ewig verlobt bleiben.” (Wenzel 110-121)
In seinem Fall wird von kirchlicher Seite durch den zuständigen Superintendenten in regelmäßigen Abständen nachgefragt, wie weit die Heiratspläne gediehen sind.
Ehe und Familiengründung
Die kirchlichen Vorstellungen hinsichtlich des korrekten Ablaufs des Paar- und Familienbildungsprozesses bei PfarrerInnen werden als traditionell bürgerlich beschrieben.
“Er: NEE, aber von daher is das schon noch son reLIKT. [...] wenn man dann in die erste pfarrstelle KOMMT, möge man ordentlich verHEIratet sein und am besten auch schon die kleinen KINder haben, aber naTÜRlich auf dem ordentlichen vorgeschriebenen WEG, ERST heiraten, DANN zusammenziehen und DANN die kinder kriegen.” (Kahle 730-737)
Ehepaar Hein und Ehepaar Bauer bekamen ihr erstes Kind noch unverheiratet. Beide Paare haben sich im Vorfeld der Bewerbungsgespräche Gedanken um die Reaktion der Landeskirche gemacht. Allerdings gab es Anfang der neunziger Jahre dazu auch tatsächlich Anlass, wie die Geschichte einer Freundin des Ehepaares Hein beweist.
“Er: die persoNALgespräche, das war die zeit, wo=s och nich selbstverSTÄNDlich war, ne stelle zu kriegen, also es war schon- da hing VIEL von ab und wir hatten och im VORfeld schon gehört, also moRAlisch, da ham=se schon droff geACHtet. also bei ner FREUNdin von dir, da ham=se (-) da müssen=se NACHgerechnet haben vorneweg, wann das kind geBOren wurde, also KRASS,
ner, da gabs ne- da gabs spitze beMERkungen und so” (Hein 636-642)
Dagegen hatten Martina und Steffen Hein Glück. Ein Oberlandeskirchenrat war davon ausgegangen, dass ihre Tochter aufgrund ihres Alters und der erst später erfolgten Heirat kein gemeinsames Kind sei. Er zollte Steffen Hein im Personalgespräch seine Anerkennung für die soziale Tat, eine junge Mutter mit Kind geheiratet zu haben. Steffen Heins Richtigstellung bewirkte, dass er ungläubig staunend Martina Hein diesbezüglich in Ruhe ließ (Hein 645-655).
Eva Bauer hat dagegen zehn Jahre später kein Problem, mit einem unehelichen Kind eine Pfarrstelle zu bekommen. Allerdings wurden auch ihr die Rahmenbedingungen, die baldige Heirat, deutlich ans Herz gelegt.
“Sie: oder das eben faMIlie autoMAtisch bedeutet, man is verHEIratet. also ELtern, die nich verHEIratet sind, kommen in entsprechender theologischer FACHliteratur zu diesem thema überhaupt nich VOR. und dass es aber einfach- also dass man KINder zeugen kann, ohne dass man verHEIratet is, dass is- da hab ich immer gedacht, wie weltfremd IS denn SIND denn die leute eigentlich.
I: und ist da landeskirchlicherseits mal reaGIERT worden oder mal drauf beZUG genommen worden?
Sie: naja KLAR. sehr SACHte, aber unmissverSTÄNDlich wurden ganz klar die RAHmenbedingungen genannt.” (Bauer 486-496)
Inzwischen ist das Paar verheiratet und versteht die Heirat als einen öffentlichen Schritt, in dem der Wille zur Verbindlichkeit gezeigt wird, welcher ansonsten für die Öffentlichkeit nicht greifbar wäre (Bauer 478-483). Dennoch beklagt Eva Bauer, dass nach wie vor nichteheliche Paarbeziehungen (und speziell solche mit Kindern), die in vielen Fällen auf Dauer angelegt sind, von der Kirche nicht als solche wahrgenommen und akzeptiert werden (Bauer 475-476).
Ehe und Glaube
Von Evelyn Kahle wurde außerdem die landeskirchliche Vorgabe angesprochen, dass die EhepartnerInnen von PfarrerInnen ebenfalls Mitglied einer christlichen Kirche sein sollten. Andernfalls ist die Ausübung des Pfarrberufes nicht möglich. Diese Vorgabe bedeutet für die davon betroffenen Paare einen erheblichen Druck. Sie stehen vor der Wahl zwischen der Taufe des/der EhepartnerIn oder dem Verzicht auf den Beruf.
“Sie: und das is das hab ich och bei FREUNdinnen erlebt, das is en absoluter DRUCK bis DAhin, dass die dann nich ins PFARRamt gegangen sind, weil sie gesagt ham, wir wolln unsre männer och nich ZWANGstaufen lassen, die WÜRden um meines JOBS willen, aber dafür is mir mein glaube zu HEIlig //hmm//oder eben och HALBherzige kircheneintritte und das is eben OCH verrückt, ner.” (Kahle 811-816)
Paarbildung
Wie junge PfarrerInnen eine/n PartnerIn finden, beschäftigt inzwischen auch die Landeskirche. In Seminaren für zukünftige Mentoren von VikarInnen (wozu das Ehepaar Kahle gehört) wird den PfarrerInnen die Bitte übermittelt, ihre VikarInnen in geeigneter Form darauf hinzuweisen, dass das Vikariat die letzte Möglichkeit ist, unbelastet von der Pfarrerrolle einen Partner fürs Leben kennenzulernen. Als junger Pfarrer oder junge Pfarrerin auf dem Dorf sei diese Möglichkeit weitaus begrenzter.
“Sie: WO lernt=mer denn in WOLkenstein oder sonst im erzgebirge da jemanden KENNen, war seine formulierung. aber warum soll=mer denn in WOLkenstein jemanden kennenlernen?
Er: ja und es sind ja auch nich alle vikare in der STADT, Oder?
Sie: NEE, aber ER sagt, in der stadt is die CHANce größer, dass der pfarrer nochmal IRgendwo HINgeht und nich SOfort immer gleich der herr PFARRer is und niemanden KENNenlernt, aber-” (Kahle 790-796)
Deutlich wird hier, dass die Veränderungen in den Paarbeziehungen und Paarbildungsprozessen sowie das gestiegene Heiratsalter von der Landeskirche durchaus registriert werden. Die landeskirchliche Einflussnahme auf die privaten Lebensbezüge ihrer VikarInnen und PfarrerInnen hat zwar heute einen eher sorgenden Charakter, bleibt jedoch in ihrer normativen Bestimmung dieselbe.
Erfahrungen mit der Gemeinde
Es gibt sehr unterschiedliche Erfahrungen mit Erwartungen in den Gemeinden, die Ehe und Lebensform der PfarrerInnen betreffend. Die Bedeutung, die der Pfarrerehe, der Familie der PfarrerInnen sowie der Scheidung von PfarrerInnen beigemessen wird, ist abhängig von verschiedenen Faktoren. Dazu zählen unter anderem, wie die regionale Kultur und die Gemeinde geprägt sind, ob es eine Stadt- oder Dorfgemeinde ist, welcher Altersgruppe der Pfarrer oder die Pfarrerin bzw. die Gemeindeglieder angehören und welche Erfahrungen unter Umständen mit AmtsvorgängerInnen gemacht wurden.
Region
Mehrere Paare betonten, dass sie sich in ihren eher säkular geprägten Regionen sehr wohlfühlen, weil in den Kirchgemeinden die Erwartungen an die Frömmigkeit und Lebensführung der PfarrerInnen zwar vorhanden, aber moderat sind. Ehepaar Schmidt äußerte in diesem Zusammenhang die Vermutung, dass diese Erwartungen in Gemeinden im Westerzgebirge um ein Vielfaches höher sind (Schmidt 1025-1034).
Einen konkreten regionalen Unterschied stellte Johannes Wenzel fest, welcher als Pfarrer mehrere Dörfer zu betreuen hat, durch die eine regionale Mentalitätsgrenze verläuft. Während in einem Dorf die (noch nicht geschlossene) Ehe des Pfarrers keine größere Rolle spielt, hört er aus den anderen Dörfern andere Meinungen.
“Er: ja, die gemeinden hier in diesem kirchspiel sind eben auch sehr unterschiedlich, auch von der FRÖMMigkeit sehr anders. und von daher is och das thema Ehe für die ANdern gemeinden och noch mal was ANders, ner. also in dem anderen dorf zum beispiel weeß ich, dass der amtierende sup hin und WIEder mal angesprochen wird, nu wann HEIraten die denn mal endlich und äh (-) so anderthalb jahre sind doch geNUG zeit um sich klar zu werden OB man will oder ob man NI will, ähm, das sagen die aber ni zu MIR, das is manchmal bissel EIgenartig” (Wenzel 274-281)
Stadt-Land-Unterschiede
Da bis auf ein Ehepaar alle Pfarrerehepaare noch in ihrer ersten Pfarrstelle sind, war den meisten ein konkreter Vergleich mit einer anderen Pfarrstelle nicht möglich. Lediglich das Ehepaar Kahle hatte bereits einen Pfarrstellenwechsel vollzogen und konnte die Situation einer Stadtgemeinde mit der einer anderen Stadtgemeinde bzw. der einer Kleinstadtgemeinde vergleichen. Die Haltung ihrer ersten Stadtgemeinde zu ihrer persönlichen Lebenssituation beschreibt Evelyn Kahle als neutral. Ihre privaten Lebensumstände und damit auch ihre damalige Paarbeziehung waren nicht von herausgehobenem Interesse.
“Sie: und äh (2) anSONsten war ich eigentlich, die ich WAR und äh sicher mit kanten und mit SCHWIErigkeiten und damals och noch mit ner- mit ner PARTnerschaft, die dann och wieder in die BRÜche ging, aber das war irgendwie- das spielte da keene ROLLe.” (Kahle 298-302)
Dagegen hat Thomas Kahle in der Kleinstadt die Erfahrung gemacht, dass die Gemeinde auch in Bezug auf Familienstand und Lebensform Erwartungen an ihren Pfarrer äußerte.
“Er: ich (2) kann mich entSINNen, also ich war in=ner KLEINstadt dreieinhalb jahre lang pfarrer unverHEIratet und habe sehr DEUTlich gemerkt, wie ganz bestimmte BILder und erWARtungen auch sehr SCHNELL sich getraut wurden an mich zu ÄUßern, dass ich doch verHEIratet zu sein habe und KINder zu haben habe” (Kahle 356-361)
Gemeindeunterschiede
Unabhängig von regionalen Gemeinsamkeiten beziehungsweise einigen generellen Stadt-Land-Unterschieden unterscheiden sich oft auch die einzelnen Gemeinden voneinander, je nach dem, durch wen die Gemeindearbeit aktiv gestaltet und geprägt wird. Erwartungen hinsichtlich der Ehe und Lebensform von PfarrerInnen spielen in Gemeindegremien vor allem im Rahmen von Pfarrstellenneubesetzungen eine Rolle, wo Gemeindeglieder aktiv an der Suche und Wahl des/der zukünftigen PfarrerIn beteiligt sind.
“Sie: also ich hab das auch noch aus ner ANdern gemeinde gehört, wo das ne GANZ große ROLLe gespielt hat bei der auswahl //hmm//wos also MEHrere bewerber gab und es sollte KEIN geschiedener sein.
Er: das is en geSCHEIterter.” (Schmidt 1054-1058)
Aber auch im Fall des noch unverheirateten Johannes Wenzel beschäftigt die Pfarrerehe die Gemeinde. Dabei wird hier – ähnlich wie bei anderen Erwartungen an PfarrerInnen – zumeist der indirekte Weg gewählt.
“Er: also VORbild is im grunde DAS wort, was am MEIsten kommt (1) WENNS kommt. //hmm//wobei (-) MIR gegenüber WEniger, bei meiner freundin eben schon Eher dass es thematisiert wird (-) jetzt so vom (.) so von geMEINdegliedern her, sie wird also mehr angesprochen u:nd ICH kriegs eben mehr von KIRCHlicher seite, aber och ni diREKT vom landeskirchenamt oder regionalkirchenamt, sondern dann eben übern SUP (-) dass er in REgelmäßigen abständen fragt na also wie siehts denn AUS? und ((lachen)) also is en bissel RUMgeeier.” (Wenzel 125-133)
Alter der Gemeindeglieder
Es ist zu erkennen, dass gerade für viele jüngere Menschen die Ehe bzw. die Frage der Lebensform allgemein kein zentrales Thema mehr ist und demzufolge auch die Ehe des Pfarrers bzw. der Pfarrerin keine so große Bedeutung besitzt.
“Er: och überHAUPT so das thema äh Ehe oder (-) das spielt überhaupt keine ROLLe (1) also och bei ACHTzehnjährigen ni oder bei NEUNzehnjährigen ni (2) also ENTweder bin ich TAUB und HÖRS ni, aber ich hab das noch (.) also MIR gegenüber noch NICHT EIN mal (.) och wenn dann so sage mach=mer mal en THEmawunsch och mit ÄLteren (2) da kommt SONSTwas aber DAS thema ja (.) noch nie. //hmm//und mir leuchtet das och irgendwo EIN, früher musste man heiraten um zuSAMMen zu leben (-) das IS heut ni mehr //ja//also so der ANlass der ehe (.) is WEG.” (Wenzel 315-324)
Erwartungsgemäß sind es vor allem ältere Gemeindemitglieder, denen es wichtig ist, dass der Pfarrer oder die Pfarrerin verheiratet ist.
“Er: ähm (2) bei der geMEINde sinds ähm (.) sinds UNterschiedliche stimmen, ich globe für das GROS HIER im ort is das glob=ich ni das THEma. die mehrheit würdes sich WÜNschen, weil eben och die gemeindeglieder eher ÄLter sind und sag=mer mal ab dem alter fuffzig offwärts is glob=ich die ehe noch was ganz ANders als was es für uns jetzt in MEInem alter is. ja, und da gibts natürlich bei manchen ne erWARtungshaltung, VORbildwirkung TRAlala” (Wenzel 90-96)
Auch im Hinblick auf andere Familienformen bei PfarrerInnen zeigt sich eine alters- bzw. generationsbedingt unterschiedliche Wahrnehmung. So wird der Umstand, dass einer der Pfarrer einen unehelichen Sohn hat, von jüngeren Gemeindegliedern in keiner Weise problematisiert, während bei älteren Personen doch Zweifel und Anfragen bestehen.
“Er: mein geFÜHL (-) bei den JÜNGeren leuten is das WEniger en problem, da gibts ja ganz (.) diese ganzen PATCHworkgeschichten, dies gibt, wo ich das gefühl habe, das es WEniger das problem is. bei ÄLteren leuten, wo ich das SAge oder als ich das damals hier im KIRchenvorstand gesagt habe, da wird dann schon en bissel geGUckt und gestutzt, ob denn das auch so SEIN kann als wenn man hier so (-) ähm wir ham ja erst geheiratet mit mitte DREIßig, als wenn man vorher im luftleeren RAUM is, da darf auch nichts SEIN, so. man muss so lange warten, bis sozusagen dann die RICHtige vor der tür steht und so. ähm, also DA merk ich, dass es da auch so ANfragen an so innere und so ZWEIfel gibt, ob das so SEIN kann und SEIN darf und ob das alles so RICHtig is.” (Kahle 753-764)
Akzeptanz des Pfarrerehepaares
Ein zentrale Voraussetzung für die Tolerierung anderer Lebensformen und -stile einer Pfarrerin oder eines Pfarrers ist seine/ihre Akzeptanz innerhalb der Gemeinde. Diese kann unter Umständen auch von vornherein gegeben sein, beispielsweise aufgrund schwieriger Gemeindeerfahrungen (z.B. längeren Vakanzen, häufige Pfarrerwechsel) in der Vergangenheit und dem daraus entstandenen Bedürfnis nach Kontinuität und Frieden (Bauer 132ff). Vor diesem Hintergrund ist die Gemeinde dann eher bereit, bestimmte Erwartungshaltungen an den Pfarrer/die Pfarrerin zurückzustellen.
“Sie: das HEIßt, die sind och sehr dran interesSIERT, dass wir bleiben, dass es uns geFÄLLT, dass es uns GUT geht, da wird och immer mal wieder danach geFRAGT und (.) ähm (.) entsprechend OFfen oder POsitiv (.) also da wird och viel MÖGlich gemacht, ner.” (Bauer 134-138)
Außerdem lässt sich anhand der Äußerungen vermuten, dass die beiden jungen Paare, welche jeweils unverheiratet ins Pfarramt kamen, auch aufgrund ihres Alters und der Zugehörigkeit zu einer jüngeren Generation mit einer gelasseneren Reaktion der Gemeinde rechnen konnten. Ihnen wird eine gewisse Kennenlernzeit zugestanden. Nichteheliche Lebensgemeinschaften, die vor allem in der jüngeren Generation inzwischen normal sind, werden inzwischen auch in vielen Gemeinden – als Vorstadium einer Ehe verstanden – auch bei jungen PfarrerInnen anerkannt.
“Sie: wir sind hier HERgekommen und warn noch nich verHEIratet, hatten en KIND, aber warn noch nich verHEIratet, ähm (–) aber da hat NIE jemand irgendwie kritisch gefragt, weil och, dass stand dann och AN, dass wir bald heiraten, also wir ham das nich RAUSposaunt, aber es war dann och klar.” (Bauer 279-283)
Unabhängig von ihrer ganz persönlichen Einstellung und Lebenssituation bemühen sich jedoch auch die PfarrerInnen, die Ehe als von der evangelischen Kirche präferierte Lebensform gegenüber der Gemeinde nicht in ein negatives Licht zu rücken.
“Er: und meine distanZIERTheit zum thema ehe tu ich och in der gemeinde ni kommuniZIERN //hmm//also DAS mach ich NI. //hmm//ich freu mich och über JEden der da kommt. aber (1) zweie sinds (1) bisher. ((schmunzelt))” (Wenzel 204-207)
Persönliche Vorstellungen
Die Ehe als alleinige Lebensform für Pfarrerpaare war vor allem für die beiden jungen PfarrerInnen, Eva Bauer und Johannes Wenzel, ein Thema, mit dem sie sich kritisch auseinandergesetzt haben bzw. nach wie vor auseinandersetzen. Ein zentraler Ansatzpunkt für sie ist dabei das Argument, Pfarrer sollten wegen ihrer Vorbildfunktion verheiratet sein.
“Er: wobei ICH mich da immer frage WELches vorbild (.) will man eigentlich sein, ner? und jetzt bloß so zu HEIraten, um en VORbild abzugeben das is ni mein (-) mein ding. //ah ja//also weil ich och denke dass die ehe an SICH ich will ni sagen sich überLEBT hat das glob=ich NI, aber dass wir heute in ner ZEIT leben, wo einfach verschiedene lebensentwürfe och GÜLtigkeit ham, dass man das ni so ohne weiteres (2) naja (.) ANsetzen kann als DAS alleinige. das find=ich KÄse. Und zuMAL frag=ich mich eben och, wenn der PFARRer heiratet, würden wirklich ANdre heiraten? also DAS (-) is für mich Irrig. das is im grunde NUR, na bei denen LÄUFT das noch. so. und da komm=ich mir vor wie so en MUmien(-)konservator also” (Wenzel 96-107)
Auch Ehepaar Reichel betont, dass die Ehe heute nicht mehr die einzige Lebensform für Paare darstellt und auch andere Lebensentwürfe ihre Gültigkeit haben (Reichel 522-524). Unabhängig davon, ob sie die Ehe persönlich als Selbstverständlichkeit betrachten oder nicht, ist die Qualität der gelebten Paarbeziehung für alle Paare das letztlich entscheidende Kriterium. Und doch erkennen die Pfarrerehepaare in der Ehe bestimmte wichtige Werte. So wird von Eva Bauer die Bedeutung der Ehe als ein öffentliches Bekenntnis zueinander benannt.
“Sie: ich meine, ich kanns mittlerweile en STÜCK verStEHN, weil NUR durch so einen ÖFFentlichen SCHRITT is das ja irgendwo HANDhabbar oder GREIFbar, dass die sich WIRKlich dazu (.) beKANNT haben, woran willste das sonst FESTmachen. also von DEM punkt her kann ich da das och verSTEHN, aber ICH denke, man sollte da doch auch schaun, WIE ne partnerschaft gelebt wird. DAS is für mich entscheidend und deWEgen hab ich mich lange an diesem man muss da verHEIratet sein gerieben.” (Bauer 478-486)
Die Bedeutung der Ehe als einer Institution mit Verbindlichkeit, die das Auf und Ab der alltäglichen Paarbeziehung zu überstehen vermag, wird von Bernd Reichel gewürdigt. Er stellt dabei als stabilisierende Faktoren seiner Ehe neben der Paarbeziehung auch andere Bindungen wie zum Beispiel Kinder und Beruf.
“Er: also DORT, wo wo ehe nich leBENdig is oder och HILFT, (-) BEIden, dann dann soll man se AUFlösen und (1) also ich meine, WICHtig ist ja der BUND, das verSPREchen, wir wolln uns HALten und so ne bindung is mehr oder weniger STARK [... länger ausgeführter Vergleich des Ehebundes mit dem Bund zwischen Gott und den Menschen im Glauben, T.K. ...] und wenn man die aber ein stück weit laufen lässt als instituTION, dann kann sie eben auch TRAgen, bis sie vielleicht dann wieder mal geFÜLLT wird, also das ist der VORteil von solchen institutionellen bindungen. wenn die NI wären, dann würde man dann schon Eher auseinandergerannt sein, <<zu ihr> da wärst du vielleicht schon LÄNGST über alle BERge> äh und SO sagt man sich, naJA, du hast die und die und DIE bindung, da sind eben KINder und da is eben der JOB und da is das alles mit daBEI. (1) also bleib=mer noch en bissel, bis das dann vielleicht och mal wieder en stück mehr an INhalt gewinnt.” (Reichel 1164-1186)
Thematisiert wird auch die Bedeutung der Ehe im Hinblick auf die bewusste Entscheidung des Paares füreinander, welche mit gegenseitiger Verantwortung und Sicherheit für die einzelnen Partner verbunden ist. Bei Johannes Wenzel und seiner Partnerin wird jedoch auch deutlich, dass dieses Bedürfnis innerhalb eines Paares unterschiedlich ausgeprägt sein kann.
“Er: aber (-) wie gesagt, für mich perSÖNlich is das [die Heirat, T.K.] ni das THEma (-) SO wichtig äh (1) für Sarah is das och noch mal en stück ANders, also sie würde schon Eher, (1) ähm och so aus gründen der SIcherheit (1) ja, und ich denk dass das wirklich tatSÄCHlich en JAsagen is, das is ihr OCH nochmal (-) das is ZWIschen uns UNterschiedlich (-) in der beTRACHtung.” (Wenzel 227-232)
Auf der persönlichen Ebene betonen viele Pfarrerehepaare, dass sie ebenso wie andere Paare durch die gesellschaftlichen Entwicklungen beeinflusst sind und sich ihre Bedürfnisse nicht von denen anderer Paare unterscheiden. Ebenso sehen die meisten Befragten aber auch eine potentiell höhere Belastung der Ehe durch den Pfarrberuf und seine Begleitumstände.
“Er: also ich denk, da is=n ehrlicher UMgang in dem sinne och, dass ich sage, ich bin ni besser als ANdre und uns gehts- wir sind KINder unserer ZEIT und äh (2) all die einflüsse, denen andere menschen ausgesetzt sind, die erleben WIR geNAUso, vielLEICHT sogar an manchen punkten sogar noch STÄRker durch diese öffentliche beANspruchung und durch den dienst, der eben manchmal MEHR verlang-” (Reichel 1220-1225)
Es lässt sich konstatieren, dass keines der Paare grundsätzliche Bedenken gegenüber der Ehe hat, aber die für Pfarrerpaare geltende Ehepflicht bei einem Teil der Paare das Bedürfnis verletzt, ihr Privatleben selbstbestimmt und frei von Bevormundung individuell zu regeln. Während alle anderen interviewten Paare vor oder kurz nach ihrem Dienstantritt geheiratet haben, setzt sich der seit eineinhalb Jahren unverheiratet im Pfarrhaus lebende Johannes Wenzel nach wie vor mit dem Thema “Heiraten” und den diesbezüglichen kirchlichen Erwartungen auseinander.
“Er: ich meine wir WOLLN schon och irgendwo heiraten, aber wir würden eben gerne den zeit(.)punkt SELber bestimmen und ni (-) weil das jetzt so (-) eben VORbild sein soll.”(Wenzel 122-125)
“I: sprich, es wird dann aber schon auch irgendwann geheiratet
Er: ja. also ni nur ZWANGSläufig, sondern auch weil wir WOLlen ((lacht)), aber (1) sag=mer mal, der (-) der MOmentan entscheidende faktor is eigentlich dann mehr der DRUCK, dass wir hier irgendwie zu potte kommen müssen da (-) und (-) aber (-) ich betreib das ni als ERstes thema. //hmm//es is mir einfach gar ni so (.) so übermäßig WICHtig und (.) ich kann das och manchmal eben ni NACHvollziehn, dass (1) das für manche son proBLEM is. also ich verSTEHS einfach ni //hmm//ich verSTEH das an DER stelle ni.
I: MANche (-) das sind dann geMEINdeglieder oder eher die KIRCHlichen strukturen
Er: ja, (-) Eher die KIRCHlichen strukturen glob=ich und MANche ältere gemeindeglieder sicherlich och.” (Wenzel 147-160)
7.3.2
Scheidung und dienstrechtliche Konsequenzen
Erfahrungen mit der Landeskirche
Bezogen auf die Kenntnis des Pfarrerdienstrechts und seine Aussagen zur Lebensführung in Ehe und Familie entsteht der Eindruck, dass die meisten Paare das Pfarrerdienstrecht nur vage kennen und sich auch nicht damit auseinandersetzen wollen, so lange es nicht nötig ist. Deutlich wird dies an Formulierungen wie “Ich habs nicht unter dem Kopfkissen liegen” (Gruber 419) oder “Das is ja was ganz Altmodisches.” und “Was isn der Auftrag am Ende?” (Reichel 483, 486) bis hin zu Zitaten aus dem Pfarrergesetz, welche im Pfarrergesetz so nicht (mehr) enthalten sind (Schmidt 975-977).
Die dienstrechtlichen Konsequenzen einer Scheidung sind jedoch allen Paaren nicht zuletzt durch Erfahrungen im Kollegenkreis bekannt und werden von fünf Pfarrerehepaaren äußerst kritisch gesehen. Diese empfinden die dienstrechtlichen Regelungen als Eingriff in die Privatsphäre der Ehepaare und stellen ihre grundsätzliche Berechtigung in Frage. Im Paaralltag fühlen sich die Paare nicht dem Dienstrecht oder kirchlichen Erwartungen, sondern vor allem ihren eigenen Vorstellungen und Zielen verpflichtet, hoffen jedoch gleichzeitig, nicht mit dem Dienstrecht in Konflikt kommen zu müssen (Schmidt 989-1000; Reichel 502-504; Kahle 738-744).
“Er: dieser DIENSTrechtliche EINgriff in das privatleben, das find=ich unMÖGlich (-) u:nd inSOfern nehm ich das ÄRgerlich zur KENNTnis aber (.) es interesSIERT mich EIgentlich nicht. ” (Schmidt 989-993)
Es wird als schwierig bezeichnet, wenn das Scheitern in einem privaten Lebensbereich wie der Paarbeziehung zu Rückschlüssen hinsichtlich der Qualität des beruflichen Wirkens oder zu beruflichen Konsequenzen berechtigt.
“Sie: allerDINGS denk ich kann es natürlich passieren, dass die ehe in die BRÜche geht, der pfarrer TROTZdem e feiner mensch is oder eben die PFARRerin und äh und dass=mer das och vor der gemeinde SAgen kann, die ehe is kaPUTT und in DEM bereich sind wir och geSCHEItert, aber dass es ja noch weitaus MEHR themen des lebens gibt. also wenn die ehe letztenendes der grund DAfür is, dass der pfarrer die stelle wechseln MUSS, is es och wieder SCHWIErig, weil wir scheitern ja tagTÄGlich sozusagen an IRgendwelchen projekten und=und werden täglich SCHULdig, ner” (Kahle 429-438)
Neben dem im Dienstrecht festgeschriebene Verfahren bei einer Scheidung wird insbesondere die in der Sächsischen Landeskirche gültige Praxis des Stellenwechsels nach einer Scheidung von mehreren PfarrerInnen persönlich als eine Bestrafung des Scheiterns in der Ehe empfunden.
“Sie: ja und dann der umgang mit der SCHEIdung. dann MUSS die stelle gewechselt werden, als WÄR mer irgendwie AUSsetzig, keine ahnung, das find=ich en GANZ schlimmen UMgang damit.” (Bauer 469-471)
Argumentiert wird dabei zum einen mit den möglichen Auswirkungen, die diese Regelung auf das Verhalten in einer Ehe haben kann. Benannt wird von den Befragten die Problematik der Tabuisierung von Problemen und Konflikten. Durch die beruflichen Konsequenzen einer Scheidung besteht die Gefahr, dass Probleme in einer Pfarrerehe tabuisiert werden und PfarrerInnen ihre als unglücklich erlebte Ehe aufrechterhalten, sei es, um idealisierte Erwartungen zu bedienen oder aus Angst vor beruflichen Konsequenzen.
“Er: aber sowas hats ja schon geGEben, dass also pfarrer sich NICHT haben scheiden (-) lassen, damit eben dieser SCHEIN oder
Sie: eine fasSAde aufrechterhalten
Er: eine fasSAde aufrecht erhalten ist” (Schmidt 1002-1005)
Zum anderen betrifft es die berufliche und persönliche Situation nach der Trennung. Eine Trennung bedeutet oft den Zusammenbruch der privaten Lebenswelt und ist mit erheblichen Belastungen verbunden. Bei Pfarrern, so argumentiert Johannes Wenzel, ist neben der privaten Welt auch noch der berufliche Bereich von der Trennung und Scheidung betroffen.
“Er: meistens isses ja dann zuSAMMen. also wenns bloß beRUFlich runtergeht, musses ni noch priVAT runtergehn, aber bei der kirche isses, wenns priVAT runtergeht, bist du och beRUFlich dran. das kommt dann früher oder später, also sei es dass du dann DURCHdrehst aufgrund der PSYchischen belastung, weil du ja gar keenen RAHmen hast, gar keenen RAUM hast, dich mal zuRÜCKzunehmen. //hmm//(3) wenns bloß beRUFlich is, da haste ja wenigstens noch deine faMIlie, die TRÄGT dich ja vielleicht noch //ja//da kannste och neu ANfangen, aber wenn das ALLes (-) und DAS seh ich eben so, in ANdern berufen is das NI so.” (Wenzel 357-366)
Hinsichtlich der Konsequenzen im Falle einer Scheidung gibt es bei den Pfarrern unterschiedliche Meinungen. Eberhard Gruber vergleicht die Konsequenzen einer Scheidung als Pfarrer mit den ebenso dramatischen Konsequenzen bei normalen Paaren und sieht sich in keiner Sondersituation (Gruber 544-548). Martin Schmidt dagegen stößt sich an den dienstrechtlichen Regelungen, ist aber der Meinung, dass die Konsequenzen keine Rolle für die persönliche Entscheidung spielen würden (Schmidt 995-998). Für Bernd Reichel stellen die beruflichen Konsequenzen im Falle einer Scheidung jedoch einen maßgeblichen Aspekt dar (Reichel 1110-1111). Johannes Wenzel äußert sich ebenfalls besorgt über die unter Umständen geringeren beruflichen Chancen als Geschiedener.
“Er: du bist ja dann wirklich äh ZEIT deines lebens in diesem beRUF ein stück weit immer ANgreifbar. also wenn du dich woanders bewirbst, das is ja EIner der gründe, um dich nich zu NEHmen.” (Wenzel 345-348)
Zur Situation der EhepartnerInnen bei einer Trennung eines Pfarrerehepaares äußert sich nur Karin Gruber. Sie spricht die mit der Dienstwohnungspflicht des Pfarrers zusammenhängende Tatsache an, dass die EhepartnerInnen nicht ohne die PfarrerInnen in der Dienstwohnung wohnen bleiben können. Damit muss im Falle einer Trennung in jedem Fall zunächst der Ehepartner oder die Ehepartnerin ausziehen.
“Sie: also es wäre- doch, bei uns wäre ANders, dass ich dich nich RAUSschmeißen kann weil wir alle BEIde rausfliegen würden” (Gruber 549-550)
Von Thomas Kahle wird außerdem die Anzeigepflicht beim Bischof in ihrer Zielrichtung in Frage gestellt. Das Ehepaar Kahle erzählt die Geschichte eines Kollegen, welcher den Bischof von seiner bevorstehenden Trennung unterrichtete, woraufhin der Bischof seinen Becher Kaffee zu Boden warf und rief: “Warum kommt ihr immer erst, wenn es zu spät ist!” Das landeskirchliche Verständnis des bischöflichen Anzeigegesprächs als Seelsorge- und Beratungsgespräch wird von Thomas Kahle kritisch gesehen.
“Er: und die reaktion von dem damaligen BIschof, so sie so WAR, is ja auch die frage, was der geMACHT hätte, wenn das paar en jahr VORher zu ihm gekommen wäre, ob er dann nich AUCH mit kaffee geschmissen hätte so nach dem motto nu reisst euch doch am RIEmen //hmm//oder geht doch mal zu ner Eheberatung, weil (.) was soll der BIschof da machen?” (Kahle 706-712)
Da die Konsequenzen einer Scheidung nicht nur die PfarrerInnen selbst, sondern durch den Stellenwechsel auch die Gemeinden betreffen, besitzen sie auch eine nicht zu unterschätzende Außenwirkung. Bernd Reichel äußert die Befürchtung, dass viele Gemeindemitglieder einen erzwungenen Stellenwechsel ihres Pfarrers oder ihrer Pfarrerin aufgrund einer Scheidung in der heutigen Zeit nicht verstehen und sich zunehmend von der Kirche distanzieren.
“Er: LIEbe oder GLAUbe, das lässt sich ALLes nich mit dem willen herBEIreden und per verFÜgung verordnen und das is eben das proBLEM, weshalb man da eher AUFpassen muss als kirche, dass man ni das kind mit dem BAde ausschüttet, wenn man eben so an solchen alten verordnungen FESThält.” (Reichel 1071-1076)
In diesem Zusammenhang äußern auch andere Pfarrer direkt oder indirekt die Meinung, dass das Thema Scheidung von Pfarrerehen sowohl in der Landeskirche als auch auf Gemeindeebene eine unangemessen hohe Bedeutung habe. Drei Paare sehen in diesem Zusammenhang das Verbleiben der Hannoveraner Bischöfin Käßmann auch nach ihrer Scheidung als ein positives Signal, welches aber derzeit in der Sächsischen Landeskirche nicht möglich wäre.
“Sie: und du hast ja jetzt diese diskussionen auch wieder als (.) als (-) bei der KÄßmannscheidung oder so (.) das ging ja wieder DARF die BIschöfin sein, wenn=se geSCHIEden is und was weiß ich was, und die wurde ja hier in der sächsischen LANdeskirche sehr heiß geFÜHRT und dann hat unser BIschof ja auch sich positioNIERT und ein
I: direkt zu frau KÄßmann?
Sie: naJA: nicht diREKT jetzt zu IHR, aber er hat DEU:tlich
Er: DURCHblicken lassen, dass es das in sachsen SO nich GEben würde.” (Schmidt 1067-1076)
Thomas Kahle bezeichnet diese unangemessen hohe Bedeutung der Ehe als Überhöhung. Er kritisiert vor allem die Öffentlichkeit und das “Bildzeitungsniveau” (507), in der die Diskussionen um Pfarrerehen und Pfarrerehescheidungen ablaufen.
“Er: das problem, das ICH dabei habe is, dass nach meiner WAHRnehmung und nach meinem geFÜHL grade in den diskussionen zwisch- von PAAren und PFARRern, deren ehe NICHT funktioniert und die sich TRENNen, diese ganze angelegenheit in der regel überHÖHT wird, VÖLLig überhöht wird. da MÄren sich leute in ne geschichte REIN, die (.) ich nenn jetzt wirklich nur ein FREUNDliches wort, mir würden eigentlich UNfreundliche einfallen, die sie eigentlich gar nichts ANgeht.” (Kahle 494-501)
Diese Überhöhung, so Thomas Kahle, ist vor allem in der Sächsischen Landeskirche noch zu finden, während andere Landeskirchen mit Scheidungen von PfarrerInnen schon anders umgehen.
“Er: in andern landeskirchen da kann sich die BIschöfin scheiden lassen und dann gibt's AUCH irgendwie en aufschrei und die frage, DARF sie das, aber sie bleibt in ihrem AMT. //hmm//und das is, find ich (-) äh (.) das geht ja noch WEIter hinein in GLEICHgeschlechtliche beziehungen und so weiter, wo ich denke, dass da wahrscheinlich noch=n bissel ZEIT hier ins land gehen muss //ja//um SOLche dinge in ihrem ANgemessenen RAHmen zu diskutieren und NICH zu über- zu überHÖhen.” (Kahle 535-542)
Erfahrungen mit der Gemeinde
Die Bedeutung, die die Scheidung eines Pfarrers für die Gemeinde besitzt, steht in Zusammenhang mit der Öffentlichkeit, in der das Lebens eines Pfarrerehepaares in der Gemeinde wahrgenommen wird, sowie im Zusammenhang mit spezifischen Erwartungen, die an dieses Leben gestellt werden. Bei der Scheidung eines Pfarrerehepaares wird die Gemeinde in beiden Bereichen Belastungen ausgesetzt.
So kann das Erleben des Pfarrerehepaares in den Phasen der Trennung, unter Umständen das Involviertsein in die Trennung, für eine Gemeinde zu einer traumatischen Erfahrung werden. Martin Schmidt, der eine solche Situation aus einer Nachbargemeinde kennt, vergleicht sie mit einer “Schlammschlacht” (Schmidt 1043-1045). Dagegen berichten Martina und Steffen Hein von einer Situation, in der die Gemeinde Zeuge einer fairen Trennung eines Pfarrerehepaares war (Hein 179-186).
Außerdem muss die Gemeinde die Enttäuschung ihrer auf den Pfarrer oder die Pfarrerin übertragenen Erwartung vorbildlicher Ehe- und Lebensgestaltung verarbeiten, was ein nicht weniger emotionaler Prozess sein kann. Ein letzter, aber ebenso wichtiger Aspekt, der die Gemeinde im Zusammenhang mit der Pfarrerehescheidung betrifft und belasten kann, ist der in der Sächsischen Landeskirche nach einer Trennung anstehende Pfarrerwechsel und die damit verbundenen Vakanzzeiten.
Neben anderen Vorbehalten können auch diese Erfahrungen zur Folge haben, dass Gemeinden explizit nach einem nichtgeschiedenen Pfarrer suchen. Dies hat Martin Schmidt in einem Nachbarort erlebt, beurteilt es jedoch sehr kritisch.
“Er: da hab ich VIEL diskuTIERT damals und hab mich also wirklich <<mit Nachdruck> GESCHÄMT bis SONSTwohin für sowas>” (Schmidt 1049-1050)
Zwei der befragten PfarrerInnen hatten jeweils einen Amtsvorgänger bzw. eine Amtsvorgängerin, welche(r) aufgrund einer Scheidung die Gemeinde verlassen hat. In beiden Fällen waren es beliebte PfarrerInnen, die eine längere Zeit in der Gemeinde gelebt hatten. Für beide Gemeinden war dies ein prägendes Moment, was auch Vorstellungen und Erwartungen an nachfolgende Pfarrerpaare nachhaltig verändert hat.
“Er: Naja, die zumindestens vielleicht en stück weit abgeklärt sind, meine vorVORgängerin hat sich ja damals dann SCHEIden lassen, (1) und das WAR natürlich en stern der zerplatzt is (-) weil sie eben och so geMOCHT ham von ihrem DIENST her und weil sie so viel hier beWIRKT hat, war das für viele glob=ich wirklich en schlag ins konTUR //hmm//und dadurch dass sie eben och ringsRUM sehen, dass dass ja die scheidung unter pfarrern ZUnimmt.” (Wenzel 334-340)
“Sie: aber es is im geMEINdebewusstsein DAdurch auch angekommen, es gibt offensichtlich irgendwelche beLAStungen an diesem pfarrerdasein, die se zwar ni verSTEhen können, aber es GIBT da offensichtlich was, was SCHWER is für die ehen. also es gibt so en bissel na AHnung davon, dass die arbeit was damit zu TUN gehabt ham könnte, mit der scheidung.” (Hein 189-194)
Persönliche Vorstellungen
Die Pfarrerehepaare erleben sich zunächst als Ehepaar mit allen Sorgen und Problemen, die normale Ehepaare auch haben. Wie jede andere Ehe ist auch ihre Ehe mit einem persönlichen Anspruch und Überzeugungen eingegangen worden. Sie stellen ihre Situation nicht heraus, sondern betonen, dass auch für andere Paare ein Scheitern an diesen Ansprüchen und Überzeugungen mit Trauer und Schmerz verbunden ist.
“Er: die überZEUgungen, (.) ich meine, WENN man merkt, es is nich geLUNGen, dann is man mit sich SELber erstmal (.) ja (1) TRAUrig, weil ein bestimmter weg ni geHALten hat oder en versprechen ni erFÜLLen konnte, das hängt ja och mit dem (.) ja (.) eignen ANspruch zusammen, aber das hat am ende nun och JEder.” (Reichel 1111-1115)
“Er: und äh (-) bei den andren brechen doch och WELten zusammen. //ja//also da muss=de was weeß ICH die WOHnung offlösen TRENNen und da sind KINder dabei; das is bei uns geNAUso (-) wäre es.” (Gruber 545-548)
Es wird von mehreren PfarrerInnen auch hinsichtlich der Ehe- und Scheidungsproblematik betont, dass sie als PfarrerInnen den Anspruch haben, ihr Leben in Einklang zu bringen mit dem, was sie predigen. Dabei wird aber auch darauf hingewiesen, dass jeder Mensch an seinen Ansprüchen scheitern kann und dies auch PfarrerInnen zugestanden werden muss.
“Sie: ich weiß nich, ich glaube nich, dass es jemanden gibt, der sich für den beruf pfarrer oder pfarrerin entscheidet (-) äh (-) und nich dabei im HINterkopf hat, ich möchte mit meinem lebenswandel durchaus auch LEben, was ich PREdige, aber ich kann doch auf der ANdern seite durchaus auch SCHEItern.” (Schmidt 1012-1017)
7.3.3
Lebensführung und Lebensstil
Jenseits der Lebensform existieren in der Kirche auch Erwartungen, welche sich auf die Lebensführung und den Lebensstil beziehen. Im Dienstrecht sowie in der praktischen Theologie wird der Begriff der Lebensführung verwendet, auf welchen bereits in Kap.
3.3.4 näher eingegangen wurde.
Dagegen wird mit dem Begriff des Lebensstils nach Hradil (2005) “der regelmäßig wiederkehrende Gesamtzusammenhang der Verhaltensweisen, Interaktionen, Meinungen, Wissensbestände und bewertenden Einstellungen eines Menschen” (Hradil 2005: 46) beschrieben. Nach Bourdieu (1982) sind Lebensstile von der spezifischen Soziallage der Individuen abhängig und manifestieren sich in bestimmten kulturellen Praktiken, wie z.B. der Wohnungseinrichtung, der Lektüre oder Essensgewohnheiten (vgl. Fuchs-Heinritz et al. 2007).
Als Ausdrucksformen der alltäglichen Daseinsgestaltung sind sie Formen der Selbstpräsentation von Individuen und dienen der Demonstration der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht bzw. fungieren im Gegenzug als Mittel sozialer Ab- und Ausgrenzung (vgl. ebd.).
Erfahrungen mit der Landeskirche
Die Interpretation des Dienstgesetzes, insbesondere des § 51 PfG, nach welchem PfarrerInnen auch in ihrer Lebensführung in Ehe und Familie ihrem Auftrag verpflichtet sind, ist für viele Paare nicht einfach.
Außer der Einhaltung von Gesetzen, dem Grundsatz der Menschlichkeit und dem christlichen Gebot der Nächstenliebe fällt es den Paaren schwer zu benennen, was genau damit inhaltlich verbunden wird (Bauer 372-380; Reichel 486-500; Gruber; 369-370).
Zum Anspruch dieses Paragraphen gibt es sehr unterschiedliche Haltungen. Während Martin Schmidt damit “die moralisch-ideologische Keule” verbindet (Schmidt 744) und auch andere den Paragraphen mit dem Argument des Eingriffs in ihr Privatleben kritisch beurteilen (Reichel 502-504), finden Steffen und Martina Hein sowie Thomas und Evelyn Kahle den Anspruch berechtigt.
“Er: ich glaube, in DEM beruf (-) ja (1) WENN man den erGREIFT, muss man sich schon dem och STELLen, dass da en ANspruch dahintersteht, das kann=mer beWERten wie och IMMer, aber (.) alles GEHT numal ni, also (-) ich finds schon irgendwo beRECHtigt.” (Hein 296-300)
Mehrere Paare betonen jedoch, dass diese Vorbildfunktion von PfarrerInnen und ihren Familien unabhängig von der Formulierung im Gesetz existiert und man sich mit ihr zwangsläufig auseinandersetzen muss.
Erfahrungen mit der Gemeinde
Die Erwartungen, welche in den Gemeinden im Bezug auf PfarrerInnen existieren, sind zwar auch an einer vorbildlichen Lebensführung (im Sinne eines aktiv gestalteten Lebens nach bestimmten, in diesem Fall christlich-ethischen, Prinzipien) orientiert, transportieren oft jedoch auch Elemente bestimmter Lebensstile. Zu vermuten ist, dass sie zunächst ähnlichen Einflussfaktoren unterliegen wie die Erwartungen an Ehe und Lebensform von PfarrerInnen (Kap. 7.3.2) und zwischen beiden ein gewisser Zusammenhang besteht. Deutlich wird das an einer Äußerung von Thomas Kahle über die Erwartungshaltung in seiner ersten Gemeinde.
“Er: also ich war in=ner KLEINstadt dreieinhalb jahre lang pfarrer unverHEIratet und habe sehr DEUTlich gemerkt, wie ganz bestimmte BILder und erWARtungen auch sehr SCHNELL sich getraut wurden an mich zu ÄUßern, dass ich doch verHEIratet zu sein habe und KINder zu haben habe und äh und und dass ich einer ganz bestimmten LEbensvorstellung DER leute dort doch geNÜgen möge //hmm//ich hatte kein AUto, ich hab keinen KÜHLschrank gehabt, oder ich hab den immer im sommer ausgestellt- nee, im WINter ausgestellt und hab das auf mein FENsterbrett alles gemacht, das hat mir geREICHT. und da ham die geGUCKT, das erwar- das entsprach nicht ihren erWARtungen (-) so. und (1) äh (.) die HAM das aber auch deutlicher formuLIERT (-) beziehungsweise es RAGte immer so in die gespräche hiNEIN, was dann so UNterschwellig war” (Kahle 357-370)
Die in der Gesellschaft existierende große Variationsbreite und Vielfalt von Lebensstilen lässt sich auch in vielen Gemeinden wiederfinden. Geht man davon aus, dass die Erwartungen an den Lebensstil des oder der PfarrerIn in gewisser Weise mit dem eigenen Lebensstil korrespondieren, existieren in einer Gemeinde sehr unterschiedliche Erwartungen, wie der Pfarrer bzw. die Pfarrerin und ihre Familie zu leben haben.
“Sie: und dann bin ich wieder an dem punkt eGAL wie ichs mache ich hätts in JEdem fall FALSCH gemacht, also es hätte immer en beSTIMMten teil in der gemeinde gegeben, deren erwartungen ich eben NICH (.) also die etwas FORTschrittlicheren, die eben NICH solche erwartungen, die hätten gesagt also die hängt sich da überall REIN oder” (Schmidt 220-224)
Die Paare berichten von Erwartungen, die sich sowohl auf die geschlechtsrollenspezifische Aufgabenverteilung, auf die Amtswürde der PfarrerInnen als auch auf das alltägliche Verhalten beziehen.
Mit den traditionell geprägten Erwartungen bezüglich der Übernahme geschlechtsspezifischer Rollenmuster haben vor allem die Pfarrer und ihre Ehefrauen zu tun. Dagegen haben Pfarrerinnen und ihre Männer aufgrund ihrer anderen Rollenverteilung einen größeren Handlungsspielraum für sich selbst.
“Sie: die andre denk ich GRÖßere irritation is, dass er zu HAUse is. also da da- damit sind sozusagen ALLe rollenklischees erstmal VOLLkommen verwirrt (2) und ich denke das gibt uns en bissel FREIheit.” (Hein 195-198)
Ehepaar Schmidt erfuhr die Erwartungen der Gemeinde anhand von Geschichten über ihre Amtsvorgänger, in denen es selten um die Qualitäten als Pfarrer sondern hauptsächlich um Fragen des Lebensstils ging.
“Sie: und VIEle leute, die wir hier KENNengerlernt haben, ham sich erstmal dazu geÄUßert, was mich schwer erSCHÜTTert hat, weil sie wirklich keinen guten FAden an ihm gelassen haben (1) und es ging GANZ selten um seine qualitäten als PFARRer sondern NUR (-) um ÄUßere dinge, also ich hab zum beispiel gehört <<empört> das KONNte ja nischt wern, der musste die WÄsche offhäng, wir ham gesehn, die frau hat den HAUShalt ni gemacht, der musste die WÄsche offhäng> oder <da habsch ma bei dem geklingelt und da hatsch die TOCHter in der tür stehn, da ruft die ihrn vater joACHim. das KANN ja nischt wern> und <dann stelln se sisch ma vor, die hattn ni ma en KINderwagen, die ham- der SELber der hat sein kind im SAcke durchs DORF getragen> ((alle lachen))” (Schmidt 611-623)
Hinsichtlich dem der Amtswürde entsprechenden Auftreten der PfarrerInnen sind unterschiedliche Erfahrungen mit der Gemeinde gemacht worden, in denen es hauptsächlich um die Kleidung der PfarrerInnen ging.
“Er: da gibts noch ANdre sachen dass zum beispiel GRUNDsätzlich hier erwartet wird, dass ICH unterm talar en ANzug hab (1) das hat man mir zum glück GANZ am anfang gesagt und da hab ich gedacht, an DER stelle gehste kein risiko ein, denn von meinem VORgänger hat man mir erzählt <<empört> der kam im roten pullover unterm talar musste dir ma vorstelln> ((wir anderen lachen)) und damit war der völlig DURCH (2) und da hab ich immer en anzug ANgezogen” (Schmidt 825-832)
Evelyn Kahle hat dagegen in ihrer ersten Pfarrstelle in der Stadt die Erfahrung gemacht, dass ihr Kleidungsstil für die Gemeinde keine Rolle spielte.
“Sie: ich konnte da also geringelte STRUMPFhosen tragen oder ROte strumpfhosen und MInirock, das war eGAL. die ham mich so akzepTIERT und ich WUSSte natürlich, wo ich mich wie KLEIden muss, beERdigungsgespräche sind natürlich anders, aber das war oKAY und ich hab mich von ANfang an nich versucht zu verstellen.” (Kahle 293-298)
Evelyn Bauer wiederum hat ihren Kleidungsstil von selbst verändert, seit sie Pfarrerin ist.
“Sie: EIN punkt is denk ich für MICH zumindest, wo ich SCHON spüre, das würd=ich ANders machen, wenn ich jetzt nich PFARRerin wäre, ich achte mehr auf meine KLEIdung. //aha//also (2) ja (-) ich lauf nich in den letzten LUMpen rum sozusagen, also auch nich in meiner FREIzeit. es kann halt auch JEderzeit sein, dass hier beSUCH kommt, irgendwer vor der TÜR steht und mit mir SPREchen will, ähm, dann muss ich irgendwie HALBwegs anständig, also jetzt nich in BLUse oder koSTÜM, aber ähm (-) JA, och nich im LETzten abgewrackten T-shirt oder so, also DA merk ich, dass ich da noch, also in mir SELber, ich weiß gar nich, ob das ne heRANgetragene oder ne EIgene erwartungshaltung is, ich denke, das verMISCHT sich auch” (Bauer 311-322)
Auch hinsichtlich des Verhaltens von PfarrerInnen und ihrer Familie gibt es Erwartungen in den Gemeinden, so zum Beispiel den Fahrstil oder die Ordnung betreffend.
“Er: aber um noch mal auf diese (-) diesen LEbenswandel zu kommen, da fällt mir EIN beispiel ein AUtofahrn //hmm//da wird bei uns doch SEHR genau geguckt und WEhe, ich bin- oder WEhe es hat jemand den EINdruck, ich bin oder sei zu SCHNELL gefahrn (1) das wird mir also SOfort zurückgemeldet, währenddessen (-) beim diaKON, der IMMer wie ne gesenkte sau fährt, da wird das SCHMUNzelnd zur KENNTnis genommen.” (Schmidt 813-819)
“Sie: die EENzige sache, die eigentlich an uns mal heRANgetragen wurde, is die von der SCHWIEgermutter, die sagt, äh ihr müsst doch als pfarrer vorbild sein und die wohnung VIEL mehr in ordnung halten, das geHÖRT sich doch für die pfarrer so.” (Kahle 346-349)
Einige Paare berichten auch, dass es der Gemeinde sehr wichtig ist, dass sie als Paar gemeinsam präsent sind.
“Sie: aber das sind SCHON solche sachen, dass=mer zum beispiel vor zwei jahren getrennt in den URlaub gefahren sind, sowas wird WAHRgenommen und da wird auch geGUCKT, is das jetzt es schlechtes ZEIchen und wie IS das (1) hmm (-) und WArum KOMMT die nich mit zur kirchenvorstandsrüstzeit, wer WEIß
Er: hmm, also sowas muss man dann immer beGRÜNden, ja. weil natürlich auch dieses TRAditionelle BILD noch da is, (2) faMIlie, also en PAAR gehört auf JEden fall zuSAMMen.” (Schmidt 862-869)
Ein zentrales Thema für einige Pfarrerehepaare sind auch die Erwartungen, mit denen ihre Kinder in der Gemeinde konfrontiert wurden und werden. Obwohl die Thematik der Pfarrerskinder hier nicht weiter vertieft werden soll, erscheint es zumindest erwähnenswert, dass Pfarrerehepaare sich als Eltern zum Teil intensiv und kritisch mit den Rollenerwartungen an ihre Kinder beschäftigen (Gruber 186-195; Hein 355-360; Schmidt 262-300; Kahle 543-589).
Persönliche Vorstellungen
In den vorhergehenden Kapiteln ist deutlich geworden, dass die an die Vorbildfunktion von PfarrerInnen geknüpften Erwartungen unabhängig von gesetzlichen Vorgaben oder persönlichen Überzeugungen existieren. Jedoch können vor allem persönliche Einstellungen und Überzeugungen einen entscheidenden Einfluss auf ihre Ausgestaltung und ihr Erleben haben.
“Er: ich denke, ob das en geSETZ gibt oder NICH, ob man das WILL oder ni, man HAT se (-) ZWANGSläufig und das finde ich, SPÜren wir. das würd ich och verSTÄRken wollen, was du sagst. ob man das wahrhaben will oder ni, die leute GUCken, die gucken ganz ANders, wenn man dann- (-) ja. (1) hat ja och CHANcen, man kanns ja ganz ANders pflegen als herkömmlich erWARtet, ner.” (Hein 321-326)
Es gibt PfarrerInnen, die im Interview betonen, dass sie einen ethisch-moralischen Anspruch an sich und ihr Leben haben, ohne den sie nicht PfarrerInnen sein könnten (Kahle 444-452; Hein 293-300). Andere wiederum äußern, sich in einer herausgehobenen Vorbildrolle nicht wohl zu fühlen und das Miteinander und das Mitleben mit den Menschen als wichtiger zu empfinden (Reichel 593-601).
“Er: ich will den nichts BEIbringen. ich will sozusagen das mit denen LEben, wie DIE leben und da is kirche oder glaube nich immer an erster STELLe, ich kann mich da FREUen, wenn die da mal an den gottesdienst DENKen oder wenn die sagen das hat mir geHOLFen dass es da äh das geBET gibt, aber ich kann ni sagen (.) also ihr müsst da euren maßstab noch HÖher setzen oder ihr müsst TÄGlich bibel lesen oder ihr müsst so NETT sein wie ICH zu meiner frau, also das- in DIEser rolle fühl ich mich überHAUPT ni. zumal ich och ni immer nett BIN zu meiner frau. ((beide lachen))” (Gruber 432-441)
Während einige für eine bewusste Auseinandersetzung mit dieser Vorbildrolle plädieren, wollen andere diese Rolle nicht zu sehr im Vordergrund stehen haben.
“Sie: (2) mhm (4) also ich glaube das funktioniert NICH, wenn=mer immer durch den alltag läuft und denkt du BIST jetzt ein VORbild. die leute GUCken, das kann schon SEIN, eGAL was man macht oder ni.” (Gruber 425-428)
Martina und Steffen Hein verstehen – in bewusster Auseinandersetzung mit ihrer Vorbildrolle – auch ihre Lebensform (sie Pfarrerin, er Hausmann) als ein mögliches Vorbild.
“Sie: ich glaube, das (.) was wir so vom INNeren selbstverständnis mitbringen, es IS uns schon beWUSST, aber wir haben och en gewissen anspruch, dieses vorbildliche leben selber zu PRÄgen. also ich denk, dass WIRD ja och en bissel deutlich DAran, dass wir eben gesagt haben, wir leben das- (.) die teilung SO, wie wirs jetzt MAchen, ne oder (.) wenn ich- also ich- oder mal ANdersrum angefangen, wenn ich äh- in der JUgendarbeit merk ich das DEUTlich, dass die jugendlichen sich orienTIEren, die suchen geSPRÄCHSpartner, also die WOLLen gerne WISSen, warum wir so leben wie wir LEben (1) und das (-) äh (.) beGRÜNden wir dann och RElativ EHRlich, weils eben och ne CHANce ja is in dieser NEUen welt oder in dieser sich irre verÄNdernden welt (.) lebensformen zu finden, mit denen man LEben kann. also es geht ja um die frage, wie können wir als paar möglichst lange miteinander LEben, vielleicht auch
ZEIT(.)lebens, ne (.) und äh (.) das is eigentlich unsere überZEUgung, dass dass mer da eben och (2) jedes paar für SICH formen finden muss, die eben nich mehr so gePRÄGT sind wie se FRÜher waren und das GLAUbe ich, dass wir das och en stück AUSstrahlen, dass wir uns das RAUSnehmen.” (Hein 301-319)
Sie sehen sich durch ihre Vorbildfunktion auch in der Verantwortung, den Menschen Mut zu machen, nach individuellen Lebensformen – auch im Hinblick auf Arbeit, Freizeit und Ehrenamt (Hein 338-352) – zu suchen.
Die mit der Vorbildfunktion verbundenen Belastungen für PfarrerInnen und ihre Familien werden durchaus gesehen, aber ebenso die Chancen.
“Sie: DAS sind solche dinge, die=mer denk ich dann- wo dieses VORbildhafte LEben der pfarrer och die MÖGlichkeit ja eben gibt, menschen was MITzugeben, ne, also wo=s eben NICH nur ne LAST is. ” (Hein 352-355)
Augenscheinlich ist (wie auch schon in im Umgang mit den jeweiligen Rollen in Kap. 7.2 festgestellt wurde), dass es den Paaren, deren Lebensformen von dem traditionellen Pfarrfamilienmuster abweichen, im Allgemeinen leichter fällt, sich selbstbewusst mit Rollen und Erwartungen auseinanderzusetzen. Neben geringeren Rollenerwartungen scheint auch das Selbstbewusstsein, sich als Paar eine auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnittene Lebensform gemeinsam erarbeitet zu haben und daraus resultierende beidseitige Zufriedenheit mit dieser Lebensform eine Rolle zu spielen (Hein 327-331; Bauer 547-563).
“Sie: Und auch, dass unsere ROLLenverhältnisse eben anders sind, so wie in der geSELLschaft eben: dass ICH ne hundert prozent stelle habe und der MANN eben ELternzeit nimmt und NICH nur zwei MOnate und dass du auch GERne in der küche stehst.
I: is das vielleicht AUCH eine vorbildfunktion?
Sie: ja, vielleicht SCHON, ein bisschen.
Er: aber bei uns entspringt das eher einem pragmaTISmus, also das is einfach der WEG, wo WIR als faMIlie am besten FAHRn. das kommt einfach aus den anforderungen des ALLtags vor allem raus.” (Bauer 441-450)
Aus dieser Situation heraus kann sich Eva Bauer sehr selbstbewusst von traditionellen Vorbilderwartungen abgrenzen, die auf die nach außen getragene Harmonie einer Pfarrerehe abzielen.
“Sie: und für MICH heißt das zum beispiel auch, ich hab auch VORbild- WIR ham auch vorbildfunktion, wenn wir uns mal STREIten würden zum beispiel //hmm//auseinANdersetzungen, wie die ausgetragen werden, hat AUCH vorbildfunktion, also für MICH is das, ja, nich untern TEPPich zu kehren. also vorbild heißt NICH, dass es da keine konFLIKte gibt //ja//das is denk=ich nich so GÄNGig, diese sichtweise, aber (1) fänd ich sehr wichtig, wenn das bild och DAhingehend transforMIERT würde.” (Bauer 380-388)
Sie geht sogar noch weiter und kann selbst in einer Trennung eines Paares eine Vorbildfunktion sehen.
“Sie: und für MICH hat die art und weise der trennung AUCH vorbildfunktion //hmm//und eben NICH zu sagen, das darfs nich GEben und ich find das auch KRItisch, wie dann von kirchlicher seite, von LANdeskirchlicher seite dann damit UMgegangen wird (1) also ICH würd das (-) ganz ANders wichten.” (Bauer 391-395)
Auch Johannes Wenzel stört sich nicht grundsätzlich an der Vorbildfunktion, sondern versucht sich im Gegenteil kritisch und konstruktiv mit ihr auseinanderzusetzen, indem er nach der inhaltlichen Dimension fragt.
“Er: wobei ICH mich da immer frage WELches vorbild (.) will man eigentlich sein, ner?” (Wenzel 96-98)
Die Mehrheit der Paare ist sich einig, dass es vor allem darauf ankommt, authentisch und glaubwürdig zu sein, ohne sich als Person zu verbiegen (Reichel 286-296; Bauer 304-310; Kahle 399-429).
Auf der anderen Seite können sich mehrere Paare vorstellen, dass die Vorbildfunktion, auch wenn sie momentan nicht als problematisch erlebt wird, in Momenten mit Zweifeln, Krisen und Konflikten schon zu einem erheblichen Problem werden kann.
“Sie: ja, also ich glaube DAS is das, was uns och en bisschen FREIheit gibt damit umzugehen, dass wir uns NICH sozusagen dieser TRAditionellen vorbilderwartung verpflichtet fühlen, sondern Eher, dass wir uns verpflichtet fühlen, das (.) WAS wir leben (.) für die andern SO deutlich zu machen, dass es für sie GLAUBwürdig is. also ich- und ich denke, DAdurch können wir damit LEben. also ich hab damit GAR keene schwierigkeiten; also im moMENT zumindest nich; ich mein es kann ja irgendwann mal ne SCHWIErige situation auftreten, wo man dann eben och NICH mehr so beREIT und in der LAge is, das äh (-) in der gemeinde och zu verTREten, ner. das DAS denk ich, is dann SCHWIErig.” (Hein 332-337)
Einige Paare sehen einen direkten Zusammenhang zwischen der mit dem Pfarrberuf verbundenen Belastung und der häufiger werdenden Trennung von Pfarrerehepaaren (Hein 189-194).
“Sie: also UMgang mit konFLIKten, auch umgang mit TRENNungen unter umständen, also mit- also es gibt ja LEIder nich von UNgefähr viele pfarrpaare, die sich TRENNen, weil sie die belastung nich aushalten. [...] denn SO, wenn alles GUT läuft und wir uns gut verSTEHN, was will man da groß ( ) da is das mit der vorbildfunktion nich so SCHWIErig.” (Bauer 388-398)
7.4
Alltagskonstruktionen von Pfarrerehepaaren
7.4.1
Arbeitszeit der PfarrerInnen
Die Beschreibung der Arbeitszeit im Pfarramt ist im Grundsatz bei allen Pfarrerehepaaren identisch. Auf der einen Seite wird die große Flexibilität und Vielfältigkeit der Arbeit hervorgehoben, auf der anderen Seite aber auch ein gleichbleibendes Muster des Arbeitstages berichtet.
“Er: also der alltag ist (.) es gibt keinen typischen TAG; es gibt sich wiederholende MUster” (Kahle 91-92)
“Er: also es is jetzt keen (.) keen STUNdenplan oder so was, jede woche is ANders, jeder TAG is im grunde och ANders. im norMALfall will ich jetzt mal so sagen fang ICH zwischen halb und um acht hier AN (.) hier (.) ich brauch ja bloß RUNtergehn (-) u:nd ja (.) dann je nach dem was eben ANliegt und in der regel bin ich nie vor acht oder neun fertig.” (Wenzel 26-31)
Meist wird vormittags die Verwaltungs- und Vorbereitungsarbeit am Schreibtisch erledigt, da in den Nachmittags- und Abendstunden Unterricht, Gruppen, Kreise, Sitzungen und andere Veranstaltungen zu leiten sind. Einige PfarrerInnen sitzen jedoch auch an freien Abenden noch am Schreibtisch (Bauer 155f, Reichel 245ff).
Mehrere Ehepaare verglichen die Arbeitszeit eines Pfarrers oder einer Pfarrerin mit der von Freiberuflern. Als Nachteil wird dabei vor allem die hohe zeitliche Belastung empfunden. Von einzelnen Paaren wurde weiterhin als Nachteil benannt, dass es keinen geregelten Feierabend gibt (Reichel 708ff, Gruber 27ff).
Als Vorteile wurde dagegen genannt, dass sich durch die flexiblen Arbeitszeiten auch Freiräume ergeben.
“Er: aber andrerseits hat das natürlich och CHANcen der beruf, also du hast freiräume, die de wenn=de in nem norMAlen job stehst, hast=de die NI. einfach mal SO.
Sie: mal jetzt hier so DAsitzen zu können
Er: SOLche dinge. oder mal schnell RÜberzukommen; dinge zu arrangieren, die fürs faMIlienleben gut sind” (Hein 15-20)
Diese Freiräume ergeben sich hauptsächlich aus der Nähe von Arbeitsplatz und Wohnung sowie aus der selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Stellung des Pfarrers.
“Er: ich kann mir meinen tagesablauf och relativ gut SELber einteilen, das macht mir FREUde, also so och dieses geSTALtenkönnen und sich überLEgen können, was könntste denn als NÄCHstes machen” (Wenzel 240-243)
7.4.2
Alltag von Pfarrerehepaaren
Vier Ehepartner waren zum Zeitpunkt der Befragung berufstätig, eine Ehepartnerin studierte, ein Ehepartner war einen Monat zuvor arbeitslos geworden (er berichtete aber ausschließlich aus der Zeit seiner Berufstätigkeit) und ein Ehepartner war Hausmann mit diversen ehrenamtlichen Tätigkeiten. Ein Paar hat noch keine eigenen Kinder, zwei Ehepaare haben Kinder im Jugendalter und bei vier Ehepaaren befinden sich kleinere Kinder zwischen zwei und zehn Jahren im Haushalt.
Die Ehepaare mit kleineren Kindern im Kindergarten- und Schulalter beschreiben ihren Alltag als durch Pfarrberuf und Kinder strukturiert.
Das gemeinsame Aufstehen und Frühstücken mit den Kindern und dem Partner wird dabei von mehreren Ehepaaren als etwas Besonderes erlebt und ganz bewusst zelebriert. Für drei Ehepaare (Kahle, Wenzel, Hein) ist auch das gemeinsame Mittagessen ein Fixpunkt, den sie als etwas Wichtiges und Besonderes erleben, als etwas, das nur aufgrund ihrer beruflichen Konstellation (Pfarrerin/Pfarrer; Pfarrer/Freiberuflerin; Pfarrerin/Hausmann) möglich ist.
“Er: also DAS versuch=mer EINzuhalten (.) also das=mer WEnigstens FRÜHstück und MITTag zusammen (-) machen, also FRÜHstück eigentlich IMMer, MITTag MEIstens und Abends (.) is (-) eher (.) UNterschiedlich. aber das sind so unsre FIXpunkte (-) wo wir och offeinander WARten //ja//sonst sieht man sich glob=ich ganz schnell GAR nich mehr.” (Wenzel 60-65)
Andererseits wird auch betont, dass die gemeinsamen Mahlzeiten deshalb so wichtig sind, weil die Nachmittags- und Abendstunden, welche anderen Paaren und Familien zur gemeinsamen Verfügung stehen, für Pfarrer meistens Arbeitszeiten sind. In diesen Zeiten übernimmt in den Familien mit Kindern meist der Ehepartner oder die Ehepartnerin die Betreuung der Kinder.
“Sie: ich hab bloß ne halbe stelle gemacht, als die kinder noch klein waren, also das geht schon. dass ich immer och Abends dann noch HIER en bisschen zeit hatte für die kinder. grade Abends geht ja hier alles los, erst recht, ne” (Reichel 203-206)
Nur Eva Bauer hat sich aufgrund der Berufstätigkeit ihres Ehepartners in den Nachmittagsstunden für die Kinderbetreuung freigenommen und alle Kreise in die Abendstunden verschoben (Bauer 160-163). Auch Martina Hein bemüht sich, die Nachmittage für die Familie und die Kinder freizuhalten.
“Sie: ansonsten versuche ich vorwiegend (-) verwaltung FRÜH, weil nachmittags sind dann meistens irgendwelche verANstaltungen, abends sowieSO, ich hab sehr viele Abendveranstaltungen (.) äh und dass ich dann nachmittag SCHON versuche, hier zu sein, wenns GEHT, aber manchmal sind da eben OCH gespräche oder so” (Hein 103-107)
Abgesehen von Ehepaar Kahle, welche beide mit je einer halben Stelle als Pfarrer und Pfarrerin angestellt sind und die Kinder in den Nachmittagsstunden abwechselnd betreuen (Kahle 114-117), ist es auffällig, dass sich vor allem die Pfarrerinnen sehr stark um Freiräume für Familie und Kinder bemühen. Damit einher geht bei Martina Hein eine disziplinierte und strukturierte Arbeitsweise, was Steffen Hein als einen Grund für ihr harmonisches Familienleben betrachtet.
“Er: na gut, ich meine- (-) der GROße vorteil is, dass martina sehr diszipliNIERT is und och sehr STRUKturiert arbeiten kann und sehr SCHNELL arbeiten kann.” (Hein 73-76)
Umgekehrt erlebte Simone Reichel die Zeit mit kleinen Kindern als sehr schwierig, da ihr Mann nur wenig Zeit für die Familie hatte.
“Sie: und da warn die kinder klein; und alles so- und- äh <<zu mir> sie wissen ja SELbst, wie es is, wie man dann erschöpft ist> (.) und die neue PFARRstelle, überhaupt der neue beruf für ihn. (1) er (.) hat sich ja toTAL ins zeug gelegt und wollte och richtig gut sein, hat sich also von der BESten seite gezeigt und hat och GANZ massiv och die leute besucht, VIEL besucht. (1) und das war für mich schon manchmal ne sehr BITTere zeit gewesen und da hab ich schon sehr oft gegrübelt.” (Reichel 90-97)
7.4.3
Integriertes Berufs- und Privatleben
Die wechselseitige Integration von Berufs- und Privatleben bei PfarrerInnen hat sowohl eine räumliche als auch eine zeitliche Dimension. Die räumliche Dimension wird verdeutlicht durch das Pfarrhaus als Wohn- und Arbeitsort der PfarrerInnen und ihrer Familien. Das Amts- und Arbeitszimmer der PfarrerInnen befindet sich im Pfarrhaus.
Die räumliche Nähe und die kurzen Arbeitswege erleichtern den PfarrerInnen das flexible Vereinbaren von Familie und Beruf.
“Sie: also für MICH sinds zum einen die kurzen WEge. wenn ich irgendwas koPIEren will oder SUche, geh ich ne treppe RUNter.” (Bauer 415-416)
“Er: es kann sein, dass das EIne kind grade noch beim ZÄHneputzen beaufsichtigt wird und schon der betriebsleiter des friedhofs anruft und einen unterschriftstermin haben möchte, und ähm also es gibt die ebene des DIENstes, wir ham=ja kein ARbeitsweg //ja//von daher ragt das immer, dieses seil IMMer auch da hiNEIN.” (Kahle 76-80)
So wird als ein positiver Aspekt hervorgehoben, dass den voll berufstätigen PfarrerInnen die Teilhabe am Familienleben und an der Entwicklung und Erziehung der Kinder trotzdem möglich ist.
“Sie: und was ich schon auch durchaus ANgenehm fand [...] in dieser zeit, wo ich AUCH zu HAUse war, wir kleine KINder hatten, hatten wir nich dieses leben, was viele ANdere familien haben, einer geht ARbeiten, geht früh um sieben ausm haus, kommt irgendwann nach hause, sondern (–) also wir konnten GEgenseitig am leben des anderen ANteilnehmen //hmm//
Er: also die KINder warn (1) also ich hab die kinder praktisch immer miterLEBT, DAS war schon ganz TOLLe sache (1) so schwer es manchmal für die kinder war, wann is DIENST, wann is priVAT, aber dass ich praktisch IMMer mit DA war //ja//UND das auch immer en ANsprechpartner mit da war. die kinder kamen NIE nach hause und es war NIEmand da.” (Schmidt 1180-1190)
Jedoch wird als negativer Aspekt die Schwierigkeit benannt, dass die EhepartnerInnen und die Kinder nie genau wissen, wann der/die PartnerIn, Vater oder Mutter arbeitet und wann er/sie verfügbar ist.
“Er: na, DEIN problem ist doch- oder (.) nich proBLEM, aber du sagst häufig du bist DA und bist TROTZdem nich da.” (Gruber 38-39)
“Sie: also (-) der SCHIEßT immer so hier durch die GEgend, ner //hmm//und häufig is er eigentlich nur ne körperliche HÜlle und für die kinder nich ANsprechbar //ja//und dieses RAUSzukriegen (.) wann ISSer denn eigentli- es gibt ja auch keine festen REgeln (-) ich kann ja nich sagen DANN is die arbeitszeit vorBEI, DANN isser für euch DA.” (Schmidt 305-309)
Somit wird als Kehrseite der Flexibilität und Freiheit, Beruf und Familie vereinbaren zu können, die Unverlässlichkeit und Unplanbarkeit gemeinsamer Paar- und Familienzeit geäußert (Hein 9-11; Gruber 42-44).
Eine weitere Schwierigkeit für die Ehepaare stellt sich im Krankheitsfall eines Kindes ein, wenn das exakt aufeinander abgestimmte System beruflicher und familialer Zeitplanung ins Wanken gerät. Wo in anderen Familien Großeltern oder andere Verwandte einspringen, ist dies bei PfarrerInnen in den meisten Fällen nicht möglich, da aufgrund der Dienstwohnungspflicht und dem von der Landeskirche empfohlenen regelmäßigen Pfarrstellenwechsel Großeltern nur selten in der Nähe wohnen.
“Sie: wenn unser sohn nich KRANK is, hat das alles och so funktioNIERT, das problem war halt, wenn er KRANK geworden is, weil wir hier halt keene GROßeltern haben, SCHÜler, also wir ham ab und an ne babysitterin für Abends, aber die sind halt VORmittags in der SCHUle, also wir ham hier noch NIEmanden richtig aufgetan, der dann mal fleXIbel EINspringen kann und mal en HALben tag, wenn er krank is, ihn NEHmen kann, damit ICH och noch an den SCHREIBtisch kann oder irgendwas MAchen kann. DA wirds dann SEHR gedrängt und dann muss ich GANZ viel abends arbeiten und JA, VIEles sind dann och nur HALBfertige sachen, mit denen ich dann irgendwoHIN gehe. dazu STEH ich dann aber och, also ANders geht es eben nich.” (Bauer 163-175)
Das Problem für PfarrerInnen (vor allem auf dem Land) besteht darin, dass – ähnlich wie bei Freiberuflern – gewisse Dienste trotzdem erledigt werden müssen und im Fall kranker Kinder nur schwer eine Vertretung zu finden ist.
“Sie: ich KÖNNT AUCH freinehmen, aber es NÜTZT mir nischt, weil ich ich muss dann am sonntag TROTZdem den gottesdienst halten oder am montag die SCHULstunden, also” (Bauer 178-180)
Aus diesem Grund hat sich das Ehepaar Hein bewusst entschlossen, dass nur einer von beiden – in diesem Fall die Frau – das Pfarramt übernimmt.
“Sie: das war eins unserer ANliegen auch, warum er zu hause is, dass er dann fleXIbel is, sich- (.) oder flexibLER (.) sag=mers mal so; sich auf MEIne freien möglichkeiten einzustellen. weil wenn BEIde berufstätig sind denk ich isses im pfarrberuf ZIEMlich dolle schwer, gemeinsame zeiten zu finden.” (Hein 25-29)
7.4.4
Dienst und Freizeit
Wochenende
Die Problematik, dass die Abendstunden, welche für die Mehrheit der Bevölkerung zur Freizeit zählen, bei PfarrerInnen reguläre Dienstzeit sind, wurde bereits im letzten Abschnitt angesprochen. Sie lässt sich ebenfalls auf das Wochenende beziehen. Eine der Kernaufgabe von PfarrerInnen, die Verkündigung von Gottes Wort, findet im sonntäglichen Gottesdienst statt. Im ländlichen Bereich hat ein/e PfarrerIn oftmals in mehreren Dörfern einen Gottesdienst zu halten. Für viele PfarrerInnen stellt jedoch nicht unbedingt die Anzahl der Gottesdienste ein Problem dar (“aber so viel mehr Aufwand is das nich, einen zweiten Gottesdienst zu machen” Reichel 796f.), sondern die Regelmäßigkeit des sonntäglichen Dienstes. Gerade im ländlichen Raum beklagen die PfarrerInnen, dass sie nur ganz selten ein freies Wochenende haben, an dem sie mal keinen Gottesdienst zu halten haben. Gerade im Hinblick auf ihre Paarbeziehung, ihre Familie und ihre Freunde empfinden sie das als großen Nachteil des Pfarrberufes. Einige DorfpfarrerInnen fühlen sich diesbezüglich auch gegenüber den PfarrerInnen in Städten benachteiligt, die aufgrund der größeren Zahl an Vertretungsmöglichkeiten (andere KollegInnen, PfarrerInnen im Ruhestand) häufiger ein Wochenende frei haben.
“Sie: naTÜRlich gibts viele stadtpfarrer, die HÄUfig jetzt inzwischen freie WOchenenden haben, wo diese brisanz NICH da is. aber ich hab theoretisch- ich HAB keen freies wochenende.” (Hein 746-749)
Das Ehepaar Kahle, das sich eine Stelle teilt, hält den einen Gottesdienst pro Sonntag abwechselnd. Bei zwei Gottesdiensten pro Sonntag findet einer abends, also zu einer anderen Zeit statt.
“Sie: weil=mer gesagt haben, bei hundert prozent könn=mer nich parallel arbeiten, wenn wir KINder haben.” (Kahle 77-78)
Der Samstag ist für viele Pfarrerehepaare, vor allem für diejenigen, bei denen beide Partner berufstätig sind oder schulpflichtige Kinder haben, der einzige freie Tag für sich als Paar und die Familie. Aber auch am Samstag, so berichten die meisten Ehepaare, finden häufig Veranstaltungen statt, bei welchen die PfarrerInnen unabkömmlich sind. So hat Bernd Reichel samstags einen Gottesdienst im Altenheim zu halten (Reichel 377ff). In vielen Gemeinden findet aufgrund der Ganztagsschulsituation und der immer größeren Entfernungen im ländlichen Raum der Konfirmandenunterricht am Samstag statt (Schmidt 449ff). Ephoralsitzungen, Arbeitseinsätze, Kinderkirchentage oder Gemeindefeste sind am Samstag ebenfalls keine Seltenheit (Schmidt 452f). Hinzu kommen Trauungen, Taufen und Beerdigungen. Die meisten PfarrerInnen berichten von ihren Bemühungen, den Samstag für sich und die Familie freizuhalten und zumindest die Predigt schon fertig zu haben.
“Sie: naja, seitDEM wir KINder ham, äh versuche ich mÖGlichst sag=mer mal SAMStag schon mit der predigt schon FERtig zu sein und wenn sie NICH fertig is, setz ich mich Abends hin sozusagen. aber eigentlich versuch ich schon, SAMStag nich mit der predigt noch beSCHÄFtigt zu sein, A:ber es sind natürlich samstag och viele termine, die eben och mit pfarramt zu TUN haben, sei=s jetzt TRAUungen oder seins jetzt ARbeitseinsätze oder religiöse KINderbibeltage oder irgendwas” (Kahle 122-129)
Zwei PfarrerInnen, Martin Schmidt und Eva Bauer, haben es aus familiären Gründen abgelehnt, Beerdigungen oder Taufen samstags durchzuführen. Sie berichten beide von Schwierigkeiten, diesen Entschluss auch in der Gemeinde durchzusetzen (Bauer 8-13).
“Er: das war auch en ganz harter KAMPF am anfang, als die kinder dann in die SCHUle kamen oder ERST in die schule kamen, hab=ich gesagt, ich mach samstags keine beERdigungen mehr (.) und das is GANZ schwer verstanden worden. das war das ERste mal, wo ich gesagt hab JETZT (.) tritt en stück faMIlie in kraft //hmm//sonst gehn wir kaputt. ich bin aber froh dass ich das DURCHgezogen hab.” (Schmidt 456-461)
Der Sonntag ist für PfarrerInnen ein Arbeitstag und mit frühem Aufstehen verbunden. Drei Ehepaare berichten, dass sowohl die Ehepartner als auch die Kinder in der Regel am Gottesdienst teilnehmen. Es ist für sie eine Normalität und Selbstverständlichkeit.
“Sie: aber SONNtag müss=mer se dann wieder WECKen, weil halt GOTTesdienst is und es is KLAR eigentlich, sonntag gehn=mer zum GOTTesdienst, der jüngste war acht TAge alt, da isser das erste mal zum gottesdienst gegangen, seitdem jede WOche und es sei DENN, einer is KRANK.” (Kahle 38-42)
Aber es gibt auch Pfarrerehepaare, wo die Ehepartner bzw. die (schon älteren) Kinder nicht regelmäßig oder sogar selten den Gottesdienst besuchen. Gründe dafür sind u.a. das Gefühl der Beobachtung durch die Gemeinde, kleine Kinder, ein schwieriges Verhältnis zur Gemeinde oder ein Rollenkonflikt mit dem Ehemann als predigender Pfarrer wie bei Susanne Schmidt.
“Sie: also ich zieh mich da raus, ich geh höchst SELten hier mit in den gottesdienst in den letzten jahren, weil ich mich wirklich (1) ja (-) mir da n bisschen die ANdacht vergeht, also (-) ich fühl mich hier (.) grade in UNserm dorf nich mehr sonderlich WOHL in diesen gottesdiensten und mir fehlt auch wirklich gute KIRchenmusik, dies hier auch nich gibt und dann (-) bin ICH auch nich frei, also für mich is das ne KOmische geSCHIchte, wenn der martin da der pfarrer is und ich sein- also ich bin auch überKRItisch mit ihm, also ich höre die predigt mit einem GANZ (2) ja (2) so KOmischen beWERtungsmechanismus im kopf, das is aber en stück MEIN problem, aber ich geh NICHT GERne hier mit in den gottesdienst und TU das auch nich so oft. In den ERsten jahren (-) hab ich das geMACHT und hab auch ECHT den druck gehabt, ich MUSS da jetzt mitgehen und dann auch, dann geht das weiter, wir hatten ja schon zwei kleine KINder und (.) die dann da RUMgehampelt haben auch im gottesdienst, ich hab mich immer überWACHT gefühlt.
Er: die ham nich RUMgeham[pelt (2) die ham nur nich wie ZUgedröhnt dagesessen]
Sie: [nee, die HAM gar nich- die ham sich benommen wie] (-) GAR nich (-) JA (-) die ham sich SO verhalten wie sich- (-) ALtersgemäß, ner (-) aber ich hab mich immer beSONders beObachtet gefühlt und ich war VIEL freier, wenn ich irgendwo ANders in den gottesdienst gehen konnte” (Schmidt 380-384)
Am Sonntag Nachmittag ist für fast alle befragten Paare Zeit für sich und die Familie. Allerdings geht aus den Erzählungen der Pfarrerehepaare hervor, dass auch diese Zeit geplant werden muss, damit alle sie genießen können.
“Sie: also ich hab jetzt KEEnen mann, der (-) weil ich vorhin gesagt hab, die wochenenden wären SCHÖner -, der sonntags nach der predigt erLE:digt is. ich kenne das von einem befreundeten Pfarrer. mit dem is sonntags nichts mehr ANzufangen, weil der bis um viere PREdigt schreibt oder so. da is mein mann VIEL PLANvoller und sonntags nach dem gottesdienst ham wir och noch ideen für UNS, der is nich körperlich am ENde. ((lacht))” (Gruber 230-236)
Feiertage
Auch das Problem der Feiertage wurde von einigen Paaren angesprochen. Für PfarrerInnen sind die kirchlichen Feiertage wie Weihnachten, Ostern, Pfingsten und Himmelfahrt besonders anstrengende Arbeitstage.
“Er: am ersten weihnachtsfeiertag mal in die CHRISTmette in der KREUZkirche wieder zu gehen, was wir zwanzig JAHre lang nich gemacht haben. //hmm//weils einfach nich SCHAFFbar is. ich komm MITTernacht aus der KIRche (.) nach der vierten christvesper.” (Schmidt 367-371)
Aus diesem Grund sind die eigentlichen Feiertage für PfarrerInnen nur die staatlichen Feiertage, von einer Pfarrerin als die “heiligen Zeiten” (Bauer 17/594) der PfarrerInnen bezeichnet.
“Sie: die WICHtigsten feiertage für uns sind erster MAI und dritter okTOber, weil wir da die CHANce haben, uns mal mit unsern FREUNden zu treffen und auch (-) mit DEN familien, die selber AUCH pfarrer sind oder. deshalb sind die jahre immer ganz HART, wo der erste mai oder der dritte oktober aufn SONNtag fallen ((lacht))” (Schmidt 1135-1140)
In den wenigen freien Tagen sehen mehrere PfarrerInnen ein wirkliches Defizit im Vergleich mit anderen Berufsgruppen bzw. Ehepaaren – auch angesichts der Tatsache, dass viele PfarrerInnen schon Schwierigkeiten haben, ihren freien Tag wirklich frei zu nehmen (Kap.
7.7.2).
“Sie: also wir ham ja sozusagen einen ausgleich für den urlaub, aber WEder für die wochenenden, die uns fehlen als paar NOCH für die feiertage //ja//, da gibts- also das is einfach nich als freie tage mit beRECHnet, ner, und angesichts dieser arbeitsfülle is es ja immer SCHWIEriger, sich freiraum zu schaffen.” (Hein 713-718)
Lebensrhythmus
Generell wird festgestellt, dass der Rhythmus von Pfarrern ein anderer ist als sonst in der Bevölkerung (Schmidt 78-90). Dies hat Auswirkungen auf die Regenerationsmöglichkeiten von Pfarrern allgemein, aber auch auf die konkrete Freizeitgestaltung sowie die Erhaltung wichtiger Sozialkontakte (siehe auch Kap.
7.6).
“Er: und was ich vorhin sagte mit dem früh mal AUSschlafen können, ner, das steht ja für ne ganze MENGe, ner [...] SONNabends is ja in der REgel irgendwas wo man OCH früh rausmuss, SONNtags muss ich früh raus und (1) MONtags aber, wo man FRÜher so sagte PFARRersonntag, da muss ich früh hier die ganze MANNschaft hier empfangen und ARbeit verteilen, das is ja wie so en mittleres unterNEHmen, ner. mit den ganzen ANgestellten, ZIvis und so weiter” (Schmidt 78-86)
“Er: was für uns auf ALLe fälle anders wär, wir hätten zeit wenn ANdre zeit haben (-) u:nd jetzt isses ja eben doch verSCHOben, ne. ich arbeite SONNabends ich arbeite SONNtags, da ham alle ANDren frei und ich versuche MONtags frei zu machen, da hat aber wiederum kein ANDrer frei, da gehn die alle ARbeiten (.) oder sind am stuDIEren” (Wenzel 44-49)
7.5
Die Paarbeziehung von Pfarrerehepaaren
7.5.1
Aufgabenverteilung
Anhand der Aufgaben- und Rollenverteilung in den Paarbeziehungen wird deutlich, dass sich Pfarrerehepaare auf diesem Gebiet genau wie alle anderen Paare in einem ständigen Aushandlungsprozess befinden. Auf der einen Seite existieren die traditionellen Geschlechterrollen mit ihren spezifischen Aufgabenbereichen nach wie vor in der Gesellschaft (und erst recht in den kirchlich geprägten Bevölkerungsschichten), zum anderen setzt sich das partnerschaftliche und gleichberechtigte Rollenmodell zunehmend als Maßstab und Orientierungsmuster für Paarbeziehungen durch.
Vier Pfarrerehepaare sind auch in ihrer Alltagspraxis darum bemüht, den Haushalt und die Kindererziehung möglichst gleichberechtigt aufzuteilen. Vor allem in Bezug auf die Kindererziehung wird dieses partnerschaftliche Modell als besonders wichtig hervorgehoben.
“Sie: also zum BEIspiel isses uns ganz WICHtig gewesen, dass DU nich nur am WOchenende papa sein kannst, dass DU ZEIT für unsern SOHN hast und unser sohn auch seinen PApa kennt und dann eben NI nur der abenteuerpapa, der am wochenende mal en bissel SPAß macht, sondern der ihn eben och ins bett bringen und TRÖsten kann.” (Bauer 550-555)
Eva und Matthias Bauer verweisen auf die inzwischen geänderten Rollenbilder in der Gesellschaft, die für sie prägend sind. Sie betonen aber auch, dass die partnerschaftliche Aufgabenteilung eine pragmatische Lösung für ihre spezifische familiäre Situation darstellt.
Steffen und Martina Hein sehen beide einen klaren Zusammenhang zwischen der Arbeitsteilung und der Zufriedenheit in einer Paarbeziehung. Im Gegensatz zu anderen Pfarrerehepaaren erleben sie das von ihnen praktizierte Rollenmodell und auch ihr Paarbeziehung als ausgesprochen positiv.
“Er: und das is bei uns natürlich- A dass ich zu hause bin und B dass du so sehr strukturiert bist, dass is schon- (1) UND och of die faMIlie achtest. das is denk ich en ganz WEsentlicher punkt, wenn ich mir so die kommiliTOnen bei uns angucke, die MÄNner so (.) RAUS ((geste mit der hand nach vorn)) und die FRAUn, die ham SO=N hals ((geste hand unterm kinn)) oftmals, also wenn=se jetzt NI theologinnen sind, ham alles ANdre am hals und (-) ja.” (Hein 73-79)
Evelyn und Thomas Kahle, die sich eine Pfarrstelle teilen, haben die Aufgabenteilung noch sehr viel stärker im Blick, da sie sowohl das Dienst- als auch das Privatleben betrifft.
“also es is (1) es is der verSUCH, das DIENSTleben, die kreise, die gottesdienste und das priVATleben, den HAUShalt äh nach möglichkeit geRECHT aufzuteilen. [...] es is also immer wieder ein neues AUShandeln und miteinander VERhandeln und AUFteilen.” (Kahle 200-209)
Susanne und Martin Schmidt hatten zu Beginn der Beziehung zwar den Anspruch, die familiären Aufgaben gleichberechtigt aufzuteilen, konnten dies jedoch nicht umsetzen. Dies wird von ihnen zu einem großen Teil auf den Pfarrberuf zurückgeführt.
“Sie: martin und ICH, als wir angefangen haben, wir ham gedacht, wir machen das alles mal ganz ANders und wir teilen uns schön partnerschaftlich in die erZIEhung und BLAblabla, das warn so unsre VORstellungen und (-) dass wir das nich gePACKT haben, denk ich hat zu nem HOhen prozentsatz EINfach mit martins beRUF zu tun und mit diesen hohen erWARtungen.” (Schmidt 1330-1335)
Das Paar bedauert, dass es in der Zeit, als die Kinder klein waren, aufgrund der fehlenden Gesetzgebung und aufgrund der Gemeindesituation für den Pfarrer noch nicht möglich war, Elternzeit zu nehmen.
“Sie: und ich denk, da ham die heute einfach schon ANdere karten, also da hat sich einfach was geÄNdert, ner. also mal ABgesehen von der geSETZgebung oder so, es wär hier in der gemeinde UNDENKbar gewesen, und wenns nur en halbes JAHR gewesen wäre oder en VIERteljahr, wegen KINdererziehung ausgeschieden, das is ((lacht über “absurde Idee”))” (Schmidt 1338-1342)
Simone und Bernd Reichel haben eine eher traditionelle Rollenverteilung, die auch durch die unterschiedlichen Charaktere der beiden nochmals unterstrichen wird. Bernd Reichel ist ein sehr kontaktfreudiger Typ und fühlt sich unabhängig von seinem Beruf als Pfarrer unter Menschen sehr wohl, während Simone Reichel eher ruhig und zurückgezogen lebt. Trotzdem kommt es speziell beim Thema Familie und Kindererziehung zu Dissonanzen und Anklagen.
“Sie: weil einfach immer- (.) ich bin ja och die HAUPTverantwortliche für die kinder och gewesen. <<zum Mann gewandt> Hier der (-) NI so> is ja och TYpisch MANN
Er: küche, kirche und - WAS macht die frau? ((sie lacht))
Sie: also ich muss jetzt NI sagen, dass=
Er: =na, du hast so ne RUhige art und und (.) und (-) das is doch ideAL (-) geWEsen.” (Reichel 648-653)
7.5.2
Gemeinsame Zeit
Anhand der Interviews wird deutlich, dass die PfarrerInnen bzw. ihre EhepartnerInnen mehr oder weniger bewusst unterschiedliche Prioritäten setzen. Dies betrifft neben dem Verhältnis von Pfarrberuf und Paarbeziehung auch das Verhältnis von Paarbeziehung und Familie bzw. von Paarbeziehung und individuellen Interessen.
Zeit für die Paarbeziehung
Alle Pfarrerehepaare sind sich einig, dass die Zeit, die ausschließlich für das Paar zur Verfügung steht, sehr gering ist. Als Begründung dienen hierfür die zeitlichen Anforderungen des Pfarrberufes, die mangelnde Privatsphäre im Pfarrhaus sowie die Bedürfnisse der Kinder und der Familie. In der Erfahrung, dass insbesondere in der Kleinkindphase spezielle Paarinteressen zurückgestellt werden müssen, unterscheiden sich Pfarrerehepaare jedoch nicht von anderen Paaren.
“Er: ich denke, da sind wir sozusagen ein ganz norMAles paar, das da immer mehr FREIräume entSTEhen und auch geNUTZT werden können wie auch IMMer, ähm, je ÄLter die kinder werden.” (Kahle 272-275)
“Sie: ich denke diese freien ZEIten uns zu verschaffen gelingt uns jetzt auch besser, seit die KINder groß sind, weils eben mal die möglichkeit gibt, einfach mal Abends abzuhauen oder wirklich mal drei tage URlaub zu haben und einfach WEGzufahren. in der zeit mit kleinen kindern war das SCHWIErig, und da kommen eben die schwierigkeiten, die ganz norMAL sind für diese KLEINkindphase (-) zuSAMMen mit diesem mangelnden privatleben im pfarrhaus.” (Schmidt 436-442)
Die Öffentlichkeit des Lebens im Pfarrhaus führt dazu, dass eine gemeinsame freie Zeit als Paar für die Mehrzahl der befragten Pfarrerehepaare nur außerhalb möglich erscheint.
“I: und wenn es jetzt keine direkten freien TAge gibt und alles immer so auf ABruf, wie gibt es dann zeiten für SICH, als PAAR? Gibts die?
Sie: die gibts SELten und die sind immer (.) mit FLUCHT verbunden, mit WEGfahrn, mit (3) also zum beispiel fahrn wir an unsern geBURTStagen immer WEG.” (Schmidt 404-408)
Den Pfarrberuf nennen vier Paare als Faktor, der es erschwert, als Paar gemeinsame Zeit zu finden. Er wird aber unterschiedlich stark gewichtet. Zwei Paare, bei denen die EhepartnerInnen berufstätig sind, haben das Problem, dass der Rhythmus der Arbeitszeiten unterschiedlich ist. Das hat zwar den Vorteil, dass die Betreuung des Kindes durch jeweils einen Partner gewährleistet ist, aber auch den Nachteil, dass sie sich als Paar kaum sehen. Auf die Frage, was als “normales” Paar anders wäre, antworten sie:
“Er: naja da hätte man viel mehr ZEIT füreinander.” (Wenzel 9)
“Er: da wärn die WOchenenden frei.” (Bauer 7)
“Er: und an den Abenden wär mehr ZEIT.” (Bauer 31)
Die Paare, in denen der/die EhepartnerIn nicht oder wenig arbeitet, sehen sich aufgrund der flexiblen Arbeitszeiten im Pfarrberuf zwar häufiger, aber diese gemeinsame Zeit als Paar ist nicht fest einplanbar.
“Sie: (2) wir hätten ne SIchere gemeinsame zeit für uns. (-) also EINplanbare- (.) ne EINplanbare geMEINsame zeit für uns.” (Hein 9-10)
Deshalb ist fast allen Paaren klar, dass die gemeinsame Zeit bewusst geplant werden muss.
“Er: also (.) zuSAMmengefasst, also man muss sich die zeit für partnerschaft und familie wirklich auch erARbeiten
Sie: und bewusst FREIhalten.
Er: man muss wirklich AUFpassen, weil es gibt immer SO viel zu tun und das is ja auch ein sehr inteGRIERtes leben.” (Bauer 33-37)
Das Bedürfnis nach gemeinsamen Paarzeiten ist bei den Paaren und zum Teil auch bei einzelnen Partnern sehr unterschiedlich. Auch ihre Notwendigkeit wird unterschiedlich beurteilt. Die Paare, bei denen es beiden Partnern wichtig ist, schaffen es meist auch, sich die Zeiten einzuplanen. Die Paare, bei denen gemeinsame Zeiten vor allem der Wunsch eines Partners sind, realisieren diese seltener.
Weil sie kleine Kinder haben, nehmen sich Thomas und Evelyn Kahle nur noch einmal im Monat einen freien Tag, an dem sie dann in der Zeit, in der die Kinder in den Einrichtungen sind, etwas Gemeinsames unternehmen (Kahle 251-264). Außerdem bekommen sie einmal im Jahr ein gemeinsames Wochenende geschenkt, an dem die Schwägerin die Kinder betreut und sie Urlaub haben (Kahle 246-251).
“Sie: also eigentlich von anfang AN, da HATT=mer noch gar keine kinder, da ham=mer uns VORgenommen, also EInen freien abend die woche, den müss=mer uns EINrichten. und das versuch=mer och in der planung zu beRÜCKsichtigen und das is dann unser Abend, häufig geht der natürlich OCH erst um neun los, wenn die kinder im BETT sind und der haushalt nochmal so grob DRÜbergegangen is, aber das is so unser Abend.” (Kahle 230-236)
Die Situation bei Ehepaar Reichel ist ambivalent, denn obwohl Simone Reichel mit geplanter gemeinsamer Zeit Schwierigkeiten hat, wünscht sie sich doch, dass ihr Mann Zeit mit ihr zusammen verbringt.
“I: gibt es denn so feste zeiten als paar?
Sie: die wollt=er einführen (.) und die hatter sich so en bisschen gewünscht, aber ich konnte damit (.) oder KANN immer noch nicht damit so umgehen, dass er gesagt hat (.) oKAY, wir machen MONtags immer was. ich äh hatte ja (.) also EInen tag in der woche och FREI und MANCHmal och montags und da hätten wir och immer mal was machen können (–) zuSAMMen, (2) aber das hat OCH nich so richtig (-) und jetzt och off KRAMPF was SUchen und FINden und (.) dann wars WETTer kalt und irgendwo RUMlaufen und und (.) a:ch, nö:. naja, ich hab dann HAUShalt gemacht oder irgendwie sowas, es bleibt ja dann noch geNÜgend arbeit liegen.” (Reichel 459-469)
“Sie: DAmit tun=wer uns schwer, dass=wer jetzt uns FESTsetzen und sagen, also das und das sind uns (.) is vielleicht nur der SONNtag. //hmm//der sonntag nachMITTag überHAUPT, ja, //hmm//aber vielleicht REICHT das och. //hmm//also da bin ich FROH, dasser da nich in sein ARbeitszimmer geht, sondern dasser da auch wirklich dann och HIER bleibt. (1) DAS (.) is schon zu beMERken. (-) doch (-) das MACHT schon was aus.” (Reichel 473-479)
“Sie: also eigentlich A:bende so für uns ham=wer WEnig, aber man KÖNNte was finden. //hmm//also das wär jetzt ni so (-) is vielleicht sonnabend und sonntag abend. im prinzip (-) reichts, wenn man wirklich was unternehmen WILL, mal ins KIno theAter, dann FINdet man dann och schon was. aber (2) e:r is dann schon also wirklich bis halb zehn in seinem arbeitszimmer, (.) so etwa (.) so täglich und (3) das stört mich aber OCH nich mehr mittlerweile. ” (Reichel 245-251)
Eberhard und Karin Gruber verneinen die Existenz gemeinsamer Zeiten als Paar, obwohl Karin Gruber sie für notwendig erachtet. Ihr Mann stellt dagegen die Familie in den Vordergrund.
“I: wie is es mit festen zeiten och für SICH, also für sich als PAAR? gibt’s die?
Sie: nee. (-) würd=ich jetzt mal klar NEIN sagen. (3) du kannst mir widersprechen
Er: nee ((lacht)) da ham=wer schon mal drüber geSPROchen; das ein oder andre mal ((lacht))
Sie: man MÜSSte wieder mal, das ist unser stehender spruch-
Er: also äh (.) ich sag da och oft, wir SIND eben jetze nich nur en paar, sondern wir sind eben och ne faMIlie (2) und äh wenn wir da was machen, dann sag=ich dann nehm=wer die kinder MIT oder- dann läuft das so. (-) naja und DU sagst, nee wir brauchen och für UNS zeiten; ich meine, es gibt ja och ANgespannte situaTIOnen, wo das äh NICH so gut läuft und dann sagst du, WEIL wir uns nich (1) zuSAMmen sehen oder WEIL wir da nich zuSAMmen was tun. und ich sag, naJA, aber unsre situaTION is eben jetzt ne famiLIÄre und nich ne PAARsituation und das (.) is so bissel (.) kontroVERS bei uns, wobei wir och manchmal alLEIne wegfahren und sagen wir müssten mal wieder was NEUes machen oder das wiederHOlen” (Gruber 337-354)
Zeit für die Familie
Bei den Pfarrern ist die Prioritätensetzung hinsichtlich der Familie unterschiedlich. Mehrere Pfarrer und insbesondere die Pfarrerinnen planen Familienzeiten sehr bewusst in ihren Berufsalltag ein, indem sie zum Beispiel Nachmittage und Samstage freihalten.
“Er: [Martina, T.K.] konnte sich NIE so rausnehmen. da sag ICH eher mal eh KOMM, jetzt geh RÜber, DRÜben is dein schreibtisch, halt dich mal RAUS hier oder so (1) <<lachend> die ÜBERmutter, die MUSS eben- die hat eben den anspruch, will eben für die kinder DA sein> und leidet selber SEHR darunter, wenn ses NI kann.Die Übermutter, die muss eben- die hat eben den Anspruch, will eben für die Kinder da sein und leidet selber sehr darunter, wenn ses ni kann.” (Hein 83-87)
Bernd Reichel und Martin Schmidt dagegen versuchten zunächst, der traditionellen Rolle eines Dorfpfarrers zu entsprechen, womit der Familie automatisch eine untergeordnete Rolle zukam.
“Sie: und ganz oft ham=wer auch erLEBT, dass der martin gesagt hat SO (.) jetzt hab ich ZEIT und plötzlich (.) steht jemand unten auf der KLINGel oder am TElefon und (-) zu erLEben, dass die geMEINde ihren vater STÄNdig abrufen darf, auch wenn er IHnen die zeit versprochen hat, UMgekehrt sie aber NICH dazwischenplatzen dürfen.” (Schmidt 310-314)
“Sie: also ich hab im=im im laufe der zeit hab ich gemerkt, (1) dass an ERster stelle eigentlich für dich immer (-) also (.) das=das hat sich entwickelt (1) die KIRche kommt (2) und die faMIlie erst an zweiter stelle.” (Reichel 23-26)
Gerade in der Familienphase hat dies auch zu Konflikten in der Paarbeziehung geführt.
Wenngleich Simone Reichel das Engagement ihres Mannes heute anerkennt, fühlte sie sich mit den kleinen Kindern früher oft sehr alleingelassen (vgl. Reichel 90-97). Bernd Reichel bemerkt auch selbst, dass seine Familie oft zu kurz gekommen ist. Er führt es auf die Freiheit des Pfarrberufs, die damit verbundene Schwierigkeit der Grenzziehung und den beständigen Druck des Dienstes zurück (vgl. Reichel 42-54).
Die Frage der Möglichkeit einer Elternzeit auch des Mannes hat das Ehepaar Schmidt vor ca. fünfzehn Jahren länger beschäftigt, wobei nach Meinung der Ehefrau das Argument, eine Elternzeit ginge bei Pfarrern nicht, die Diskussion zu schnell beendet hat.
“Sie: also das is zum beispiel auch son punkt, über den wir immer mal diskuTIERT haben und dann und gesagt das wäre AUCH ne möglichkeit und ähm (2) was och son REIbungspunkt war zwischen UNS dass ich gedacht hab okay, wir- das wird immer gleich so vom TISCH gewischt, ner, weil (.) GEHT ja bei uns sowieSO nich.” (Schmidt 1196-1200)
Sie hat darunter gelitten, dass sie ihren Ausbildungswunsch aufgrund der Pfarrstelle ihres Mannes auf dem Dorf und der ihr zukommenden Rolle der Kinderbetreuung nicht schon damals realisieren konnte. Zwar räumt sie ein, dass die Zeit damals eine andere war und Elternzeit von Männern noch weniger üblich als heute, aber sie stellt auch fest, dass es außerhalb des Pfarrberufes für sie als Paar auch schon damals andere Optionen der Aufgabenverteilung gegeben hätte, welche sie als Pfarrerehepaar jedoch nicht hatten. Bei jungen Pfarrerehepaaren heute stellt sie außerdem neben den vereinfachten Rahmenbedingungen (so ist zum Beispiel heute auch eine Elternzeit bei Pfarrern möglich) auch eine andere Herangehensweise fest, die der Familie eine größere Priorität einräumt (Schmidt 1328-1343).
Zeit für sich selbst
Neben Familien- und Paarzeiten gibt es auch ein unterschiedlich großes Bedürfnis nach individuellen Freiräumen. So haben einige PartnerInnen zum Beispiel eigene Hobbies wie Sport, Musik oder sehr ausgefallene Dinge (Reichel 237-239, 397; Bauer 200).
“Er: aber SO bin ich eigentlich mit MEIner rolle total happy, dass viele dinge, zu den ich sonst NICH kommen würde, die kann ich da verWIRKlichen. die imkeREI (.) das hab ich jahrelang vor mir hergeschoben (.) oder jetzt=n JAGDschein gemacht, dass man einfach mal als JÄger rausgehen kann, das is einfach mal HERRlich, ner, das wäre sonst NI .” (Hein 897-903)
Bei Ehepaar Reichel war das sportliche Hobby von Bernd Reichel jedoch ein Grund für Spannungen. Letztlich hat es dazu geführt, dass auch Simone Reichel etwas allein unternommen hat und das auch genießen konnte. Der Anlass dafür war jedoch nicht ihr Bedürfnis nach Alleinsein, sondern eine Reaktion auf das Verhalten des Ehemannes.
“Sie: aber es war schon SO, sonnabend nachMITTag (3) musste er seinen SPORT haben. (-) das war
Er: <<gespielt entrüstet> das KANN ni SEIN>
Sie: ja (.) nee (.) DAS war WICHtig, (1) und das war SCHLIMM. ((lacht etwas)) und da hab ich drunter geLITTen. (1) weil das eigentlich der EINzigste tag war, wo man mal was unterNEHmen konnte, (-) zuSAMMen. //hm//(1) naja, und irgendWANN dann, als dann die tochter zwölf war, die hatte dann OCH keene lust mehr, spaZIERN zu gehn und zu solche sachen und, (-) naja und da wurdes dann immer WEniger (1) und ich bin dann alLEIne spaziern gegangen und hab dabei och mitgekriegt: mensch, es ist SCHÖN, (-) och mal alLEEne zu gehen.
Er: geNAU.
Sie: der sohn war dann OCH mittlerweile dann och so groß, der wollte dann OCH nich mehr, (-) naja, und nun STÖRT´S mich nich mehr //hmm//und ich merke, wenner beim sport war, dann fühlt=er sich GUT, (-) das BRAUCH=er und (1) dann LASS=ich ihn. (-) als wenn ich sage, nee, du musst jetzt hier mit UNS was (.) also off KRAMPF machen geht überHAUPT nich. //ja//nee, also jeder braucht schon en bisschen seine FREIheiten und seine HOBbies, die muss man schon demjenigen gewähren.” (Reichel 388-408)
Drei Paare erzählen, dass sie schon mindestens einmal getrennt Urlaub gemacht haben, zwei EhepartnerInnen verreisen regelmäßig ohne Partner (Schmidt 862-864; Hein 885-895).
“Er: sie REIST dann och immer gerne mal SELber mal ne tour=also wir fahren zwar och zuSAMMen in urlaub, aber so dass JEder ni UNbedingt [am rockbandel des ANderen hängen muss
Sie: [nee, wir kleben ni so zusammen” (Reichel 987-990)
7.5.3
Konflikte und Krisen als Paar
Die Frage nach Belastungen und belastenden Zeiten als Pfarrerehepaar wurde generell häufiger auf den Beruf und dortige Belastungen bezogen als auf die Paarbeziehung. Insbesondere einige männliche Interviewpartner haben diesbezügliche Fragen vor allem auf der Ebene des Berufes verstanden und beantwortet, während ihre Ehepartnerinnen auf die Paarebene Bezug nahmen (Reichel 686-730; Schmidt 528-567).
Besonders zwei Ehefrauen berichten über sehr schwierige und konfliktreiche Zeiten in der Paarbeziehung. Diese sind in beiden Fällen die Zeit, als die Kinder klein waren.
“Sie: es gab auch so geWISSe zeiten, die wirklich GANZ SCHWIErig warn einfach (.) und weil (.) ich hab dann auch das gefühl gehabt (–) für mich (-) irgendwie (-) ich wer hier NUR noch verWURstet also es findet überHAUPT kein- ich hab eigentlich keine CHANce mehr, kein eignes LEben mehr, ich saß hier relativ FEST mit den kleinen KINdern, meine freundschaften und kontakte hatte ich IRgendwo, aber die konnte ich natürlich nich so PFLEgen, solange die kinder so KLEIN waren (2) der (-) ja, eh ich hier auch so FREUNDschaften geknüpft hatte und andrerseits dieses in ANspruch genommen sein, also es gab phasen, wo ich hier exTREM UNzufrieden war und eigentlich nur noch WEGwollte.” (Schmidt 541-552)
“Sie: ich JA, ich habs schon OFT verflucht. (1) aber es war och zu zeiten, als die kinder KLEIN waren, da ham- da hab ichs verflucht (2) da hab ich so bisschen mit mir gehadert.” (Reichel 688-690)
Beide Frauen haben sich schon vor Antritt der Pfarrstelle eher skeptisch und kritisch mit der Pfarrfrauenrolle auseinandergesetzt (Schmidt 560-567+599-605; Reichel 100-157) und auch in der Folge unter dem Pfarrfrauendasein gelitten.
Sie resümmieren, dass die normalen Aushandlungsprozesse und damit verbundenen Konflikte in Paarbeziehungen durch Berufs- und Lebensbedingungen der Pfarrerehepaare verstärkt werden können.
“Sie: und ich denke, es is zu den ganz ALLgemeinen konflikten, die ja sowieSO bei jedem paar entstehen, grade in der phase, wo kleine KINder sind oder wo ROLLen neu verteilt werden oder wo AUFgaben neu abgesteckt werden, hat das GANze einfach IMMer noch en zacken SCHÄRfer, also einfach weil diese rollenerwartungen (-) ich kanns nur ganz SACHlich sagen - diese rollenerwartungen in der geMEINde die traditioNEllen und die realiTÄT die geSELLschaftliche, es PASST einfach überHAUPT ni zuSAMMen und (1) ich DENKe, wir ham en GANzes stück MEHR gekämpft (-) als (1) manches ANdere paar.” (Schmidt 532-541)
Trotz allem wird auch deutlich, dass sich die grundsätzlichen Konflikte auf der Ebene der Paarbeziehung befinden und, wie bei Ehepaar Reichel, in unterschiedlichen Charaktereigenschaften, Interessen und zuweilen auch Kommunikationsschwierigkeiten begründet sind.
“Sie: und wir haben geNAUso solche probleme wie ANdere leute, geNAUso. //hmm//
Er: naja, es kommt immer MAL, dass es konFLIKte gibt, (-) und da muss man halt (.) miteinander REden. (-) natürlich fällt das dann eben SCHWER, weil=mer denkt, naja, das haste schon hundertmal geSAGT oder geHÖRT.” (Reichel 529-534)
“Er: und dann ist natürlich och die ÖFFentlichkeit da, äh, (-) und vielleicht och ein stück unterschiedliche wesenseigenschaften, (.) ich bin sehr och en geselliger, fröhlicher typ und bin gern draußen unter leuten und du ni ganz so, und dann isses manchmal dann so (.) ja (.) <<neugierige Gemeindeglieder imitierend> wo isn deine FRAU?> (-) und (.) und <<die vorwurfsvolle Frau imitierend> musst du jetzt schon WIEder da hin gehen? das ist ja gar nicht deine aufgabe> und da entstehen ziemlich schnell so=so konFLIKte im alltag, die man dann eigentlich fair austragen müsste, oft keene zeit hat und dann dann entstehen spannungen (.) so im alltag. (-) und damit muss mer och leben. (-) und wenn dann och gefragt wird: ist deine frau heut WIEder ni da? dann spürt schon (.) spürt man dann im untergrund immer och so ne frage: <<aggressiv neugierig> klappt was bei euch nich?> oder so” (Reichel 54-65)
Vor allem die Öffentlichkeit und Beobachtung im Pfarrhaus verbunden mit der Erwartung an eine harmonische Pfarrerehe empfinden beide Paare aus der Erfahrung dieser Krisenzeiten heraus als sehr problematisch, weil dadurch auch der Umgang des Paares mit seinen Konflikten beeinflusst wurde.
“Sie: und daZU kommt sicher auch dieser LUpenblick, also diese überWAchung und das fasSAdeaufrechterhalten, was AUCH noch mal, ja, die konflikte auch ZUgeben können, wie jedes ANdere paar das kann, dass das nich MÖGlich is, verschärft das ungeheuer.” (Schmidt 1371-1374)
Drei Pfarrerehepaare sind demgegenüber der Meinung, dass ihre Paarkonflikte nichts mit dem Pfarrerberuf zu tun haben (Gruber 503-504) bzw. zwar berufliche Ursachen haben können, die jedoch nicht pfarrerspezifisch sind. Die Paare nennen hier Ärzte und selbstständige Handwerker als Vergleichsgruppen.
“I: gab es schon zeiten, die beLAStend waren in der zeit, die sie hier PFARRerpaar sind?
Sie: naja, hat eigentlich glaub ich WEniger mit dem beRUF zu tun, den ich hab. einfach, dass es mal beLASTende oder enge ZEIten gab, wo ich (.) die geFÜHle och mal verRÜCKT spielen oder wos dann och mal (2) stressig zwischen UNS wird, aber das is normale PARTnerschaft, also das würd=ich jetzt nich auf den beRUF schieben.” (Bauer 399-412)
“Er: also (1) WENN wir uns mal richtig gestritten haben oder so, dann spielte das mit dem [pfarrersein KEEne rolle mhm]
Sie: [NEE das denk ich OCH, ja] [...] das schlägt manchmal zu BUche, aber ich denke, ANdere berufe oder andere ehen mit anderen beRUFSgruppen hätten ANdre probleme
Er: also ich muss OCH sagen, äh, wir ham ja hier im ort (-) leute, der is HANDwerksmeister und die frau (-) das is ja och ein ANgespanntes LEben, also wie der RAMMelt und wie=mer DA noch familie unter einen hut bringen (.) sollte, das is (.) schon SCHWIErig. und wenn=mer da UNS nu wieder vergleicht, was wir für FREIheiten haben und wie wir auch noch finanZIELL gut LEben können” (Gruber 503-515)
Als pfarrerspezifisch und schwierig benennen zwei Paare jedoch, dass sie über private Dinge wie Beziehungsthemen oder Eheprobleme in der Gemeinde und Nachbarschaft nicht reden können (Bauer 27-30; Hein 729-46, 761f.)(vgl. auch Kap.
7.6).
Das Thema Trennung und Scheidung ist bei den meisten Paaren kein Thema, zu welchem sie eigene persönliche Erfahrungen beisteuern können. Lediglich Simone Reichel erzählte, dass sie sich in Krisenzeiten bereits mit dieser Option beschäftigt hat.
“Sie: nee, und ich hab ja IMMer im hinterkopf, ich MUSS nich bei ihm bleiben, ich hab ja meinen beRUF. da GEH ich eben ARbeiten. ich hab mir immer gedacht: naja, da MACHstes eben alles alLEEne. das ist ja schon oftmals DURCHgespielt im kopf //hmm//solche phasen hat man ja och son bisschen erlebt. //hmm//aber dann wieder dann DOCH dacht=ich (.) mensch, wir haben SO zwee gute KINder und die sind SO gut und das HAM wer doch eigentlich zuSAMMen gepackt, das is doch UNsre ARbeit zuSAMMen geworden und so diese dinge, die waren dann doch viel SCHWErer gewesen. //hmm//(8) und doch. die belastung für die frau is viel MEHR, so mit kindern, weil einfach-” (Reichel 1265-1275)
7.5.4
Hilfe und Unterstützung
Die Frage nach der Kenntnis und der Akzeptanz von Hilfs- und Unterstützungsmöglichkeiten für Ehe und Paarbeziehung wurde eher verhalten beantwortet. Neben Beratungsangeboten und Seminaren im inner- und außerkirchlichen Raum wurden vor allem dem Freundeskreis eine wesentliche Unterstützungsfunktion für die Paarbeziehung zugesprochen (siehe Kap.
7.6)
Hilfe und Unterstützung für die Paarbeziehung innerhalb der Kirche zu suchen, wird insgesamt eher vermieden. Ein Grund dafür ist die Befürchtung, innerhalb der Kirche mit ebenjenen Erwartungen und eventuell sogar dienstrechtlichen Konsequenzen konfrontiert zu werden, die selbst Bestandteil des Problems oder Konfliktes des Paares sind (Schmidt 947).
“Sie: aber das is gleich noch en ANderes THEma, dass diese besondere situaTION die im pfarrhaus entsteht, schwer verSTANden wird (1) AUßerhalb (-) und INNerhalb der kirche (-) man doch immer wieder mit diesen erWARtungen konfrontiert is und in diesen (-) also auch in phasen wo wir heftige konFLIKte miteinander hatten hab ich manchmal darüber nachgedacht, wo könnten wir uns eigentlich HINwenden oder wo könnten wir HILfe holen oder (-) was WÄre die stelle (3) ja, es is dann nich so weit geKOMMen, dass wir das wirklich gebraucht haben, aber wir waren nahe DRAN und ich hätts NICH gewusst, also ich hätt KEIne lust gehabt, mir innerhalb der KIRche hilfe zu suchen und AUßerhalb (-) hätten wir mit dem proBLEM nich LANden können und (1) und unsere konFLIKte waren doch STARK davon beEINflusst (-) von unsrer situation im pfarrhaus
Er: zumal man innerhalb der kirche gleich angst haben muss, dass es dienstrechtliche konseQUENzen hat.” (Schmidt 947-960)
Ein anderer Grund ist die Vermutung oder das Gefühl, schon zu wissen, was einem dort gesagt wird (Gruber 594, Hein).
“Er: also ich FÄNde das FURCHTbar, wenn ich sozusagen zu so=ner- das soll ni überheblich klingen aber wenn wir zu=ner Eheberatung gehen würden im KIRchlichen RAHmen (.) da hätt=ich immer das gefühl das KENNST=de jetzt schon was die dir sagen (1) ohne dass ich eheberater BIN oder sowas (.) aber man KENNT sozusagen die kirchlichen spielchen //hmm//und das wär mir en GRAUen.” (Gruber 620-625)
Karin Gruber äußert in dem Zusammenhang die Vermutung, dass sie gerade die Distanz zur Kirche im Privatleben als Paar gesund gehalten hat, weil sie dadurch eine Balance zur im Alltagsleben dominierenden Kirche herstellen können (Gruber 620).
Dass im Pastoralkolleg auch Seminare zu diesem Thema angeboten werden, ist nur wenigen Paaren bekannt. Ehepaar Kahle und Ehepaar Hein benennen diesbezüglich auch die Schwierigkeit, in einer geteilten Stelle (wo normalerweise ein Ehepartner den anderen vertritt) und mit kleinen Kindern an einem solchen Seminar teilzunehmen (Kahle 674-695; Hein 591-596).
Auch die von der Landeskirche für PfarrerInnen empfohlene Seelsorge ist für Martina und Steffen Hein nur in bestimmten Fällen hilfreich.
“Sie: so=n SEELsorger, da kann man mit nem konkreten konflikt HINgehen und sagen, ich brauch da jetzt HILfe und das MAchen och manche” (Hein 787-789)
“Er: wenn=de dem gegenÜber sitzt, und du WEIßT ja, was da kommt oder NI kommt.” (Hein 777f.)
Die Rolle der SuperintendentInnen als direkte Vorgesetzte der PfarrerInnen, welche in der Regel einmal jährlich ein Personalgespräch führen, wird unterschiedlich gesehen.
Martina Hein bewertet es sehr positiv, dass in den Personalgesprächen auch die Ehe und Familie der PfarrerInnen im Blick ist und dienstlich darauf in Ausnahmefällen Rücksicht genommen wird (Hein 530-541).
Thomas Kahle hingegen sieht es positiv, dass er im Personalgespräch nicht nach seiner Ehe gefragt wurde.
“Er: wie gesagt offiZIELL kümmert sich KEIner von der landeskirche drum und das is mir auch relativ ANgenehm. [...] und letztlich stehn uns äh INNerkirchlich und AUßerkirchlich (.) wie JEdem normalen ANderen auch die angebote zur verFÜgung, auch im FREUNdeskreis, die jeder andere AUCH wahrnehmen kann.” (Kahle 704-716)
Simone Reichel hat auch Ratgeberliteratur für sich persönlich als Hilfe empfunden.
“Sie: und nun gibt’s ja zum glück och viel literaTUR und alles mögliche, wo man och IMMer WIEder mal was LEsen kann, und wo man (dann denkt) ach JA. [...] aber das IS schon immer mal (-)wie man miteinander umgehen soll, das hat man ja nich geLERNT und hats ja teilweise von den eltern OCH nich so geZEIGT bekommen (.) manchmal.” (Reichel 1144-1156)
7.6
Sozialkontakte von Pfarrerehepaaren
7.6.1
Integration in der Ortsgemeinde
Die Pfarrerehepaare haben über die Kirchgemeinde und ihre beruflichen Beziehungen hinaus auch Beziehungen zur Ortsgemeinde, in der sie wohnen. Diese sind unterschiedlich stark ausgeprägt. Zum einen existieren große Stadt-Land-Unterschiede. Während der Pfarrer bzw. die Pfarrerin und ihre Familie im Dorf in der Regel auch bei nicht zur Gemeinde gehörigen Bewohnern bekannt sind, leben sie in der Stadt wesentlich anonymer.
“Sie: also ich hab och das gefühl, in der geMEINde is man hier PFARRerin und schon, wenn ich RAUSgehe, hab ich nich mehr das gefühl, sag=mer mal die PFARRerin zu sein.” (Kahle 321-324)
“Sie: wenn jemand ins pfarrhaus zieht auf m DORF, da wird das ja WAHRgenommen, ner, ganz SCHNELL und mich KANNten ja alle sehr schnell, das is die neue PFARRsche und ((lacht)) aber ICH kannte die LEUte nich.” (Schmidt 247-250)
Aber auch StadtpfarrerInnen wie Evelyn und Thomas Kahle passiert es, dass sie von Menschen erkannt oder gegrüßt werden, die sie selbst nicht kennen (324-332; 373-380).
Neben dem Bekanntheitsgrad und der Öffentlichkeit, mit der alle Pfarrerehepaare in irgendeiner Weise umgehen müssen, spielt die Kultur der jeweiligen Ortsgemeinde eine große Rolle bei der Integration der Pfarrerehepaare. Die meisten befragten Paare machen positive Erfahrungen mit den Menschen und der örtlichen Kultur und fühlen sich willkommen und integriert.
“Er: und es sind WIRKlich auch RICHtig nette LEUte hier, nich nur in der geMEINde, sondern auch im DORF, also sehr angenehmer MENschenschlag, sehr OFFen (–) und wir haben auch ganz klar kommuniziert, wir wolln hier ANkommen und wir wolln hier daZUgehörn //hmm//und dann WIRD man auch empfangen und DARF dazugehörn, DAS is wirklich SEHR sehr angenehm hier.” (Bauer 126-131)
Ein entscheidender Aspekt dabei scheint der Willen und die Fähigkeit des Pfarrerehepaares zu sein, sich auf die jeweilige örtliche Kultur einzulassen. Manchmal jedoch ist das nicht alles, wie das Beispiel von Martin und Susanne Schmidt zeigt, denen die Kultur und Mentalität ihres Dorfes nach wie vor zu schaffen macht.
“Sie: also HIER die dorfbewohner sind SEHR KONservativ, sehr tradiTIONSbewusst, ohne traditionen zu HAben und auch (-) ganz komisch EIsig.” (Schmidt 1295-1297)
Unabhängig davon berichten mehrere Paare, dass das Einleben vor allem auf dem Dorf nicht leicht ist und überdies durch feste Rollenbilder noch weiter erschwert werden kann (Bauer 249-256; Schmidt 108-110).
7.6.2
Freunde in der Gemeinde
Freundschaften zwischen Pfarrerehepaaren und Gemeindemitgliedern sind häufig nicht einfach. Oft sind für Gemeindemitglieder Person und Rolle des oder der PfarrerIn (und manchmal auch des Ehepartners oder der Ehepartnerin) untrennbar miteinander verbunden, was es für sie schwierig macht, in dem Pfarrer oder der Pfarrerin die Person als Mensch zu sehen. Diese Erfahrung hat vor allem Martina Hein machen müssen.
“Sie: also das is für MICH glaub=ich so ne herbe erFAHrung, ner, dass, wenn ich- (1) man FINdet schon nich viele leute, wo=mer sagt, äh mit denen würd=ich gern beFREUNdet sein (.) in so dörfern und WENN man- dass- ich mein, ich hab noch niemand ANdern gefunden, ner, wo ich so den eindruck hab, denen kann ich so erzählen, wie=s MIR geht. also ich kann, ich kann hier WUNderbar darüber klagen, dass ich überarbeitet bin, das geht, das geht alles, (.) aber das, was mich jetzt so meinetwegen in unsrer beZIEhung oder in der faMIlie oder mich als perSON beschäftigt, ne, also das war für mich ECHT ne herbe erfahrung, dass ich dort DEUTlich den eindruck hatte, das- DArüber NICH, ner. also nich formuLIERT oder so, aber da war so=n BLOCK oder eine (1) ja, wo sie glaub ich einfach nich auf die REIhe gekriegt hat die PFARRerin und die perSÖNliche beziehung //hmm//da gabs so=n ROLLenproblem (.) //ja//und das bei ner KLUgen frau, also es is einfach ni überBRÜCKbar.” (Hein 810-825)
Ebenso wie Martina Hein hat auch Evelyn Bauer die Erfahrung gemacht, dass insbesondere für Pfarrerinnen auf dem Dorf die Anzahl an Personen, die in der Lage sind, die Rollen voneinander trennen zu können und damit die Anzahl an potentiellen FreundInnen relativ gering ist.
“I: wie is das Überhaupt mit freunden. hat man in der geMEINde freunde?
Sie: SCHWIErig. (2) weil VIEle die rollen nich TRENNen können. also weil wir halt IMMer auch noch das PFARRpaar sind sozusagen //hmm//also (2) also richtigen FREUNden gegenüber kann ich och sagen, das und DAS in der gemeinde kotzt mich AN oder da hab ich mal keinen BOCK dazu oder sowas (-) oder bin FERtig. also das muss ich hier schon geNAU wissen, wem ich sowas sagen kann, also (1) und es GIBT (-) einige WEnige (–) die das TRENNen können. die SELber auch äh en rollenbild im beruf erfüllen müssen und die sozusagen hin und HERswitchen, DIE ham dann verSTÄNDnis dafür, aber das sind (-) zwei drei VIER-” (Bauer 572-581)
Dagegen scheint der Rollenkonflikt für männliche Pfarrer ein geringeres Problem darzustellen.
“I: so ein freundeskreis in der eigenen geMEINde, gibt es den?
Sie: na, dadurch, dass DU ja, (.) also er is ja überall daBEI, wenn im dorf was los is, die ganzen DORFfeste und und” (Reichel 860-862)
Zu vermuten ist hier ein Zusammenhang mit den geschlechtsspezifischen Unterschieden in Freundschaftsbeziehungen, auf welchen jedoch an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden soll.
Für die EhepartnerInnen stellt sich der Rollenkonflikt nicht in derselben Schärfe. Er kann jedoch aufgrund der traditionell geprägten Pfarrfrauenrolle auch auf die Freundschaften mancher Ehepartnerinnen Auswirkungen haben (Schmidt 113-122). Dagegen erleben die Ehepartner der Pfarrerinnen kaum Schwierigkeiten.
“Er: also für DICH is das SCHWIEriger, KLAR, weil die leute an dich ANdre erwartungen haben und du och ni GANZ so (.) ich sag mal die hosen RUNterlassen kannst, für mich is das schon EINfacher, also ich erleb das ni GANZ so wie du. ich hab hier so meinen FREUNdeskreis, die leute, die ich dann och so KENNenlerne durch HOBBies und (–) ja, das is eher norMAler, würd=ich mal so sagen.” (Hein 803-809)
Während Susanne und Martin Schmidt in der Gemeinde keine richtigen Freunde haben – was sie zum einen auf Mentalitätsunterschiede, zum anderen auf stark ausgeprägte Rollenerwartungen in der Gemeinde zurückführen (Schmidt 553-559) – haben sich bei Karin und Eberhard Gruber einige Freundschaften in der Gemeinde ganz langsam entwickelt. Eberhard Gruber sieht diese Freunde als Weg- und Lebensbegleiter, auch wenn ihn stört, dass die Themen sich oft nur um Dienst und Gemeinde drehen (Gruber 694-704). Auch er kann Probleme mit der Gemeinde oder Überlegungen zum Stellenwechsel mit diesen Freunden nicht besprechen. Er sieht darin jedoch keinen pfarrerspezifischen Aspekt.
“Er: aber das is eben OCH wieder wie bei norMAlen freundschaften oder ANdren ehen. wir ham eben freunde, äh mit denen beredeste DAS, naja dann sagst=de aber da rufst=de lieber DIE an mit nem andren thema. ich will das jetzt och nich nur auf unsre situaTION zuspitzen.” (Gruber 721-725)
Ein unterstützendes Netzwerk in Bezug auf die Paarbeziehung können Freunde in der Gemeinde für Pfarrerehepaare jedoch kaum darstellen.
“Sie: Eheprobleme KANNST=de ni in der gemeinde diskutieren, das GEHT nich.” (Hein 761-762)
7.6.3
Freunde außerhalb der Gemeinde
Für alle Pfarrerehepaare besitzen Freundschaften außerhalb der Gemeinde einen hohen Stellenwert.
Sie unterscheiden sich von den Freunden in der Gemeinde vor allem dadurch, dass sie eine andere biographische Bedeutung besitzen und nicht auf der Pfarrerrolle aufbauen.
“Sie: und die einen auch ANders kennen als eben nur in dieser PFARRrolle //ja//die och WISSen, wie man sich eben VORher mit verschiedenen sachen auseinANdergesetzt hat und eben auch aus andern zuSAMMenhängen kennen //ja//” (Bauer 612-615)
Durch die unabhängig von der Pfarrerrolle auf die ganze Persönlichkeit ausgerichtete Freundschaftsbeziehung bieten sie die Möglichkeit, sich über persönliche Probleme, aber auch über Schwierigkeiten in der Gemeinde auszutauschen.
“Sie: weil man den AUStausch als paar ja nur AUßerhalb pflegen kann, also wir können uns ja HIER im ort NIEmandem öffnen, also wir HAM zwar jetzt hier en paar, wo wir sagen es is SCHÖN, aber da hab ICH schon och sehr DEUTlich die erfahrung gemacht, wenn ich jetzt als (.) als perSON von MIR anfange zu erZÄHlen, ging- also grad bei der FRAU hab ich das ganz DEUTlich gemerkt- die jalousie RUNter, sie KANN das nich erTRAgen, dass ich im prinzip och en mensch bin, der nur en einfacher MENSCH is, ne, (-) und da sind WIRKlich deutliche GRENzen, um jetzt mal (-) wenn WIR jetzt zum beispiel miteinander proBLEme haben (.) um DAS zu besprechen, das KÖNnen wir hier ni, ne.” (Hein 731-741)
“Er: na MICH (-) äh (.) stört das SCHON manchmal wenn man hier jetze aus der gemeinde, aus=m ort LEUte hat, mit denen man freundschaftlich verbunden is, es kommen dann oftmals so DIENSTthemen und das is- //hmm//ja. (1) also da geNIEß ich dann och ANdre freundschaften das muss ich schon OCH mal sagen wo=mer mal (1) //hmm//
Sie: die woANders sind, oder?
Er: ja, och wenn die bei UNS sind, aber jetzt hier am wochenende, wenn da mal paar andere leute kommen da kann man och mal was sagen, was eenen STÖRT oder so was (.) hier in der gemeinde
Sie: das würde man denen nich sagen
Er: das könnt=mer denen SO nich sagen denk ich. ja.” (Gruber 701-713)
Eine besondere Bedeutung kommt dabei ehemaligen KommilitonInnen zu. Mehrere der befragten PfarrerInnen pflegen regelmäßige Kontakte zu ihren im Studium entstandenen Freundeskreisen und betonen deren Unterstützungsfunktion in Beruf und Pfarrhausalltag.
“Sie: also WIR haben als WIRKlich TRAGfähigstes oder WICHtigstes dieses FREUNdeskreistreffen EINmal im JAHR und das is für UNS en punkt, da FREUN wir uns drauf und da kommen wir hinterher auch immer wieder beREIchert und entSPANNT zurück, wobei ich denke, dass wir durch unsere relativ entspannte situation da och den FREUNden mehr geben können, aber das is für die alle (.) so=ne richtige oAse.” (Hein 781-787)
Susanne Schmidt hat vor allem das Bedürfnis, sich mit anderen Frauen in einer ähnlichen Rolle oder Situation auszutauschen.
“Sie: und zum glück hab ich da einige FREUNdinnen, die das auch so beTRIFFT, weil das ja AUCH so ne sache is, dass das eigentlich niemand verSTEhen kann, ner, du kannst das mit NIEmandem, der diese strukTUren in der kirche und diese erWARtungen nich kennt, die schüttelt nur den KOPF.
Er: DAS war eigentlich immer ganz TOLL, dass ICH ne ganze reihe kommiliTOnen hab, mit denen wir immer noch guten konTAKT haben und dass wir uns eigentlich JEdes jahr einmal TREFFen (-) irgendWO und das du ja och manchmal mit der EIN odern ANdern telefoNIERST mit denen.” (Schmidt 929-939)
Gerade weil dieses “Durchtragende durch ein langes Leben von Freunden oder Verwandten” (Hein 790f) durch nichts ersetzbar ist, werden die u.a. durch den Pfarrberuf bedingten seltenen und schwierigen Kontaktmöglichkeiten zu Freunden außerhalb der Gemeinde von den meisten Pfarrern als ein wirkliches Defizit erlebt. Viele Verwandte und Freunde, speziell die ehemaligen Kommilitonen, leben aufgrund ihres Berufes im gesamten Bundes- bzw. zumindest Landesgebiet verstreut. Dadurch sind gegenseitige Besuche mit langen Wegen und Übernachtungen verbunden. Dies wiederum – und das wird als ein noch gravierenderes Problem gesehen – ist aufgrund des sonntäglichen Dienstes und der wenigen freien Wochenenden im Jahr, kaum möglich.
“Sie: und DIEse ganzen NÄCHsten familiären bindungen, die man ja EIgentlich och BRAUCHT als paar, ner, jetzt mal von FREUNden gar ni geREdet, unsere freunde sind och durch das STUdium, das is eben dieser FREUNdeskreis, ner, in KARLSruhe, in schweRIN, also es is wirklich SCHWER, ner- und LETZtenendes müssen wir, um diese freunde zu besuchen, URlaub nehmen. (1) und DAS find=ich en UNerträglicher zustand, also och als PAAR und als faMIlie” (Hein 724-731)
Dieser fehlende Freiraum der Wochenenden, den andere Menschen haben, wird vor allem im Hinblick auf das Paar- und Familienleben und die Pflege sozialer Kontakte von der Mehrheit der Pfarrerehepaare als ein großes Defizit des Pfarrberufs erlebt.
7.7
Abgrenzung als Bedürfnis von Pfarrerehepaaren
7.7.1
Das Leben im Pfarrhaus
Das schwer zu trennende Berufs- und Privatleben im Pfarrhaus ist bereits in Kap.
7.4.3 thematisiert worden. Im Folgenden soll vor allem die Wahrnehmung und der Umgang der Pfarrerpaare mit der Öffentlichkeit des Pfarrhauses beschrieben werden.
Das Pfarrhaus als Amt und Gemeindehaus
Bei der Mehrheit der befragten PfarrerInnen befinden sich im Pfarrhaus sowohl die Pfarrwohnung als auch das Pfarramt und die Gemeinderäume. In der Anfangszeit hatte Martin Schmidt sein Amtszimmer sogar noch in der Wohnung.
“Er: der ganze PUblikumsverkehr spielte sich ALLes mit hier oben ab, TRAUergespräche in der wohnung und ich musste immer den kindern sagen <<p> PSST LEIse PSST LEIse> ja” (Schmidt 180-182)
Aber auch außerhalb der Wohnung im Pfarrhaus stattfindende Veranstaltungen tangieren das Paar- und Familienleben, ebenso die ständige Präsenz von Mitarbeitern und Gemeindemitgliedern im Haus.
“Sie: naja, also mer geht RAUS aus der tür und muss im prinzip damit rechnen, SOfort sag=mer=mal mit geMEINde oder mit MITarbeitern in konTAKT zu kommen. und das gilt für die kinder geNAUso wie für uns als erWACHsene und das is- da muss=mer eben ständig darauf EINgestellt sein” (Kahle 24-28)
“Sie: also der persönliche RAHmen is relativ (.) SCHMAL, weil selbst wenn=mer in der WOHnung is, muss=mer damit rechnen, dass von unten irgendwelche TÖne von CHÖren oder instruMENten kommen oder wenn die KINder oben sind, pass AUF, unten is kanzLEIsprechstunde, da kannst=de nich so LAUT machen.” (Kahle 29-33)
Die Vorgabe der Erreichbarkeit des Pfarrers oder der Pfarrerin hat für die Mehrheit der befragten Pfarrererehepaare zur Folge, dass dienstliche Anrufe und Vorsprachen auch außerhalb der Amtszeiten möglich und üblich sind (Reichel 1232f).
“Sie: eGAL, ob=mer jetzt sozusagen mit den KINdern zusammen ist, egal, ob=mer KRANK is, egal, ob=s schon nach zwoundzwanzig UHR is oder vielleicht früh vor SIEben uhr, letztlich muss=mer immer damit rechnen, dass irgendeiner vor der TÜR steht, einer KLINGelt und äh (-) und das beEINträchtigt das ehe- und das familienleben SCHON.” (Kahle 7-14)
Daher existiert der Wunsch, “mal die Tür zumachen” (Schmidt 13) zu können und eine Privatsphäre zu haben, nicht nur bei Martin Schmidt.
Das Pfarrhaus als öffentliches Privatleben
Das Leben im Pfarrhaus wird maßgeblich bestimmt durch die eben beschriebene Öffentlichkeit des Amtes und Hauses sowie die in
Kap. 7.3 beschriebene Vorbildfunktion pastoraler Lebensführung. Beides führt dazu, dass Pfarrerpaare und Pfarrfamilien unter einer mehr oder weniger ausgeprägten Beobachtung der Gemeindeglieder stehen. Das wird in den Interviews durch alle Pfarrerehepaare bestätigt und durch Beispiele verdeutlicht (Reichel 63-68; Hein 323-324,704-710).
“Er: tja, aber das is eben das, was im pfarrhaus wirklich ANders is und was vielleicht och der NACHteil is, man lebt ni zusammen wie (-) wie in der stadt oder of=m dorf als norMALverbraucher, es is IMMer was andres, also wir sind ja och en stück weit hier in nem AQUArium, ne. die leute gucken ja genau hin, welche garDInen haben wir, wann geht das LICHT an und aus, ist der pfarrer denn noch DA und ARbeitet der noch, ne (-) also (2) das KANN man ni verGLEIchen.” (Wenzel 283-289)
“Er: aber der UNterschied denk ich is, dass hier das privatleben mehr auf dem präsenTIERteller steht. bei=nem TISCHler wird sich das umfeld sicherlich AUCH irgendwie interessieren, wie erzieht der denn seine KINder, aber bei nem PFARRer, ner pfarrerin oder bei pfarrerehepaaren steht das glaub ich noch MEHR im VORdergrund.” (Kahle 53-58)
Für die Pfarrerehepaare bedeutet das, dass sie noch mehr als andere Paare oder Familien den Druck erleben, auf ihr Verhalten, ihre Wortwahl und andere Dinge zu achten.
“Er: also=also dass man eben DOCH nicht machen kann, was man will. //hmm//
Sie: also man muss schon en bisschen aufpassen.
Er: das ist wie ne zenSUR, so ne innere
Sie: naJA, also man wird ständig beObachtet (-) denk ich SCHON.” (Reichel 279-283)
“Sie: es wäre anders, dass unser SOHN nich so ne öffentliche perSON is und von jedem HAllo und ins geSICHT gefasst wird und IRgendwie da mehr diSTANZ da wär //hmm//so isses fast en kind der geMEINde, wenn mer da nich AUFpasst, ner //ja//(3) naja (.) und für die PARTnerschaft wär sicher anders, dass wer ja ANders auch über priVAte dinge reden könnten, was wer jetzt SO doch eher für UNS behalten oder eher überLEgen wem wer WAS sagen, so //hmm//also was wir halt dann priVAT noch machen und so” (Bauer 23-30)
Neben der Kraft, die es die Paare kostet, dem allumfassenden Anspruch des Pfarrberufs gerecht zu werden, ist auch die Durchsetzung eigener Ansprüche und Grenzen anstrengend. So bringen einige Paare mit Kindern zum Ausdruck, dass es nicht einfach ist, die Kinder vor den Ansprüchen der Gemeinde zu schützen und sich diesbezüglich klar abzugrenzen (Schmidt 262-279).
Erreichbarkeit im Pfarrberuf
Die Erreichbarkeit von PfarrerInnen wird in erster Linie durch die Dienstwohnungspflicht gewährleistet. Problematisiert wird diese Regel nur von Martin und Susanne Schmidt, welche aus ihrer Erfahrung zwei damit zusammenhängende Schwierigkeiten benennen.
Zum einen ist es die spezielle Kultur ihres Dorfes, mit welcher sie auch nach sechzehn Jahren noch ringen und welche aufgrund der Dienstwohnungspflicht nicht nur den Arbeitskontext, sondern auch ihr privates Lebensumfeld darstellt.
“Er: also ich glaub auch diese (-) diese ganz andre kulTUR, die hat uns immer zu SCHAFFen gemacht. das is ja in nem andern beruf ANders, also wenn ich jetzt irgendwie verWALtungsmitarbeiter wär in der geMEINdeverwaltung, ich könnte abends nach HAUse gehn und mich DORThin begeben, ja wo ich wohnen WILL und mit DEN leuten treffen, mit den ich zusammen sein WILL, aber HIER (2) wohn=ich eben hier DRAUßen” (Schmidt 553-559)
Ein anderer für sie noch wichtigerer Punkt sind ihre Kinder, die sich auf dem Dorf nicht wohlfühlten und überdies sehr weite Schulwege hatten.
“Sie: dass zum beispiel unsere GROßen kinder, als sie in die puberTÄT kamen, und die ja hier auf dem dorf nich richtig WURzeln geschlagen haben, anders als joHANNes, also hier auch keine FREUNde und konTAKte hatten, das landleben als ganz beLAstend empfunden haben, auch Ewig weite SCHULwege hatten und wir dann SCHON überlegt haben, ach könnten wir hier WEGgehen und dann is wieder beim PFARRer das ANders. ich mein die Stadt ist ja nich so weit WEG, das is kein DING und wenn wir jetzt hätten sagen können, wir ziehen als familie in die STADT, da ham unsere KINder gute SCHUlen und alle ihre MÖGlichkeiten und der martin fährt jeden tag auf ARbeit, das GEHT eben nich, ner? und so ein ARbeitsweg is ja eigentlich gar kein DING, zumindest wenn man ein AUto hat //ja//aber für die KINder war das ene RIEsenstrecke //ja//also solche entSCHEIdungen dann auch für die faMIlie treffen zu können, das GEHT nich.” (Schmidt 1163-1177)
Neben der räumlichen Erreichbarkeit im Pfarrhaus bildet das Telefon heute eine wichtige Kommunikationsmöglichkeit. Der Umgang mit dem Diensttelefon wird jedoch von den befragten Paaren sehr unterschiedlich gehandhabt. Die klarste Abgrenzung ist bei Martina und Steffen Hein zu erkennen.
“Er: von der strukTUR her is vielleicht OCH noch wichtig, dass wir das mit dem TElefon ganz klar geTRENNT ham (.) priVATanschluss und- is ja kein problem über so=ne isdN-anlage- und DIENSTanschluss und dienstanschluss machst du ja OCH schon, dass du im prinzip in der REgel den ANrufbeantworter dann abarbeitest, weil das wesentlich effekTIver is als wenn man sich seine ARbeitszeit- IMmer ans TElefon gehen, du KOMMST zu NICHTS und hast immer- also das is denk ich och STRUKturell sehr sinnvoll.” (Hein 142-148)
Dagegen sagt Martin Schmidt selbstkritisch:
“Er: und ich glaube, ich hab auch FÜNFzehn jahre zu SPÄT den entscheidenden knopf am telefon entdeckt. da kann man das nämlich auch mal AUSmachen. da hab ich VIEL zu viel DRUCK immer selber gehabt für die leute hier erREICHbar sein zu müssen.” (Schmidt 318-321)
“Sie: aber manches ham wir einfach (–) LANGe zeit nich gut geREgelt (1) zum beispiel, dass bei faMIlienmahlzeiten wenn wir ALle hier sitzen, wirklich das telefon mal AUS is, dass kann in DEM moment mal der ANrufbeantworter übernehmen und die geFAHR, dass DANN grade irgend ein NOTfall (1) die is doch RElativ gering, ner //hmm//also ne sache, die dann NICH ne halbe stunde ZEIT hätte //ja//
Er: aber da steht man sich manchmal SELBST im weg, denn den anrufbeantworter dann erst wieder ABzuhörn dann, das is mühe und ARbeit, also geh ich dann doch GLEICH ran //ja//aber (–) es en TRUGschluss (-) unterm strich, weil einen völlig WUschig macht, also die- diese TRENNung zu machen, das is //hmm//mir schwer gefallen.” (Schmidt 332-343)
Freie Tage und Urlaub
Als Ausgleich zur Anwesenheits- und Erreichbarkeitsverpflichtung und zur eigenen Abgrenzung und Regenerierung wird den PfarrerInnen von der Landeskirche angeraten, vollen Urlaub und einen regelmäßigen freien Tag zu nehmen (Wenzel 376-384). Allerdings gibt es diesbezüglich keine verbindliche Rechtsgrundlage.
Vor allem die interviewten DorfpfarrerInnen klagen über große Probleme, diesen Tag auch tatsächlich freizunehmen (Schmidt 444-472; Hein 752-755; Wenzel 376-384).
“Sie: das is ja en ganz WEsentlicher Punkt, dass es eigentlich DEN freien tag Überhaupt nich gibt, ner, dass (1) ich denke wir könnten ganz GUT damit leben, dass wir kein WIRKliches privatleben haben oder dass man die tür nich ZUmachen kann, wenns wenigstens einen TAG in der woche gäbe, an dem das so is //hmm//es gibt das NIE (1) und das is auch im URlaub nich so //aha//du kannst nich sagen, okay wir machen jetzt mal vierzehn tage zuhause URlaub, weil es is ja hier so SCHÖN in unserm Dorf das funktioNIERT nich.” (Schmidt 20-27)
So verwundert es nicht, dass die überwiegende Mehrheit der Pfarrer keinen regelmäßigen freien Tag als Ausgleich zum Dienst am Wochenende hat.
Martina Hein versucht sich in der Regel den Montag freizuhalten, wo auch das Telefon im Büro liegt und nur wegen eventueller Notfälle abgehört wird.
“Sie: weil ich die erFAHrung gemacht hab, wenn ich zwei wochen DURCHarbeite OHne freien tag, dann hab ich keene Übersicht mehr, dann dann hab ich das gefühl, der schreibtisch is Überbordend, ich SCHAFFS nich mehr und dann fängt das chaos für mich INNerlich an, also das is IMMer ne frage der eignen struktur nach MEIner erfahrung jetzt. während wenn ich sage, der montag bin ich nur HIER und nur faMIlie zählt (-) dann (.) kann ich das BESSer; aber der PREIS is dann eben, dass ich dann dienstag früh STRAFF arbeiten muss und es sicher QUAlitativ och BESSer gehen würde, ner.” (Hein 467-476)
Eva Bauer hat dagegen Samstag als freien Tag in der Gemeinde durchgesetzt, da es für sie und ihren wochentags berufstätigen Mann die einzige Möglichkeit ist, etwas gemeinsam zu unternehmen (Bauer 8-13).
Die meisten Pfarrerehepaare stimmen jedoch darin überein, dass ein freier Tag im Pfarrhaus nicht möglich ist, sondern eigentlich mit Weggehen verbunden werden muss (Schmidt 471f; Bauer 346-357).
“Er: das is vielleicht noch en NACHteil des PFARRers, der is immer ANsprechbar. an meinem freien TAG, wenn ich da ni glei früh um sieben FORTfahre und abends erst um neun erst WIEderkomme (-) äh (1) BIN ich DA. und klar, wenn jemand so (-) beSTATTungsanmeldung und so, wenn das am wochenende pasSIERT is, die KOMMen natürlich am montag //ja//da biste DRAN jetzt in DEM sinne.” (Wenzel 366-372)
Dagegen versuchen die meisten Paare im Urlaub bewusst, von Kirche und Gemeinde Abstand zu gewinnen.
“Sie: also och wenn=s um URlaube geht sagt mein mann ich WILL da jetzt mal NICHTS mit der kirche zu tun haben und das is vielleicht sozusagen die die die der verSUCH ne baLANce herzustellen das=de wieder mal woanders HINguckst.” (Gruber 615-619)
7.7.2
Vorbereitung und innerliche Abgrenzung
Anhand der Interviews wird deutlich, dass die Fähigkeiten der PfarrerInnen bzw. Pfarrerpaare, sich gegenüber der Omnipräsenz des Pfarrberufs und den Ansprüchen der Gemeinde abzugrenzen, sehr unterschiedlich sind oder sich im Laufe der Zeit verändert haben. Eine große Rolle spielt in dieser Beziehung offensichtlich auch die Vorbereitung der Paare auf den Pfarrhausalltag.
Vorbereitung auf des Leben im Pfarrhaus
Eine Auseinandersetzung mit dem Pfarrberuf sowie der Situation in Pfarrhaus, in Ehe und Familie im Vorfeld des Stellenantritts hat bei den Pfarrerpaaren auf sehr unterschiedliche Weise stattgefunden. Während einige diesen Prozess eher passiv – als Pfarrerkind oder in der Gemeinde – erlebt haben (wenngleich er deshalb nicht weniger prägend gewesen sein muss), haben sich andere im Studium und vor allem im Vikariat aktiv und oft kritisch mit dem Leben im Pfarrhaus auseinandergesetzt.
In den Interviews wird mehrmals der prägende Einfluss angesprochen, den Kindheitserfahrungen mit dem Pfarrhaus auf die Wahrnehmung und Gestaltung der eigenen Pfarrerehe und -familie haben können.
Simone Reichel verbindet sehr negative Erfahrungen mit ihrer Kindheit in einem traditionellen lutherisch-frommen Pfarrhaus, stand auch dem Pfarrberuf ihres Mannes dementsprechend kritisch gegenüber und hat als Ehepartnerin zumindest versucht darauf zu achten, dass ihre Familie und sie selbst nicht unter der Pfarrhaussituation zu leiden haben (Reichel 104-162). Dass sie letztlich doch unter der Dominanz des Pfarrberufs im Familienleben gelitten hat, dass ihrem Mann die innerliche Abgrenzung zum Beruf schwerfiel, ist immer noch ein beständiges Thema ihrer Paarbeziehung (Reichel 92-97).
Für Martina Hein bedeutet ihre Kindheit im Pfarrhaus, auf viele Schwierigkeiten des Pfarrberufs besser vorbereitet worden zu sein. Dies betrifft vor allem die strukturelle Abgrenzung gegenüber dem Pfarrberuf und der Gemeinde.
“Sie: also DAS is och was, was ich denk ich bei meinem VAter schon gelernt hab, dass es eben och faMIlienzeiten gibt, ner.” (Hein 151-152)
“Sie: und DAS is eben die frage, wie ich mich entSCHEIde, also wo ich dann eben die MAßstäbe setze //hmm//und da glaub ich wiederum kommt MIR=s zugute, dass ich PFARRerskind bin und manche erNÜCHterung mit der MUTTermilch mitgekriegt hab //hmm//das spielt AUCH ne rolle glaub ich, wenn=mer mit ganz viel enthuSIASmus und Ohne so innere strukTUren an dieses pfarramt rangeht, die man sich von anderen vielleicht schon ABgeguckt hat, das is NOCHmal schwerer.” (Hein 476-483)
Von Martin und Susanne Schmidt, die sich im Vorfeld durchaus kritisch mit der sie erwartenden Pfarrhaussituation auseinandergesetzt hatten, wird in dem Fehlen solcher Pfarrhauserfahrungen ein Grund gesehen, weshalb sie es vor allem in den ersten Jahren im Pfarrhaus sehr schwer hatten.
“Sie: also wir BEIde (-) komm ja nun nicht aus m pfarrhaus, was ja nich SELten is und ja, uns war das nich so verTRAUT oder auch eigentlich nich so KLAR, was uns da erWARtet und auch welche GRENzen klar geZOgen werden müssen gleich am ANfang und wir sind ja auch SELber mit ja (.) teilweise ideaLIstischen VORstellungen rangegangen und ham VIEL zu viel verMISCHT //hmm//und bestimmte grenzen LASsen sich vielleicht auch besser ziehen.
Er: hmm
Sie: also ich denke, wenn wir woanders HINgehen würden (.) jetzt (-) würden wir vieles von anfang an ANders (1) REgeln, was sich SPÄter, wenn bestimmte sachen einmal EINgerissen sind, gar nicht mehr so klären lässt, ner” (Schmidt 159-170)
Eva und Matthias Bauer haben sich von Anfang an gründlich auf ihre erste Pfarrstelle vorbereitet und ihre Bedürfnisse als Paar bzw. Familie gegenüber der Gemeinde deutlich gemacht. In der Folge haben sich viele Befürchtungen nicht bestätigt und es besteht ein insgesamt sehr positiver Blick auf die erste Zeit im Pfarramt.
“Sie: wobei man AUCH sagen muss, wir ham uns LAnge und INtensiv darauf VORbereitet und überLEGT, wie das SEIN könnte, so, also wir sind da nich REINgestolpert //hmm//also es war seit JAHren klar, also es könnte in diese RICHtung gehen, wenn ich denn geNOMMen werde wenn ich Übernommen werde (–) WIE könnte das AUSsehen. und WIE (-) machen wir es, DASS wir uns eben noch en FREIraum erarbeiten oder scha- oder FREIhalten (.) eben für faMIlie und das hab ich wirklich von ANfang an auch klar kommuniZIERT im kirchenvorstand” (Bauer 64-72)
Abgrenzung
Die Zeit für Partnerschaft und Familie ist bei PfarrerInnen mit einem aktiven Prozess der Grenzziehung verbunden, da Privat- und Arbeitsleben oft kaum zu trennen sind.
“Er: die trennung von priVAT und (.) DIE is uns (-) GANZ wichtig geworden, ich bin da auch ideaLIstisch vielleicht RANgegangen <<idealistisch> ja: ich will (.) der pfarrer für Alle sein und für alle DA sein und die (-) ja (.) sollen alle mit hier LEben können> GEHT nicht, das kannste überhaupt nich MAchen, das stehste nich DURCH //ja//da gehste VOLL vor die HUNde.” (Schmidt 194-200)
“Er: man muss wirklich AUFpassen, weil es gibt immer SO viel zu tun und das is ja auch ein sehr inteGRIERtes leben würd=ich mal sagen in das geMEINdeleben, ja (-) wo dann FREIzeit und ARbeitszeit oft auch nur WEnig zu trennen sind.” (Bauer 36-39)
Dabei ist jedoch das Bedürfnis nach Abgrenzung sehr unterschiedlich.
So ist es zum Beispiel für Evelyn und Thomas Kahle eine Selbstverständlichkeit, mit der Familie in der Gemeinde zu leben.
“Er: wir HAMM die chance, unsere beRUfung zu unserem beruf zu machen; äh das is auch, das find=ich ne CHANce und ne heRAUSforderung, so dass für mich da auch so manche grenze, die andere ziehen würden, vielleicht gar nich so exisTIERT, weil ich denke, das is doch auch beruf und berufung gleicherMAßen.” (Kahle 488-492)
Jedoch schränkt Thomas Kahle ein, dass zumindest die Familie eine klare Abgrenzung vom Berufsleben erfordert, da sich die Kinder den Pfarrberuf im Gegensatz zu den Eltern nicht ausgesucht haben (Kahle 480-485). Aus der Sicht des Paares, welches sich eine Pfarrstelle teilt und damit sowohl Dienst als auch Privatleben gemeinsam hat, beschreibt Thomas Kahle die Vorteile ihrer Berufskonstellation (“weil wir uns das alles so teilen können” 841), jedoch auch – anhand einer “Bettszene” – die dringende Notwendigkeit klarer Grenzen zwischen Beruf und Paarbeziehung:
“Er: wir sind abends zu BETT gegangen und ham alle zubettgehrituale ABgeschlossen und dann hat IRgendjemand von uns beiden gesagt, ACH, was DER noch gesagt hat und SO, ner, IRgendwas DIENSTliches, wo wir beide SELber gemerkt haben <<leicht lachend> es is äh nich nur EIN schritt über die grenze hinaus, es is SO weit im andern land> das geHÖRT DA NICHT mehr HIN.” (Kahle 842-848)
Martina und Steffen Hein haben von allen befragten Paaren die klarste Grenzziehung, auch wenn es bei ihnen manchmal Ausnahmen gibt.
“Sie: und wenn ich dann mal HIER bin- (.) also wenn ich jetzt SEHR viel unterwegs bin, dann geh ich och mal beim ESSen ans telefon, aber wenn ich jetzt norMAlerweise- wenn ich jetzt so den ganzen tag so mehr oder weniger DA war so, dann (-) wenn wir dann ESSen, ESSen wir. und SOLche dinge, ne, ich meene, da kann man sich ja SELber och SCHUTZmechanismen schaffen.” (Hein 152-158)
Neben den ganz alltäglichen Abgrenzungsschwierigkeiten besitzen für einige Pfarrerehepaare auch Gemeindeveranstaltungen, Arbeitseinsätze und Festtage eine gewisse Problematik, in der das Bedürfnis nach einem privaten Familienleben jenseits von Pfarrberuf und Gemeinde auf die Erwartung der selbstverständlichen Anwesenheit der Pfarrfamilie trifft (Schmidt 344-353).
8
Zusammenfassung
Pfarrerehepaare haben heute die schwierige Aufgabe, das evangelische Leitbild einer dauerhaften und verbindlichen Ehe in einer Zeit exemplarisch vorzuleben, welche durch eine “strukturelle Inkompatibilität der Ehe mit der Gegenwartsgesellschaft” (Schreiber 2003: 31) gekennzeichnet ist. Die Faktoren, die nach Schreiber auf die Ehe in der heutigen Zeit eine destabilisierende Wirkung ausüben – die allgemeine Grundtendenz beschleunigten Wandels, die Schwierigkeit bei der Vereinbarung zweier Berufsbiographien in einer Haushalts- und Lebensgemeinschaft, die mehrdimensionale Heterogenität als typisches Merkmal moderner Paare und die Tendenz zur Idealisierung und Überforderung der Ehebeziehung (vgl. ebd.) – sind dabei für Pfarrerehepaare von teilweise noch größerer Relevanz als für andere Ehepaare. Auf der anderen Seite stehen gerade Pfarrerehepaare unter einem besonders hohen öffentlichen Erwartungsdruck, in Ehe und Familienleben ein beispielhaftes Vorbild zu verkörpern.
Vor dem Hintergrund dieser widersprüchlichen Situation und angesichts einer zunehmenden Instabilität auch von Pfarrerehen wurde in der hier vorliegenden Arbeit der Frage nachgegangen, ob und wie eine Spannung zwischen persönlichen und öffentlichen Erwartungen von den Paaren in ihrem Beziehungsalltag erlebt wird.
Zunächst wurde davon ausgegangen, dass Pfarrerehepaare – wie andere Ehepaare und Paare auch – mit ihrer Paarbeziehung einen
persönlichen Anspruch und bestimmte Erwartungen verbinden. In der Untersuchung wird deutlich, dass die befragten Pfarrerehepaare ihre Ehe bzw. nichteheliche Lebensgemeinschaft mit dem Anspruch einer dauerhaften und verbindlichen Paarbeziehung leben. Darüber hinaus betrachten sie die Ehe aufgrund ihrer religiösen Überzeugung und ihres Berufsverständnisses grundsätzlich als einen hohen Wert. Im Blick auf die grundsätzliche Einstellung zur Ehe als einer auf Dauer angelegten und verbindlichen Paarbeziehung decken sich somit die Vorstellungen der Pfarrerehepaare überwiegend mit dem evangelischen Verständnis der Ehe. Gerade aufgrund dieser der Ehe beigemessenen hohen subjektiven Bedeutung wird jedoch ihre “Verordnung” von den Pfarrerpaaren als problematisch angesehen. Die PfarrerInnen fühlen sich dadurch in ihrem eigenen Anspruch nicht ernst genommen und – so sie diesen Erwartungen (noch) nicht entsprechen wollen – einem zusätzlichen Druck ausgesetzt.
Unabhängig von der Ehe als dominierender Beziehungsform zeigt sich in der Untersuchung jedoch eine
Pluralität der Lebenssituationen, Lebensformen und Sichtweisen von Pfarrerehepaaren. Zwar muss einschränkend gesagt werden, dass diese Pluralität aufgrund der geringen Anzahl an befragten Pfarrerehepaaren keinen repräsentativen Charakter haben kann und zumindest teilweise auf die bewusste Auswahl von Pfarrerehepaaren nach unterschiedlichen beruflichen und privaten Konstellationen zurückführbar ist. Dennoch ist von Seiten der Pfarrerehepaare eine Orientierung an den in der Gegenwartsgesellschaft existierenden Normalitätsvorstellungen und von Seiten der Landeskirche eine vorsichtige Tendenz der Öffnung gegenüber diesen Lebensformen erkennbar. Allerdings zeigt das Beispiel des in nichtehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Pfarrers auch, dass sich hinsichtlich der Ehepflicht für PfarrerInnen zwar ein gewisser zeitlicher Toleranzbereich eröffnet hat, womit sich der Druck zur Heirat – da sich an der Ehepflicht selbst nichts geändert hat – jedoch nur temporär verschoben hat.
Die
Paarbeziehung von Pfarrerehepaaren unterscheidet sich im Grundsatz nicht von anderen Paarbeziehungen und unterliegt damit letztendlich den gleichen gesellschaftlichen Veränderungen. So hat die Ehe auch für Pfarrerehepaare heute primär die Bedeutung einer personalen Lebens- und Liebesgemeinschaft. Sie ist geprägt durch ein posttraditionales, intrinsisch begründetes Eheverständnis, welches sich vor allem an der subjektiv empfundenen Qualität der Paarbeziehung und der Zufriedenheit der Ehepartner orientiert. Daraus folgend wird eine Trennung und Scheidung einer als unglücklich empfundenen Ehe nicht verurteilt, sondern als ehrlicher Umgang miteinander gewürdigt.
Die hauptsächlichen
Konfliktfelder in den befragten Pfarrerehen sind die Arbeitsteilung in Familie und Haushalt, das Ausmaß beruflichen Engagements im Blick auf Ehe und Familie, die berufliche Weiterentwicklung und diesbezügliche Chancengleichheit beider Partner sowie die Einteilung der Freizeit im Hinblick auf familiale, eheliche und individuelle Aktivitäten und Prioritäten. Damit korrespondieren die von den Pfarrerehepaaren benannten Konfliktfelder mit den von Schreiber (2003) benannten drei Konfliktfeldern in Paarbeziehungen, welche (1) die Einteilung der Zeit in “meine, deine, unsere Zeit”, (2) die Mobilität und (3) die berufliche Weiterentwicklung bzw. die Eigenlogik der Berufstätigkeit sind (Schreiber 2003:34-36).
Konflikte und Krisen in der Paarbeziehung haben somit auch mit dem Pfarrberuf zu tun, wenn auch in unterschiedlichem Maße. Unabhängig von der den Konflikten und Krisen zugrundeliegenden Thematik werden diese von den Pfarrerehepaaren durch das Wissen um den Vorbildcharakter ihrer Ehe sowie durch die mit der
Öffentlichkeit des Pfarrhauses verbundene Kontrollfunktion der Gemeinde als große Belastung empfunden. Zur problematischen Rolle des Pfarrhauses in Beziehungskrisen stellt auch Eibach (1990) aus paartherapeutischer Sicht fest, dass “Ehen, die in phasenspezifischen Krisen-Übergangs-Reifungszeiten keinen geschützten, abgegrenzten Raum zur Bewältigung ihrer Probleme haben, [...] extremen Belastungen ausgesetzt” sind (Eibach 1990: 205). Die räumliche und zeitliche
Abgrenzung gegenüber den Ansprüchen der Gemeinde und des Amtes ist deshalb eine zentrale Aufgabe von Pfarrerehen und Pfarrfamilien. Obgleich das Bedürfnis nach einer abgegrenzten Privatsphäre unterschiedlich ausgeprägt ist, lässt sich doch ein Zusammenhang zwischen einer der räumlichen und zeitlichen Abgrenzung von Dienst und Privatleben beigemessenen Bedeutung sowie ihrer konsequenten Umsetzung im Ehe- und Berufsalltag und der Qualität der Paarbeziehung erkennen.
Die mit dem Pfarrberuf verbundene
Vorbildfunktion, welche im kirchlichen Verständnis die Glaubwürdigkeit des Pfarrers bzw. der Pfarrerin in der Gemeinde sichern soll, wird vom Grundsatz her akzeptiert. Jedoch wird ihre Kopplung an normative Vorgaben einer spezifischen Lebensform und Lebensführung von der Mehrheit der Pfarrerehepaare ausgesprochen kritisch gesehen. Insbesondere die jüngeren PfarrerInnen hinterfragen die Ehe als Lebensform hinsichtlich ihrer Aussagekraft für ein vorbildliches Leben. Gewünscht wird, dass vorbildliches Leben nicht an der Einhaltung bestimmter äußerer Normen gemessen wird, sondern dass die ehrliche, authentische und glaubwürdige Auseinandersetzung mit der jeweiligen biographischen Situation Vorbildcharakter bekommt.
Der traditionellen inhaltlichen Bestimmung der Vorbildfunktion und dem damit verbundenen Anspruch an die Lebensführung in der Ehe wird von der Mehrzahl der befragten Paare sehr selbstbewusst begegnet. Aufgrund der subjektiv hohen Zufriedenheit mit ihrer Paarbeziehung erleben sie den Vorbild- und Zeugnischarakter ihrer Ehe nicht als Belastung. Es wird von ihnen jedoch bezweifelt, dass diese Umgangsweise auch in Krisenzeiten möglich ist. Einige Pfarrerehepaare bestätigen, dass die Gleichsetzung von Vorbildlichkeit mit Harmonie und Frieden und deren Übertragung auf die Ehe gerade in Beziehungskrisen und Konflikten eine große zusätzliche Belastung für die Paarbeziehungen darstellt.
Die
Stabilität von Pfarrerehen – so kann vermutet werden – ist somit mehr als andere Ehen durch äußere Faktoren bedingt. Anhand der vergleichsweise niedrigen Scheidungsrate von Pfarrerehen sowie auch an den in den Interviews geäußerten Befürchtungen zu den Konsequenzen einer Scheidung wird deutlich, dass gerade in Pfarrerehen extrinsische ehestabilisierende Faktoren in Form von kirchlichen Gesetzen, Vorgaben und Erwartungen einen nicht unerheblichen Einfluss besitzen. Das Verbleiben in einer nicht zufriedenstellenden oder unglücklichen Ehe hat, so ist anhand der Untersuchung anzunehmen, zum einen ihren Ursprung in auf das Pfarrerehepaar projizierten, teilweise internalisierten Erwartungen der Gemeinde an eine vorbildhafte Ehe und ist zum anderen begründet in der Angst vor den mit einer Scheidung verbundenen beruflichen Konsequenzen. Bedeutet schon das offensichtliche Scheitern an dem eigenen Anspruch einer glücklichen Paarbeziehung für das Ehepaar eine schmerzvolle Erkenntnis, so wird dieses Leiden noch potenziert durch den nicht aufzulösenden Widerspruch zu idealisierenden Ansprüchen und dienstrechtlichen Konsequenzen. Auch Eibach (1990) bezeichnet den Vorbildcharakter aus therapeutischer Sicht als die größte Schwierigkeit für Pfarrerehen: “Vorgegebene, aufgenötigte Ideale ohne die Möglichkeit der Relativierung des darin enthaltenen Anspruchs stellen grundsätzlich eine schwere Belastung dar.” (Eibach 1990: 204). Die Folge sind auch in den Interviews angesprochene bzw. beobachtete Konfliktvermeidungsstrategien zur Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit und des Images der heilen Ehe.
In Bezug auf das
Berufs- und Rollenverständnis kann festgestellt werden, dass das Geschlecht eine zentrale Bedeutung hinsichtlich der erlebten Rollenerwartungen bzw. der Freiheit des Umgangs mit ihnen hat. Während bestimmte mit dem Pfarrberuf verbundene Rollenerwartungen zunächst an Pfarrer und Pfarrerinnen gleichermaßen gestellt werden, gestalten Pfarrerinnen ihren Beruf stärker und konsequenter unter dem Gesichtspunkt der Vereinbarkeit mit Ehe und Familie. Damit tragen sie zu einer Veränderung der Pfarrerrolle und des Pfarramtes bei, die es wiederum auch männlichen Kollegen erleichtert, Prioritäten anders zu setzen. Ohne die Bedeutung der Pfarrerrolle grundsätzlich zu bestreiten, gestalten Frauen diese Rolle oft unter anderen Gesichtspunkten neu. Dabei ist es für sie offensichtlich leichter, sich von Ansprüchen und Erwartungen einer allumfassenden Amtsführung abzugrenzen, weil ihnen eher als Männern der Blick auf die Familie zugestanden wird. Inwieweit ein starkes Verantwortungsgefühl für Beruf und Familie – wie häufig bei berufstätigen Frauen zu beobachten – auch bei Pfarrerinnen die Gefahr der Überforderung birgt, kann an dieser Stelle nicht beurteilt werden. Gleichwohl sich auch Männer im Pfarramt zunehmend um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bemühen, wird deutlich, dass sie sich in stärkerem Maße mit traditionellen Rollenbildern auseinandersetzen müssen. Dies gilt ebenso für weibliche Ehepartner bzw. allgemein Pfarrerehepaare in traditioneller Konstellation (Pfarrer und Ehepartnerin) und wird von ihnen – unabhängig, ob die Rollenbilder übernommen oder abgelehnt werden – mit der Erfahrung eines verstärkten Druckes verbunden.
Dagegen erleben männliche Ehepartner von Pfarrerinnen aufgrund fehlender traditioneller Rollenbilder ihre Situation weniger als Belastung denn als Bereicherung. Selbst die Übernahme neuer Männerrollen bringt ihnen – abgesehen von einem gewissen Unverständnis in manchen Gemeindekreisen – eher Bewunderung als Ablehnung. In einer geteilten Pfarrstelle scheinen traditionelle Rollenmuster zwar weniger normative Bedeutung zu haben, jedoch ist dies in starkem Maße von der individuellen Ausgestaltung der Paar- und Berufsbeziehung bzw. der innerberuflichen Arbeitsteilung des Ehepaares abhängig.
Die Rollenproblematik hat auch Einfluss auf das
soziale Netzwerk von Pfarrerehepaaren insbesondere im Nahraum der Gemeinde. So besteht für Pfarrerehepaare die Schwierigkeit, in der Gemeinde auch außerhalb des Dienstes immer über die berufliche Rolle des Pfarrers oder der Pfarrerin definiert zu werden. Wirkliche Freundschaften innerhalb der Gemeinde sind somit selten. Emotionale Nähe, Unterstützung und gedanklichen Austausch erfahren Pfarrerehepaare größtenteils durch Freunde und Freundeskreise außerhalb der Gemeinde. Aufgrund räumlicher Entfernung und fehlender zeitlicher Kapazitäten durch den Dienst am Wochenende sind Kontakte zu diesen wichtigsten Freunden jedoch selten. Untersuchungen zeigen, dass die soziale Einbettung von Ehepaaren – und hier sowohl die Unterstützung, die ein Paar aus seinem Umfeld erhält als auch die
Unterstützung
, die das Paar seinem sozialen Umfeld gibt – mit einer erhöhten Ehestabilität
einhergeht (vgl. Hartmann 2003). Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die schwierige Vereinbarkeit von Pfarramt und regelmäßigen Kontakten zu wichtigen Freunden ein wirkliches Defizit für Pfarrerehepaare darstellt.
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Schlussfolgerungen
Die hier dargestellten Ergebnisse haben den Charakter von vermuteten Zusammenhängen. Ihr empirischer Nachweis steht noch aus und stellt ein durchaus interessantes Forschungsprojekt dar.
Aber auch wenn die beschriebenen Problemlagen nur eine Minderheit der Pfarrerehen betreffen sollten, ist die damit verbundene persönliche und berufliche Not eine ernste Anfrage an das Pfarramt in seiner traditionellen, bis heute gültigen Form.
Abschließend ergeben sich aus der vorliegenden Arbeit hinsichtlich einer zukünftigen Gestaltung des Verhältnisses von Pfarrberuf und Pfarrerehe drei Schlussfolgerungen.
1. Die Ehe besitzt für Pfarrerehepaare eine hohe Bedeutung als dauerhafte verbindliche Paarbeziehung. Doch hat sich auch bei jungen TheologInnen die Heirat in den letzten Jahrzehnten biographisch nach hinten verlagert; nichteheliche Lebensgemeinschaften gehören für sie heute zur gesellschaftlichen Normalität. Die Ausübung des Pfarrberufs ist jedoch an die Lebensform der Ehe gebunden, womit junge unverheiratet in einer Paarbeziehung lebende TheologInnen und PfarrerInnen zum baldigen Heiraten gezwungen sind, so sie ihren Beruf ausüben möchten. Die mit der Glaubwürdigkeit begründete Überbewertung äußerer Lebensformen und der damit ausgeübte Druck auf junge Paarbeziehungen, welche sich heute mehr denn je über die innere Qualität ihrer Beziehung definieren, sind als äußerst problematisch zu betrachten. Anstatt einer einseitigen Orientierung am Familienstand wäre eine stärkere Hinwendung zu gegenwärtig relevanten, eine Paarbeziehung begründenden und stabilisierenden Faktoren
förderlich, und dies sowohl in Bezug auf die Glaubwürdigkeit der PfarrerInnen als auch aus seelsorgerlicher Sicht. Damit muss nicht zwangsläufig die Aufgabe des evangelischen Leitbildes der Ehe verbunden sein, sondern die Bedeutung der Ehe als freiwillig und selbstbewusst eingegangene dauerhafte und verbindliche Paarbeziehung kann im Gegenteil dadurch nur gestärkt werden.
2. Der Pfarrberuf in seiner traditionellen Form fordert den Pfarrer bzw. die Pfarrerin in seiner/ihrer ganzen Person und potentiell zu jeder Zeit. Dies sind denkbar ungünstige Bedingungen für das Gelingen einer Paarbeziehung oder Ehe. Zwar ist nicht jede Ehe aufgrund struktureller Inkompatibilität mit der gegenwärtigen Gesellschaft zum Scheitern verurteilt, aber ihr Gelingen geschieht nicht mehr beiläufig, als Nebensache. Vielmehr gelingen Ehen dann, “wenn sie als Hauptsache, als zentraler Wert im Leben gelten, wenn man bereit ist, eine gewisse Anstrengung in ihre Gestaltung zu investieren und wenn sie – nicht zuletzt als Folge davon – als schön und bereichernd erlebt werden” (Schreiber 2003: 194). Für Pfarrerehen bedeutet dies, dass ihr Gelingen heute eine klare Abgrenzung gegenüber allumfassenden Ansprüchen und damit eine Neuorientierung des Pfarrberufes erfordert, in dem das Ausmaß beruflichen Engagements an der Verträglichkeit mit Ehe und Familie gemessen werden muss. Dies ist um so zwingender nötig, wenn auch weiterhin am Vorbildcharakter der Pfarrerehe festgehalten werden soll.
3. Der Vorbildcharakter der Pfarrerehe in seinem traditionellen Kontext ist ebenfalls als problematisch zu betrachten. Zum einen lässt sich Vorbildhaftigkeit und Zeugnischarakter der Ehe nicht verordnen. Zum anderen stellen die damit verbundenen Konnotationen beständiger Liebe, familialen Friedens und ehelicher Harmonie zumindest in den in jeder Paarbeziehung vorkommenden Konfliktsituationen und Krisenzeiten eine extreme zusätzliche Belastung für die Pfarrerehepaare dar. Bejaht man – wie die befragten Pfarrerehepaare es im Grundsatz tun – die Vorbildfunktion des Pfarrers oder der Pfarrerin außerhalb ihres Dienstes, so hat dies zwangsläufig auch Auswirkungen auf die wie immer gestaltete Paarbeziehung des Pfarrers oder der Pfarrerin. Um so notwendiger wird dann jedoch eine grundsätzliche innerkirchliche Verständigung über die Kriterien, an denen man vorbildhaftes Leben in einer Paarbeziehung misst. Idealisierte Erwartungen und unrealisierbare Ansprüche jedenfalls überfordern die Pfarrerehen und führen nicht selten zu Belastungen, Konflikten und im Extremfall zu Trennungen, womit das Gegenteil des gewünschten Effektes erreicht wird. PfarrerInnen und ihren EhepartnerInnen sollte ein verantwortungsvoller Umgang mit ihrer Paarbeziehung und Ehe, aber auch mit einer Ehescheidung zugetraut und zugestanden werden. Die den PfarrerInnen in der sächsischen Landeskirche im Zusammenhang mit einer Ehescheidung drohenden dienstrechtlichen Konsequenzen sind dafür nicht förderlich.